#NR23 | Vielfalt

»Über den Tellerrand schauen« (16. August 2023)

Arbeitslose, gesellschaftlich Abgehängte und andere soziale Randgruppen sind in der Berichterstattung oft nur Zahlen und Statistiken. Die Journalistin Insa van den Berg gibt ihnen ein Gesicht.

 

Frau van den Berg, Sie berichten als freie Journalistin über sozialpolitische Themen. Woher kommt ihr Interesse daran?
Ich glaube, am Anfang war es wie bei vielen anderen Journalist*innen. Mich haben Fragen um Gerechtigkeit und Gleichheit umgetrieben und dazu motiviert, diesen Beruf zu ergreifen.

Wie nehmen Sie das Interesse an sozialen Themen wahr? Müssen Sie für Ihre Geschichten kämpfen?
Das hat sich verändert. Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich es so empfunden, für soziale Themen kämpfen zu müssen. Inzwischen habe ich diesen Eindruck viel seltener. Als Freie kann ich entscheiden und Redaktionen meine Themen anbieten. Das gelingt fast immer. (mehr …)

#NR23 | Vielfalt

Leichter gesagt als getan (16. August 2023)

Die finnische Wissenschaftlerin Leealaura Leskelä war lange ­Chefredakteurin von Selkosanomat, einer Zeitung in leichter Sprache. Weshalb solche journalistischen Angebote wichtig, aber selten sind, ­erklärt die Expertin im Interview.

 

Frau Leskelä, warum sollte es Journalismus in leichter Sprache geben?
Weil jede Person das Recht hat, Informationen darüber zu erhalten, was im eigenen Land und auf der Welt geschieht. Ein Beispiel: Finnland ist vor kurzem der NATO beigetreten, obwohl die finnische Bevölkerung bislang mehrheitlich gegen den Beitritt war. Der Krieg brachte die Finn*innen zum Umdenken. Ohne Berichterstattung in leichtem Finnisch wären bis zu 14 Prozent der Bevölkerung von diesem Prozess ausgeschlossen gewesen. Dazu gehören übrigens auch in Finnland lebende Russ*innen, die Nachrichten in Standardfinnisch nur unzureichend verstehen. Durch leichtes Finnisch haben sie Zugang zu freiem Journalismus. (mehr …)

#NR23 | Vielfalt

»Männliche Kartoffelparade« (16. August 2023)

Amjahid Credit_Herby Sachs

Der freie Autor und Investigativjournalist Mohamed Amjahid über verzerrte Vielfalt im Journalismus und Wege, echte Diversität in Redaktionen zu erreichen.

 

Herr Amjahid, wie divers ist der Journalismus in Deutschland wirklich?
Der Anteil von nicht-weißen Menschen oder Menschen mit sogenannter Migrationsgeschichte in den Redaktionen ist im Vergleich zur Gesamtgesellschaft viel geringer. Ganz simpel ausgedrückt: Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund ist nicht gegeben. (mehr …)

#nr22 | Vielfalt

Klassenfahrt in den Journalismus (12. Oktober 2022)

Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft betrifft auch Nachwuchsjournalist*innen nach wie vor

von Juliane Baxmann

„Ich habe nicht studiert, komme aus einer Arbei­ter*innenfamilie und das war im Verlauf meiner Karriere immer wieder ein Problem“, sagt Isabell Beer, 27. Sie ist Investigativ-Journalistin und arbeitet unter anderem für Funk, das Jugendangebot von ARD und ZDF. Sie wurde für den Deutschen Reporterpreis nominiert und gewann 2019 den Newcomerpeis der Otto Brenner Stiftung. Eigentlich kann man sagen: Isabell Beer hat es geschafft. Sie hat sich einen Namen in der Branche gemacht. Aber nur eigentlich.

Trotz preiswürdiger Recherchen bekam sie auf Bewerbungen nur Absagen. Forderungen nach anderen Sicherheiten (Pauschalen etc.) wurden abgelehnt. Von den gebotenen Honoraren konnte sie nicht leben. Anerkennung für die Leistungen einer jungen, offenbar talentierten Reporterin sieht in ihren Augen anders aus. „Ich hatte ein abgeschlossenes Volontariat und trotzdem hieß es immer wieder, dass ich doch mal studieren gehen sollte. Ich war nie genug“, sagt Beer.

Nach Erfahrungen mit einer Wochenzeitung, die Beer als enttäuschend bewertet, arbeitete sie als freie Journalistin, bis sie 2019 zu Funk kam. „Ich glaube, wäre das nicht passiert, wäre ich gar nicht mehr im Journalismus. Ich hatte dort endlich eine Sicherheit, auch ohne Studium“, sagt Beer heute.

Tatsächlich haben drei Viertel der Journalist*innen in Deutschland ein abgeschlossenes Studium, wie aus einer Studie von 2017 hervorgeht – eine Steigerung um 6,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2005.

Hürden werden gesenkt, nicht abgebaut

Als Reaktion auf fehlende Bildungsdiversität führte der MDR in diesem Jahr das Ausbildungsprogramm MDR fresh ein, ein neunmonatiges Kurz-Volontariat für Menschen mit diversen Hintergründen. Die Hürden des klassischen Berufseinstiegs per Volontariat erscheinen vielen potenziellen Kandidat*innen zu hoch. Beim „großen Volo“ spricht der Leiter des MDR-BildungsCentrums, Frank-Thomas Suppee, von einer „Bestenauslese“. Andere Bewerber*innen hätten es da schwer.

Genaue Voraussetzungen für die Bewerbung bei MDR fresh gibt es nicht. Das Programm wird mit 1.790 Euro brutto im Monat vergütet. Absolvent*innen haben die Möglichkeit, als freie*r Mitarbeiter*in übernommen zu werden oder sich auf das große, 24-monatige Volo zu bewerben. Ganz abbauen kann MDR fresh die „Hürde Volo“ also auch nicht.

Banden bilden

Der Soziologe Andreas Kemper erforscht sogenannten Klassismus[1] in den Medien. Ein Diskriminierungsbegriff, der eigentlich untergegangen sei, „da es in Deutschland eigentlich keine Klassengesellschaft mehr gibt“, sagt Kemper. Aber wieder nur eigentlich. Nach wie vor wird Journalismus überwiegend von einem bestimmten Teil der Gesellschaft für eine bestimmte Gruppe gemacht. Laut Kemper steckt dahinter auch wirtschaftliches Kalkül der Medienhäuser: „Wer kann sich bestimmte Medien leisten? Wer versteht, was in diesem Medium geschrieben steht oder gezeigt wird?“ Die Klassenunterschiede sieht Kemper aber nicht nur beim Publikum: „Auch unser Hochschulsystem ist klassistisch“, sagt der Wissenschaftler und verweist darauf, dass Kinder aus Arbeiter*innenfamilien seltener ein Studium anfangen als Akademiker*innenkinder.

Uwe Krüger lehrt Journalismus an der Universität Leipzig und hält einen gewissen Grad der Akademisierung für gut, weil sie reflektiertes Denken anstoße und die Studierenden lehre, Dinge kritisch zu hinterfragen. „Auf der anderen Seite ist diese privilegierte Bildung schlecht für die Problemperspektive, um Problemzugänge zu schaffen und Vertrauen zur Gesellschaft aufzubauen“, sagt Krüger. Den Journalist*innen fehlen also Einblicke und Einfühlungsvermögen in andere Teile der Gesellschaft.

„Wir müssen im Journalismus mehr Brücken bauen und Menschen Sachen verstehen lassen“, sagt Beer. Sie ruft betroffene Nachwuchsjournalist*innen dazu auf, sich Verbündete mit einem ähnlichen Hintergrund zu suchen, um Netzwerke aufzubauen, in denen man sich austauschen kann.

Solche Netzwerke entstehen durch Programme wie MDR fresh irgendwann automatisch. Aber das braucht Zeit. Immerhin: Der Bayerische Rundfunk startet im Herbst das PULS Talente Programm für Menschen mit „unkonventionellen Biografien“. Netzwerk Recherche und die Neuen deutschen Medienmacher*innen ermöglichen mit dem Vielfalt-Fellowship Journalist*innen mit Einwanderungsgeschichte, Rassismus- und/oder Armutserfahrung außerdem Praktika in Investigativ-Redaktionen.

[1]       Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen und ökonomischen Position

 

#nr22 | Vielfalt

Diverse Probleme (12. Oktober 2022)

Vielfalt braucht Veränderung. Beginnt das Problem der Homogenität bereits in der journalistischen Ausbildung?

von Elena Strittmatter

Dass deutsche Redaktionen die gesellschaftliche Diversität im Land nicht ausreichend abbilden, ist bekannt. Kurzfristig lässt sich das kaum ändern. Um auf lange Sicht eine größere Vielfalt herbeizuführen, muss der Berufszugang für People of Color und Nicht-Akademiker*innen durchlässiger werden. Das Problem haben die Verantwortlichen erkannt. Gelöst ist es noch nicht.

„Man muss irgendwie versuchen, in der öffentlichen Wahrnehmung klarzumachen, dass die Hürden nicht so hoch oder nicht so unüberspringbar sind“, sagt Henriette Löwisch, Leiterin der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Um in künftigen Ausbildungsjahrgängen mehr Diversität zu erreichen, wurden bisherige DJS-Absolvent*innen, die nicht aus klassischen Akademiker*innenhaushalten kommen, gebeten, „Tipps zu erarbeiten, wie wir stärker oder besser auf Vielfalt hin rekrutieren können“, sagt Löwisch. Außerdem sollen spezielle Angebote für potenzielle Bewerber*innen entwickelt werden, die vorher keine Berührungspunkte mit dem Journalismus hatten und deshalb eine Ausbildung bei der DJS gar nicht in Betracht ziehen.

Eine Frage des Geldes

Auch beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) kennt man die Problematik. „Einige junge Menschen kennen uns noch gar nicht oder haben uns bei der Berufswahl nicht im Blick“, sagt die Leiterin der Volontärsausbildung, Diana Dlugosch. Um eine größere Bandbreite potenzieller Bewerber*innen zu erreichen, steht an der Henri-Nannen-Schule das Auswahlverfahren auf dem Prüfstand. Schulleiter Christoph Kucklick und sein Team wollen herausfinden, ob die Ausbildung – auch hinsichtlich finanzieller Hürden – für alle zugänglich ist.

Die Schule zahlt in den ersten sieben Monaten eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 645 Euro pro Monat, danach monatlich 1.500 Euro (zum Vergleich: der NDR zahlt seinen Volontär*innen 1.800 Euro im Monat). Zudem erhalten viele Schüler*innen laut Kucklick finanzielle Unterstützung in Form von Stipendien. Ohne die geht es auch an der DJS nicht. Die Ausbildung in München wird nicht vergütet, Anspruch auf BAföG haben auch nicht alle Schüler*innen. Ohne finanzielle Rücklagen oder Unterstützung – ob privat oder über eine Förderung – dürfte die Ausbildung in einer der teuersten Städte des Landes für viele unmöglich sein.

Mangelnde Medienkompetenz

Keine Hürde mehr sollte hingegen der Bildungsgrad sein. Wie bei der RTL-Journalistenschule ist auch an den anderen Ausbildungsstätten ein Studium nicht unbedingt erforderlich. Und dennoch muss Geschäftsführer Leonhard Ottinger feststellen: „Nach wie vor sind wir absolut akademisch geprägt.“ Auch Kuck­lick von der Nannen-Schule berichtet: „Der ganz überwiegende Teil unserer Schülerinnen und Schüler hat ein Studium.“ Bei Migrations- und sozialem Hintergrund sei man deutlich diverser.

Ursachen für die bisherige Homogenität beim Nachwuchs vermutet Ottinger unter anderem in fehlender Medienkompetenz bei Jugendlichen. Organisationen wie „Journalismus macht Schule“, die Schulbesuche von Journalist*innen vermitteln, hält Ottinger für eine gute Möglichkeit, Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Milieus für den Journalismus zu begeistern.

Außerdem müssen sich alle gesellschaftlichen Gruppen von den Medien angesprochen und ernstgenommen fühlen, um Akzeptanz und schlussendlich auch Identifikation mit dem Beruf zu schaffen. Neben Diversität auf personeller Ebene sind deshalb für Kuck­lick auch diverse Perspektiven bei den Inhalten wichtig: „Wie werden Themen bearbeitet, für wen werden sie bearbeitet und spielt dort Diversität eine Rolle oder nicht?“

#nr20 | Vielfalt

Junge Vielfalt (11. August 2020)

vielfalt

Medienangebote in Deutschland sollten diverser werden. Viele junge Redaktionen machen es schon vor. Was sich vom Nachwuchs in Sachen Diversität lernen lässt

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#nr20 | Vielfalt

Was? Weiß? Ich? (11. August 2020)

vielfalt

In deutschen Redaktionen gibt es viel zu wenige Menschen mit ­Migrations­hintergrund. Wie viele es sind, weiß niemand – vielleicht, weil man es lieber gar nicht so genau wissen will. #ausGründen

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