#NR23 | Vielfalt
Leichter gesagt als getan

Die finnische Wissenschaftlerin Leealaura Leskelä war lange ­Chefredakteurin von Selkosanomat, einer Zeitung in leichter Sprache. Weshalb solche journalistischen Angebote wichtig, aber selten sind, ­erklärt die Expertin im Interview.

 

Frau Leskelä, warum sollte es Journalismus in leichter Sprache geben?
Weil jede Person das Recht hat, Informationen darüber zu erhalten, was im eigenen Land und auf der Welt geschieht. Ein Beispiel: Finnland ist vor kurzem der NATO beigetreten, obwohl die finnische Bevölkerung bislang mehrheitlich gegen den Beitritt war. Der Krieg brachte die Finn*innen zum Umdenken. Ohne Berichterstattung in leichtem Finnisch wären bis zu 14 Prozent der Bevölkerung von diesem Prozess ausgeschlossen gewesen. Dazu gehören übrigens auch in Finnland lebende Russ*innen, die Nachrichten in Standardfinnisch nur unzureichend verstehen. Durch leichtes Finnisch haben sie Zugang zu freiem Journalismus.

Auch in Deutschland können mehr als sechs Millionen Erwachsene nicht richtig lesen und schreiben. Warum gibt es Journalismus in leichter Sprache dennoch so selten?
In Finnland sind Nachrichten in leichter Sprache gar nicht so selten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk produziert sie bereits seit mehr als 30 Jahren. Auch Selkosanomat, die finnische Zeitung in leichter Sprache, bei der ich lange tätig war, ist über 30 Jahre alt und das Magazin Leija erscheint bereits seit 1984. Aber auch hier ist leichte Sprache nicht Teil des Mainstreams. Ein Grund dafür ist, dass die Betroffenen nicht offen zu erkennen geben, dass sie solche Angebote benötigen. Des Weiteren ist es eine Herausforderung, einfach über komplizierte Ereignisse zu schreiben.

Kritiker*innen werfen Journalismus in leichter Sprache vor, er würde den Lesenden durch die Reduktion wichtige Informationen vorenthalten. Stimmt das?
Mit leichter Sprache wird nur ein Teil der Informationen, die in Standardsprache vermittelt werden, an die Leser*innen weitergegeben. Die Redaktion entscheidet, welche Aspekte der Nachricht erhalten bleiben, und muss dies rechtfertigen können. Auch wenn Leser*innen von leichter Sprache kein vollständiges Verständnis für eine Thematik erhalten, können sie das Wissen dennoch nutzen, um Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben betreffen.

Sind skandinavische Länder bei dem Thema weiter als Deutschland?
Aufgrund der längeren Tradition haben wir ein breiteres Angebot in leichter Sprache. Meiner Meinung nach könnte die Medienlandschaft in leichtem Finnisch nach all den Jahren aber noch vielfältiger sein. Die Menschen hier sind an das Konzept gewöhnt. Hingegen gibt es in Deutschland viel mehr Forschung zu leichter Sprache, weil das Thema dort neuer ist. Außerdem ist es in Deutschland für Behörden mitunter verpflichtend, in leichter Sprache zu kommunizieren. Obwohl sich die Gesetzgebung nicht auf den Journalismus bezieht, macht sie das Konzept dennoch sichtbar.

In Deutschland produzieren hauptsächlich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Nachrichten in leichter Sprache. Ist das in Finnland anders?
In Finnland liegt diese Verantwortung eindeutig in öffentlicher Hand. Dass marktorientierte Verlage dasselbe tun, ist eine sehr neue Idee. Eine erfreuliche Ausnahme ist die kürzlich erschienene Lokalzeitung Selkovantaalainen. Sie wurde jüngst vom Zentrum für leichtes Finnisch ausgezeichnet.
Während leichte Sprache der Barrierefreiheit dient und ein Zusatzangebot darstellt, will einfache Sprache durch einen einfachen Schreibstil direkt alle ansprechen.

Welchen Weg würden Sie empfehlen?
Ich rate davon ab, den gesamten Journalismus in einfacher Sprache zu formulieren, denn wir brauchen auch Journalismus, der beispielsweise wissenschaftliche Themen abdeckt – und dafür ist ein komplexeres Vokabular unabdingbar. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es Personen gibt, für die selbst einfache Sprache zu schwierig wäre. Deshalb ist es wichtig, Nachrichten in leichter Sprache zu produzieren, um ihnen diesen Zugang zu gewähren.

Die Fragen stellte Greta Gruber.

16. August 2023