#nr22 | Pressefreiheit

Wer schützt uns? (12. Oktober 2022)

Gewalt gegen Journalist*innen nimmt zu. Diese wird ­überwiegend von rechten ­Gruppierungen ausgeübt. Was tun?

von Hannah Martinez

Bespuckt, beleidigt, bedroht oder gar körperlich angegriffen: Das ist keine Seltenheit für Reporter*innen auf Demonstrationen in Deutschland. Mindestens 80 gewalttätige Angriffe auf Medienschaffende ermittelte Reporter ohne Grenzen (ROG) im vergangenen Jahr. Die Konsequenz: Deutschland rutscht in der Rangliste der Pressefreiheit weiter ab. Lag die Bundesrepublik vor zwei Jahren noch auf Platz 11, reichte es 2022 nur noch für Platz 16. Schon im vergangenen Jahr warnte ROG, dass die Gewalt gegen Journalist*innen in Deutschland eine „noch nie dagewesene Dimension“ erreicht habe.

Politisch motivierte Gewalt

Verantwortlich für die Angriffe auf Journalist*innen sind laut Verfassungsschutzbericht vor allem Menschen mit Tendenzen zur rechten Ideologie. Für ROG-Pressereferentin Lotte Laloire ist klar: „Die Gewalt ist politisch motiviert, die Ablehnung der freien Presse bildet ein Kernelement extrem rechter Ideologie.“ Auch die fehlende gesamtgesellschaftliche Wertschätzung für die Arbeit von Medienschaffenden spiele eine Rolle.

Die Verantwortung für die Wahrung der Pressefreiheit in Deutschland tragen die Innenministerien und Sicherheitsbehörden wie etwa die Polizei. Diese wird von ROG kritisiert, da sie ihrer Verantwortung „insgesamt leider nicht ausreichend“ nachkomme. Es gibt regelmäßig Berichte, dass Polizist*innen Reporter*innen bei der Arbeit behinderten, indem sie sie nicht durchgelassen oder ihnen mit Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen drohten. Dazu sind mindestens ein Dutzend Fälle bekannt, in denen es zu gewalttätigen Übergriffen von Polizist*innen auf Reporter*innen kam.

Unter anderem berichtet ROG von einem Fall in München. Hier wurden demnach zwei Reporter*innen bei einer nicht angemeldeten Querdenker-Demonstration an ihrer Arbeit gehindert, obwohl sie klar als Pressemitarbeitende zu erkennen gewesen waren, und sogar von Polizist*innen mit Schlagstöcken angegriffen.

Ein anderer Fall, der für Aufregung sorgte, spielte sich in Berlin im Juni 2021 bei einer Demonstration ab. Dort richteten Polizisten den Strahl eines Wasserwerfers direkt auf einen Journalisten, obwohl der Reporter durch seine Ausrüstung und die Beschriftung seines Helmes als Journalist zu erkennen war. Der Angriff ist auf Video dokumentiert. Dennoch bestritt die Polizei Berlin, dass so ein Angriff jemals stattgefunden habe.

Presserat klärt auf

Der Deutsche Journalisten-Verband verlangt von den Innenministerien des Bundes und den Ländern, diejenigen besser zu schützen, die „im Fadenkreuz der Verfassungsfeinde“ stünden. Um dies künftig gewährleisten zu können, fordert Lotte Laloire eine „wirkungsvolle Sensibilisierung der Polizei im Hinblick auf Pressefreiheit“. So müsse das Thema in der Polizeiausbildung eine stärkere Gewichtung bekommen und „in Form von regelmäßigen Fortbildungen im Laufe des Berufslebens von Beamtinnen und Beamten wiederholt werden“.

Laut Polizei wird aktuell an einem „Entwurf zur Novellierung der Verhaltensgrundsätze […] zur Vermeidung von Behinderung bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ gearbeitet. Ziel seien bundesweit einheitliche Standards.

Bis es soweit ist, wird der Deutsche Presserat in einem vom Bund geförderten Projekt an Polizeischulen über die verfassungsmäßig festgelegten Aufgaben der Medien sowie ihre Arbeitsweisen aufklären.

Pressefreiheit

Krankenhaus, Gefängnis, Exil – Berufsrisiken in Belarus (4. November 2021)

Bedrückende Schicksale und beeindruckender Mut – die Preisträger:innen des Free Media Awards

von Malte Werner

Natalia Lubnieuskaja wurde von einem Polizisten angeschossen, als sie im August 2020 über die Proteste in der belarussischen Hauptstadt Minsk berichtete. Ihre beiden Kolleginnen Katsiaryna Andreyeva und Darya Chultsova sitzen wegen ihrer Berichterstattung über Demonstrationen gegen das Lukaschenko-Regime eine zweijährige Gefängnisstrafe ab. Die Website TUT.by, die Medien weltweit mit Bildmaterial der Proteste versorgte, wurde im Mai gesperrt, mehr als ein Dutzend Mitarbeitende inhaftiert.

Die Preisträger:innen der Free Media Award 2020 und 2021. // Foto: Ulrich Perrey für die Zeit-Stiftung

Statt aufsehenerregender Einzelfälle gehören Schicksale wie diese mittlerweile zum alltäglichen Berufsrisiko für die wenigen verbliebenen kritischen Journalistinnen und Journalisten in Belarus. Die belarussische Journalistenvereinigung BAJ beklagt systematische Unterdrückung und Gewalt gegen ihre Mitglieder. Hunderte Journalist:innen wurden nach dem Ausbruch der Proteste in Folge der offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahlen festgenommen.

Zeichen gegen staatliche Willkür und Gewalt

„Belarus ist das gefährlichste Land für Journalisten in Europa“, sagte Ane Tusvik Bonde von der norwegischen Menschenrechtsorganisation Human Rights House Foundation auf der Free Media Awards Conference am 2. November 2021 in Hamburg. Am Vorabend waren Natalia Lubnieuskaja, Katsiaryna Andreyeva, Darya Chultsova, die Redaktion von TUT.by sowie die Gerichts-Reporterin Katsjaryna Barisewitsch und der Belarussische Journalistenverband BAJ mit den Free Media Awards 2021 ausgezeichnet worden.

Mit dem Preis setzen die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und die norwegische Stiftelsen Fritt Ord seit 2016 ein Zeichen gegen staatliche Willkür und Gewalt und würdigen den Mut von Journalist:innen, Redaktionen und Medienplattformen aus Russland, der Ukraine, Aserbaidschan, Belarus, Georgien oder Armenien.

Andrey Bastunets von BAJ sprach angesichts der aktuellen Lage in seiner Heimat von einer „Orwellschen Sitaution“, in der nicht mehr nur Journalist:innen ins Fadenkreuz der Behörden gerieten, sondern auch ihr Publikum. Es reiche schon, einer Gruppe beim Messenger-Dienst Telegram beigetreten zu sein, die von einem von der Regierung als „extremistisch“ eingestuften Medium betrieben werde, um in Schwierigkeiten zu geraten.

Letzter Ausweg: Exil

Dmitry Jegorov vom Exilsender Belsat, der den Preis stellvertretend für seine inhaftierte Kollegin Katsiaryna Andreyeva in Hamburg entgegennahm, bestätigte die Gefahr für das Publikum. Dies führe zu einer Art Selbstzensur, weil sich die Redaktion ständig frage: Gefährden wir mit diesen Informationen unsere Zuschauer?

Dmitry Jegorov nahm den Preis für seine inhaftierte Kollegin Katsiaryna Andreyeva entgegen. // Foto: Ulrich Perrey für die Zeit-Stiftung

Wie er arbeiten fast alle kritischen belarussischen Journalist:innen mittlerweile im Exil. Von denen, die geblieben sind oder die nicht mehr fliehen konnten, erzählen die Preisträger:innen bedrückende Geschichten – von überfüllten, fensterlosen Gefängniszellen und Durchsuchungen von Redaktionsräumen und Privatwohnungen.

Angesichts der Repressionen im eigenen Land fühle es sich merkwürdig an, dass ihre Arbeit hier mit Mut in Verbindung gebracht werde, sagte Natalia Lubnieuskaja, die wegen ihrer Schusswunde 38 Tage im Krankenhaus behandelt wurde. „Für uns ist es wichtig zu sehen, dass die Vorgänge in Belarus auch in anderen Ländern präsent bleiben. Wir haben die Möglichkeit zu erzählen, was dort vor sich geht. Wenn unsere Stimmen verstummen, hat das Regime gewonnen.“

„Schreiben Sie ihnen eine Postkarte“

Andrey Bastunets von BAJ appellierte an die internationale Gemeinschaft, belarusssiche Exiljournalist:innen so gut es geht zu unterstützen – etwa bei der Visa-Vergabe oder durch finanzielle Mittel zum Aufbau neuer Redaktionen im Ausland.

Dmitry Jegorov vom Sender Belsat, der von Polen aus operiert, bat außerdem um moralische Unterstützung für die inhaftierten Kolleg:innen: „Schreiben Sie ihnen eine Postkarte.“ Die Adressen der politischen Gefangenen finden sich auf der Website von Belsat.

Weil die Preisverleihung im Jahr 2020 coronabedingt ausfallen musste, wurden in diesem Jahr neben den belarussischen Journalist:innen auch die Preisträger aus 2020 geehrt. Dazu gehören Mediazona und Projekt.Media aus Russland, der Dokumentarfotograf Aziz Karimov aus Aserbaidschan sowie die Fernsehsendung Schemes und der Journalist und Schriftsteller Stanislav Aseyev aus der Ukraine. Letzterer fasste den Sinn einer solchen Preisverleihung in seiner kurzen Dankesrede wie folgt zusammen: „Mir einen Award zu verleihen für jene Texte, für die ich zweieinhalb Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde, ist vielleicht die beste Antwort an diejenigen, die dafür verantwortlich sind.“

Pressefreiheit

Eingeschränkte Sicht durch restriktive Pressefreiheit? (13. August 2020)

Blinde Flecken im Investigativen Journalismus – wann und warum Themen in der medialen Berichterstattung nicht stattfinden

von Wiebke Knoche und Sophie Prüfert

Der „blinde Fleck” ist ein Punkt in beiden Augen, an dem Licht nicht verarbeitet werden kann und der dazu führt, dass wir an dieser Stelle nicht sehen können. Im Journalismus sind “blinde Flecken” Themen, die von Journalist*innen nicht recherchiert werden und folglich in der medialen Berichterstattung sowie in der Öffentlichkeit nicht gesehen werden. Der Unterschied: Journalist*innen sind grundsätzlich nicht blind für bestimmte Themen, sondern aus verschiedenen Gründen nicht dazu in der Lage, sie öffentlich sichtbar zu machen. Welche Themen können als blinde Flecken identifiziert werden? Welche Gründe stecken dahinter und vor allem, welche Möglichkeiten sehen Investigativjournalist*innen, um blinde Flecken in der Berichterstattung zu bekämpfen?

Warum lohnt es sich, nach blinden Flecken zu fragen?

Verschiedene Forscher*innen haben sich bereits mit dem Themengebiet der blinden Flecken („blind spots“) im Journalismus beschäftigt. Nennenswerte Ergebnisse lieferte unter anderem die Worlds of Journalism Study (Datenerhebung 2012-2016). Journalist*innen aus 67 Ländern wurden hier nach ihrer Entscheidungsfreiheit bei der Auswahl ihrer Geschichten befragt. Dabei stellte sich heraus, dass Journalist*innen aus Ländern mit schlechter Lage der Pressefreiheit (z.B. China, Ägypten) deutlich weniger Freiraum bei der Themenwahl haben als ihre Kolleg*innen aus Ländern, in denen eine hohe Pressefreiheit herrscht.

Eine Auseinandersetzung mit blinden Flecken im Investigativjournalismus blieb bislang aus. Im Rahmen der Global Investigative Journalism Conference (GIJC), die im September 2019 in Hamburg stattfand, haben Studierende der Universität Hamburg deshalb bei 89 Investigativ-Journalist*innen aus 60 Ländern nachgefragt – mit teils überraschenden Antworten. Die Interviewergebnisse werden vor dem Hintergrund der Pressefreiheit in dem jeweiligen Land der Befragten betrachtet und eingeordnet, da diese – wie vorangegangene Studien gezeigt haben – einen bedeutenden Einfluss auf die Arbeit von Journalist*innen hat. Orientiert an der Rangliste der Pressefreiheit 2019 von Reporter ohne Grenzen, ergab sich für die Stichprobe (n=89) folgende Aufteilung:

Eingeschränkte Pressefreiheit als Ursache für blinde Flecken?

Die Ergebnisse der Befragung haben gezeigt, dass mit Einschränkungen in der Pressefreiheit die Tendenz für blinde Flecken in der Berichterstattung zunimmt. Investigative Journalist*innen, die Probleme mit der Pressefreiheit haben, nennen deutlich häufiger Themen, die sie nicht recherchieren können. Zudem zeichnen ihre Antworten ein klares Bild: Die Felder Politik, Korruption und Kriminalität sehen die Befragten mehrheitlich als vernachlässigt in ihrer Berichterstattung an, während Gesundheits-, Kultur- und Sportthemen kaum genannt werden. Welche Gründe stecken dahinter?

„The main sector is, we can´t investigate to politics, political sector, political crimes or political financial crimes.” (Hörfunk-Journalist aus Sri Lanka)

Warum Journalist*innen schweigen statt schreiben

Die fehlende Unabhängigkeit der Medien identifizieren die Journalist*innen als Hauptursache für die „blinden Flecken“, ebenso wie das politische System in ihrem Land. Dieser Zusammenhang war erwartbar, da Investigative Journalist*innen – durch eine unfreie Presse, verbunden mit staatlicher Zensur und einem fehlenden Zugang zu Informationen – unter besonderer Beobachtung stehen. “Basically the government is the one who decides what you are going to talk about”, sagt eine Online-Journalistin aus Ägypten. Damit verknüpft fürchten Journalist*innen durch kritische Recherchen Konsequenzen, wie Verfolgung, Verschleppung oder Tötung.

„So they don´t always put you in jail, but they have other ways to make you shut.”  (Zeitungs-Journalist aus Marokko)

„Blinde Flecken“ trotz freier Presse?

In Ländern mit guter Lage der Pressefreiheit berichten die befragten Journalist*innen – wenn auch seltener – ebenfalls von „blinden Flecken“ bei der investigativen Recherche. Neben politischen Themen, sehen diejenigen Journalist*innen, die ohne Angst arbeiten, vor allem Nachholbedarf in der Recherche zu Umweltthemen – ein „blinder Fleck“, dessen Ursachen vielschichtig sind: “We are still trying to find our field there and exploring sort of the best approach to it and we still have to sink our teeth into it”, berichtet ein Journalist aus Südafrika, der in einer unabhängigen, gemeinnützigen Nachrichtenagentur arbeitet. Ein amerikanischer Online-Journalist sieht hingegen im medialen sowie im öffentlichen Interesse das Problem für „blinde Flecken“: “There are some topics that are sexy and there are some topics that aren’t sexy.” Auch der Mangel an finanziellen Ressourcen spiele eine Rolle, wenn es darum geht blinde Flecken zu begründen: “Es scheitert manchmal daran, dass freie Journalisten es sich einfach nicht leisten können, jahrelang zu recherchieren”, so ein deutscher Journalist.

Journalistische Blindheit für „blinde Flecken“?

Die Interviews lassen erkennen, dass es eine Vielzahl an Themen gibt, die medial nicht stattfinden. Gleichzeitig berichten Befragte davon, keine „blinden Flecken“ in der Berichterstattung des eigenen Landes identifizieren zu können: “Now we have the full freedom of expression, we can do anything we need”, sagt eine freie Journalistin aus dem Sudan – ein Land, in dem Medien seit Jahren systematisch schikaniert und zensiert werden. Mangelt es hier an Klarheit bezüglich des Begriffs “blind spots”? Fühlen sich die Journalist*innen im Interview nicht sicher genug, um frei über die Zustände in ihrem Land zu berichten? Oder sind sie derart an Widerstände und Gefahren während der Recherche gewöhnt und „blinde Flecken“ somit ein notwendiger Teil ihres Grundverständnisses als Investigative Journalist*innen? Zukünftige Forschung sollte hier genauer hinschauen und aufspüren, welche Gründe hinter einer solch divergierenden Wahrnehmung stecken.

Sicherheit durch Zusammenarbeit

Für die Frage nach möglichen Methoden, „blinde Flecken“ zu umgehen, lassen die Interviews eine verallgemeinerbare Tendenz erkennen: “Collaboration” lautet das am häufigsten genannte Stichwort. Durch Redaktionen und Länder übergreifende Zusammenarbeit können einerseits Ressourcen, wie Finanzen und Wissen, gebündelt werden. Andererseits sehen vor allem Journalist*innen, die in Ländern mit schwieriger Lage der Pressefreiheit arbeiten, in einem Rechercheverbund die Möglichkeit, Themen mit dem Rückhalt der Gemeinschaft umzusetzen und schließlich auch zu veröffentlichen. Für sie spielen außerdem Anonymität und die Publikation im Internet eine wichtige Rolle, um sich selbst zu schützen. “I write everything, I investigate everything about corruption, but I never write my name. Never, never, never”, sagt eine Journalistin aus Kolumbien.

„Collaboration helps overcome subject matter limitations, because a journalist who is an expert in the environment can work with a data journalist, can work with someone who knows how to read annual reports for companies.”  (Online-Journalist aus Amerika)

Die Interviews haben gezeigt: An Themen und Ideen mangelt es Investigativjournalist*innen weltweit nicht. Doch müssen Wege gefunden werden, um Missstände sichtbar zu machen. Für die Zukunft bleibt abzuwarten, wie sich der Investigative Journalismus in den verschiedenen Ländern und vor dem Hintergrund – teils kritischer – Pressefreiheit entwickelt. Konferenzen, wie die GIJC, die Journalist*innen aus der ganzen Welt zusammenbringen und Raum für Austausch und Vernetzung bieten, sind dabei ein bedeutender von vielen Schritten in die richtige Richtung.

In eigener Sache | Pressefreiheit

Neues Buch von Message-Gründungsherausgeber (29. Juni 2020)

»Ich lass mir den Mund nicht verbieten!« Journalisten als Wegbereiter der Pressefreiheit und Demokratie Originalausgabe Hrsg.: Haller, Michael; Hömberg, Walter

Die Sammlung von Highlights aus der Pressegeschichte geht auf ehemalige Message-Rubrik zurück

 

Was haben Heinrich Heine, Rudolf Augstein, Nellie Bly und Martha Gellhorn gemeinsam? Message-Gründungsherausgeber Michael Haller und Kommunikationswissenschaftler Walter Hömberg geben die Antwort in ihrem neuen Buch »Ich lass mir den Mund nicht verbieten!« Journalisten als Wegbereiter der Pressefreiheit und Demokratie. Darin überblicken die Herausgeber mehr als drei Jahrhunderte Mediengeschichte und stellen herausragende Journalist*innen sowie engagierte Publizist*innen vor, die Missstände trotz Zensur und Restriktionen klar benannten und so Meinungs- und Pressefreiheit erkämpften beziehungsweise stärkten. (mehr …)

Pressefreiheit

Von wegen Pressefreiheit (9. Juni 2020)

CNN Korrespondent Omar Jimenez wird in Handschellen abgeführt

Offiziell bekennen sich alle 193 UN-Mitgliedsstaaten zur Meinungsfreiheit, darunter auch Länder wie Ägypten, China oder die Türkei. In der Realität sieht es in vielen Ländern aber anders aus. Immer wieder wird die Pressefreiheit eingeschränkt. Besonders Investigativ-Journalist*innen geraten dann unter Druck.

von Clara Kopiez und Leon Löffler

“Im Grunde entscheidet die Regierung, über was du berichtest.” Journalistin aus Ägypten

Forscher*innen der Universität Hamburg haben 89 Investigativ-Journalist*innen aus aller Welt interviewt. In den Gesprächen ging es darum, inwiefern sie sich selbst in ihrer Arbeit einschränken oder von außen eingeschränkt werden. Die Interviewten kamen sowohl aus Ländern, die von der Organisation Reporter ohne Grenzen im Pressefreiheitsindex 2019 als Länder mit „Guter“ oder „Zufriedenstellender Lage“ geführt werden, als auch beispielsweise aus Ländern mit einer „Sehr ernsten Lage“. (mehr …)

#nr18 | Pressefreiheit

„Wir geben nicht auf!“ (27. August 2018)

Ein Blick hinter die Kulissen von forbidden stories

von Mirjam Bittner und Pia Seitler

In einer konzertierten Aktion veröffentlichten verschiedene internationale Medien Rechercheergebnisse zur Ermordung von Daphne Caruana Galizia. Foto: Fritz Zimmermann

Am 16. Oktober 2017 tötet eine Autobombe in Malta die Journalistin Daphne Caruana Galizia. Ein halbes Jahr später veröffentlichen Medienhäuser wie die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, der NDR und WDR, die New York Times, der Guardian, Reuters und La Repubblica ihre Rechercheerkenntnisse zum Fall Daphne. Die Hintermänner sind bis heute nicht gefasst. Die Recherche der Medienorganisationen zeigt: Ermittler ignorieren Hinweise auf höchste politische Kreise.

Dass mitten in Europa eine Journalistin getötet wird, weil sie ihre Arbeit macht, will Laurent Richard nicht hinnehmen: „Wir müssen diese Geschichten am Leben erhalten.“ Richard ist Journalist und Filmemacher beim französischen Sender Premières Lignes Télévision. Er gründete das Netzwerk forbidden stories mit dem Ziel, Journalisten zu beschützen und die internationale Pressefreiheit zu verteidigen. Das Netzwerk hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Arbeit von Journalisten weiterzuverfolgen, die sich bedroht fühlen oder bereits getötet wurden – wie Daphne Caruana Galizia.

18 Medienorganisationen aus 15 Ländern

Das sogenannte Daphne-Projekt war das erste Projekt von forbidden stories. Journalisten von 18 Medienorganisationen aus 15 Ländern recherchierten gemeinsam, um die Arbeit der ermordeten Kollegin weiterzuführen. Der Mord an der maltesischen Journalistin motivierte viele, erzählt Fritz Zimmermann aus dem Investigativ-Ressort der Zeit: „Das hat etwas bei uns ausgelöst. Journalisten aus ganz Europa wollten etwas tun.“

Unter der Leitung von forbidden stories trafen sich Anfang des Jahres 45 Journalisten in Paris. Es wurde besprochen, welche Themen recherchiert werden, wer woran arbeitet und wann die Ergebnisse veröffentlicht werden. Dabei ergaben sich die ersten Schwierigkeiten. Der geplante Zeitpunkt der Veröffentlichung – der 16. April 2018, genau sechs Monate nach Daphnes Ermordung – war ein Montag. Die Wochenzeitung Die Zeit erscheint aber an einem Donnerstag. Die Journalisten fanden einen Kompromiss. Sie planten, die erste Geschichte über den Mord am 17. April zu veröffentlichen und dann nach und nach die weiteren Rechercheergebnisse zu publizieren.

„Die Idee des Projekts war, in Echtzeit allen alles zur Verfügung zu stellen, sodass alle an den Geschichten weiterarbeiten können“, erzählt Zimmermann. Über ein Wiki auf dem Server des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), einem Recherchenetzwerk mit Sitz in Sarajevo, koordinierten die Journalisten sämtliche Schritte und luden dort ihr gesamtes Material hoch. Dokumente, Interviews, Zeitpläne – alles war gespeichert und für alle zugänglich. „Wir haben alles miteinander geteilt. Es gab keine exklusiven Informationen“, so Holger Stark, Leiter des Investigativteams der Zeit. Über Signal, einem frei zugänglichen verschlüsselten Messenger, kommunizierten sie miteinander. „Über Monate klingelte das Handy und hörte einfach nicht auf“, berichtet Zimmermann. Das habe ihn an die Grenzen seiner Aufmerksamkeit gebracht. „Das Grundprinzip war, dass keine unverschlüsselte Kommunikation grenzüberschreitend läuft“, erklärt Stark.

Durch Maßnahmen wie diese versuchten die Journalisten, ein größtmögliches Maß an Sicherheit für alle Beteiligten herzustellen: „Die Mörder von Daphne wissen, wer wir sind, deshalb haben wir natürlich Bedenken, was unsere Sicherheit angeht“, sagt Laurent Richard. Darum sei es auch ein Ziel von forbidden stories, dass viele Journalisten zusammenarbeiten, um sich gegenseitig Schutz zu bieten. Ein weiteres Ziel ist der Schutz der internationalen Pressefreiheit: „Der einzige Weg, einen freien Journalismus zu verteidigen, ist es, Morde an Journalisten aufzuklären, die Mörder zu entlarven und die Gesellschaft über die Recherchen zu informieren“. So auch das Motto des Netzwerks – „you can’t kill the stories“.

Unterschiedliche Journalismuskulturen

Wenn 45 Journalisten aus 15 Ländern miteinander gemeinsam recherchieren, ergeben sich auch Herausforderungen. Lena Kampf arbeitet für das investigative Ressort des WDR in Berlin und Brüssel und war Teil des Daphne-Projekts. Sie berichtet von ganz unterschiedlichen journalistischen Kulturen.

Während man in Deutschland Personen mit Rechercheergebnissen konfrontiere und ihnen 48 Stunden Zeit für eine Stellungnahme gebe, bevor man dann veröffentliche, brauche man in Großbritannien erst die Antwort von jedem Beteiligten, bevor man veröffentlichen könne. Der Umgang mit verdecktem Material und anonymen Quellen sei schon bei den Medienorganisationen innerhalb Deutschlands unterschiedlich gewesen. Es stellte sich hier außerdem öfter die Frage nach Übersetzungen von englischen Zitaten. „Wir hatten am Ende zwar alle dieselben Beweise, die allerdings in den unterschiedlichen Zeitungen unterschiedlich aufbereitet wurden“, sagt Kampf über die Ergebnisse des Rechercheprojekts.

Nicht nur die unterschiedlichen journalistischen Herangehensweisen konfrontierten die Reporter mit ungewohnten Problemen, auch die Arbeit auf der Insel Malta. „Der Arbeitsalltag ist schwierig für Leute aus stabilen Ländern, wo du niemals daran denken würdest, dein Auto vorher nach einer Bombe abzusuchen“, so Matthew Caruana, Sohn von Daphne Caruana Galizia. Caruana unterstützte das Projekt von Anfang an: Er lobt die Journalisten, die in vertrauensvoller Zusammenarbeit die Erkenntnisse seiner Mutter bestätigten, die zuvor deswegen kompromittiert wurde. „Es gibt Situationen, wo du dich nicht mehr auf den Schutz des Staates verlassen kannst. Deshalb braucht es Projekte wie dieses – leider.“

Die Recherchen sind noch nicht beendet

Trotz der neuen Herausforderungen war das Projekt ein Erfolg, finden Zimmermann und Kampf. „Die Idee war, die Arbeit von Daphne weiterzuführen und sie in andere europäische Länder zu bringen. Wir konnten viele Dinge, die Daphne herausgefunden hatte, bestätigen und sagen: ‚Sie hatte Recht!‘“, so Zimmermann.

Die Recherchen sind dennoch lange nicht am Ende: „Wir haben das Daphne-Projekt noch nicht beendet. Es gibt immer noch so viele Fragen, so vieles, was noch aufzuklären ist“, sagt Laurent Richard. Aufgeben komme jedenfalls nicht in Frage. Deshalb arbeiten Journalisten aus aller Welt neben dem Daphne Project an weiteren Geschichten, unter dem Mantel von forbidden stories. Über aktuelle Projekte möchte Richard allerdings nicht sprechen, um diese und die Journalisten, die daran arbeiten, nicht zu gefährden.