#nr22 | Pressefreiheit
Wer schützt uns?

Gewalt gegen Journalist*innen nimmt zu. Diese wird ­überwiegend von rechten ­Gruppierungen ausgeübt. Was tun?

von Hannah Martinez

Bespuckt, beleidigt, bedroht oder gar körperlich angegriffen: Das ist keine Seltenheit für Reporter*innen auf Demonstrationen in Deutschland. Mindestens 80 gewalttätige Angriffe auf Medienschaffende ermittelte Reporter ohne Grenzen (ROG) im vergangenen Jahr. Die Konsequenz: Deutschland rutscht in der Rangliste der Pressefreiheit weiter ab. Lag die Bundesrepublik vor zwei Jahren noch auf Platz 11, reichte es 2022 nur noch für Platz 16. Schon im vergangenen Jahr warnte ROG, dass die Gewalt gegen Journalist*innen in Deutschland eine „noch nie dagewesene Dimension“ erreicht habe.

Politisch motivierte Gewalt

Verantwortlich für die Angriffe auf Journalist*innen sind laut Verfassungsschutzbericht vor allem Menschen mit Tendenzen zur rechten Ideologie. Für ROG-Pressereferentin Lotte Laloire ist klar: „Die Gewalt ist politisch motiviert, die Ablehnung der freien Presse bildet ein Kernelement extrem rechter Ideologie.“ Auch die fehlende gesamtgesellschaftliche Wertschätzung für die Arbeit von Medienschaffenden spiele eine Rolle.

Die Verantwortung für die Wahrung der Pressefreiheit in Deutschland tragen die Innenministerien und Sicherheitsbehörden wie etwa die Polizei. Diese wird von ROG kritisiert, da sie ihrer Verantwortung „insgesamt leider nicht ausreichend“ nachkomme. Es gibt regelmäßig Berichte, dass Polizist*innen Reporter*innen bei der Arbeit behinderten, indem sie sie nicht durchgelassen oder ihnen mit Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen drohten. Dazu sind mindestens ein Dutzend Fälle bekannt, in denen es zu gewalttätigen Übergriffen von Polizist*innen auf Reporter*innen kam.

Unter anderem berichtet ROG von einem Fall in München. Hier wurden demnach zwei Reporter*innen bei einer nicht angemeldeten Querdenker-Demonstration an ihrer Arbeit gehindert, obwohl sie klar als Pressemitarbeitende zu erkennen gewesen waren, und sogar von Polizist*innen mit Schlagstöcken angegriffen.

Ein anderer Fall, der für Aufregung sorgte, spielte sich in Berlin im Juni 2021 bei einer Demonstration ab. Dort richteten Polizisten den Strahl eines Wasserwerfers direkt auf einen Journalisten, obwohl der Reporter durch seine Ausrüstung und die Beschriftung seines Helmes als Journalist zu erkennen war. Der Angriff ist auf Video dokumentiert. Dennoch bestritt die Polizei Berlin, dass so ein Angriff jemals stattgefunden habe.

Presserat klärt auf

Der Deutsche Journalisten-Verband verlangt von den Innenministerien des Bundes und den Ländern, diejenigen besser zu schützen, die „im Fadenkreuz der Verfassungsfeinde“ stünden. Um dies künftig gewährleisten zu können, fordert Lotte Laloire eine „wirkungsvolle Sensibilisierung der Polizei im Hinblick auf Pressefreiheit“. So müsse das Thema in der Polizeiausbildung eine stärkere Gewichtung bekommen und „in Form von regelmäßigen Fortbildungen im Laufe des Berufslebens von Beamtinnen und Beamten wiederholt werden“.

Laut Polizei wird aktuell an einem „Entwurf zur Novellierung der Verhaltensgrundsätze […] zur Vermeidung von Behinderung bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung“ gearbeitet. Ziel seien bundesweit einheitliche Standards.

Bis es soweit ist, wird der Deutsche Presserat in einem vom Bund geförderten Projekt an Polizeischulen über die verfassungsmäßig festgelegten Aufgaben der Medien sowie ihre Arbeitsweisen aufklären.

12. Oktober 2022