Pressefreiheit
Von wegen Pressefreiheit

Offiziell bekennen sich alle 193 UN-Mitgliedsstaaten zur Meinungsfreiheit, darunter auch Länder wie Ägypten, China oder die Türkei. In der Realität sieht es in vielen Ländern aber anders aus. Immer wieder wird die Pressefreiheit eingeschränkt. Besonders Investigativ-Journalist*innen geraten dann unter Druck.

von Clara Kopiez und Leon Löffler

“Im Grunde entscheidet die Regierung, über was du berichtest.” Journalistin aus Ägypten

Forscher*innen der Universität Hamburg haben 89 Investigativ-Journalist*innen aus aller Welt interviewt. In den Gesprächen ging es darum, inwiefern sie sich selbst in ihrer Arbeit einschränken oder von außen eingeschränkt werden. Die Interviewten kamen sowohl aus Ländern, die von der Organisation Reporter ohne Grenzen im Pressefreiheitsindex 2019 als Länder mit „Guter“ oder „Zufriedenstellender Lage“ geführt werden, als auch beispielsweise aus Ländern mit einer „Sehr ernsten Lage“.

Zensur herrscht auch in Europa

CNN Korrespondent Omar Jimenez wird in Handschellen abgeführt

Eingriff in die Pressefreiheit: CNN Korrespondent Omar Jimenez wird in Handschellen abgeführt und so daran gehindert, seine Berichterstattung über die Proteste in Folge des gewaltsames Todes des Afroamerikaners George Floyd fortzusetzen. // Screenshot: CNN

Eine qualitative Inhaltsanalyse der Interviews zeigt: Staatliche Zensur betrifft viele Journalisten. Zwanzig Journalist*innen (22%) erwähnten, dass die Regierung konkreten Einfluss auf ihre Arbeit ausübt, Artikel redigiert oder die Veröffentlichung verbietet. Besonders betroffen sind Länder, die auch im Pressefreiheitsindex in den Kategorien “Schwierige” oder “Sehr ernste Lage” geführt werden. So vergleicht ein chinesischer Journalist die Situation in seinem Land mit George Orwells dystopischen Roman “1984”, der in einem totalitären Überwachungsstaat spielt: „In China gibt es viele Behörden zur Informationsüberwachung und Internetkontrolle. Und wie in George Orwell’s ’1984’ gibt es außerdem eine Propagandabehörde.”

Überraschenderweise berichten auch Journalist*innen, die zur Ländergruppe “Gute” oder “Zufriedenstellende Lage” gehören, von Zensur. So spricht zum Beispiel ein Journalist aus Norwegen – aktuell auf Platz 1 des Pressefreiheitsindex – von Zensur in seinem Land. Es sei schwierig, dort über Themen der nationalen Sicherheit zu berichten, erzählt er. Als Beispiel nennt er die Berichterstattung zu russischen Streitkräften, die Anfang 2019 NATO-Übungen in Norwegen durchführten:

“Es gibt Informationen, die wir nicht veröffentlichen dürfen. Das macht es schwierig, über das Thema zu berichten. Denn sonst müssten wir unsere Quellen beim Geheimdienst offenlegen – und das können wir nicht tun.” Journalist aus Norwegen

Aber auch die eigene Institution spielt bei der Zensur eine Rolle. So haben insbesondere kleinere Medienorganisationen Angst, von großen, einflussreichen Unternehmen verklagt zu werden. “Unternehmen versuchen, Druck auf Investigativ-Journalisten auszuüben, indem sie sie verklagen. Für kleinere Medienorganisation wie uns ist das eine Bedrohung. Denn wenn uns jemand verklagt, fehlen uns als kleiner Redaktion die Mittel, uns zu wehren – anders als bei einem großen Sender oder zum Beispiel dem Spiegel.  Wir würden auf solche Recherchen vermutlich eher verzichten”, berichtet ein deutscher Journalist.

Selbstzensur aus Angst vor der Regierung und Drogenkartellen

Dass sich Journalist*innen zum Beispiel aus Sorge vor möglichen Sanktionen oder aus Angst selbst zensieren, ist ein Phänomen, das fast ausschließlich in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit auftritt.

“Niemand berichtet über sie (die Regierung, Anm. D. Red.), denn wenn man es täte, würde man gefoltert werden.” Journalistin aus Simbabwe

So beschreibt eine Journalistin aus Simbabwe die Lage in ihrem Land. Jeder fünfte Journalist berichtet, dass er sich aus Angst vor der Regierung oder vor Angriffen durch die organisierte Kriminalität selbst zensiert. Besonders in Ländern mit einer hohen Drogenkriminalität wie Mexiko oder Kolumbien ist dies der Fall. Als Folge der Angst lassen Journalist*innen bestimmte Themen in ihrer Berichterstattung aus, allen voran Politik, Kriminalität und Korruption – die eigentlichen Kernthemen des Investigativ-Journalismus. In islamisch geprägten Ländern wurde häufig auch die Schwierigkeit genannt über die Königsfamilien, Terrorismus oder Menschenrechte zu berichten. Journalist*innen aus Ländern mit einem laut Reporter ohne Grenzen guten oder zufriedenstellenden Pressefreiheitsstatus haben Selbstzensur fast nie erwähnt.

Das Geld bestimmt die Themen

Dennoch gibt es auch in diesen Ländern einen Grund, warum von Recherchen Abstand genommen wird: Geld. Länderübergreifend hat sich gezeigt, dass fehlende Erlösquellen die Berichterstattung beeinflussen. Wenn monatelange Recherchen, aufwändige Reisen und Gebühren für den Zugang zu behördlichen Dokumenten zu erwarten sind, wird ein Thema oftmals gar nicht erst bearbeitet. Von diesen ökonomischen Sorgen sind sowohl Journalist*innen aus Ländern des globalen Nordens wie Deutschland, Österreich und den USA, wie auch aus Ländern des globalen Südens, z. B. Tunesien, Botswana, Uganda, Nigeria oder Peru betroffen. Ein Journalist aus Österreich erklärt:

“Die wirtschaftlichen Einschränkungen sind in Redaktionen ein Grund, warum man gerade Langfristrecherchen, bei denen man von Anfang an nicht weiß, ob die tatsächlich zu etwas führen, nicht macht.“ Journalist aus Österreich

Das Dilemma der Unabhängigkeit

Die Lage der Pressefreiheit in einem Land spiegelt sich auch in der Selbstwahrnehmung der Journalist*innen wider. Fast alle Journalist*innen aus Ländern mit guter oder zufriedenstellender Pressefreiheit fühlen sich frei in ihrer Arbeit. Bei Journalist*innen aus Ländern mit einer eingeschränkten Pressefreiheit zeigt sich ein anderes, mitunter ambivalentes Bild. Ein libyscher Journalist spricht zunächst davon, dass er uneingeschränkt über alle Themen berichten kann: “Die Regierung interessiert das nicht (…). Du kannst alles schreiben, was du willst.” An einer Stelle des Interviews sagt er hingegen: “Wenn du etwas (über die Regierung, Anm. d. Red.) schreibst, kannst du verhaftet oder getötet werden.”

Das Eingeständnis der Investigativ-Journalist*innen aus Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit, dem Bild des unabhängigen und neutralen Berichterstatters aufgrund von Zensur und Gewalt nicht entsprechen zu können, dürfte ihnen schwergefallen sein.

Grenzüberschreitender Journalismus als Lösung?

In Bezug auf die Zukunft des Investigativ-Journalismus zeigen sich die interviewten Journalist*innen trotzdem überwiegend optimistisch. Sie haben eigene Ideen, wie Journalismus in ihrem Land gestärkt werden kann. So fordern viele eine bessere Ausbildung von Investigativ-Journalist*innen sowie mehr internationale Medienkooperationen, um Ressourcen zu bündeln und Zensur zu umgehen. Ein amerikanischer Journalist sagt dazu: “Kooperationen haben großes Potenzial  zur Überwindung solcher Hindernisse. Sie mindern das finanzielle Risiko und bringen unterschiedliche Expertisen zusammen.“

9. Juni 2020