#nr19 | International | Recherche

Grenzen sind zum Überschreiten da (15. August 2019)

Internationale Enthüllungen wie die „Panama Papers“ zeigen auf eindrucksvolle Art, was mit ­Cross-Border-Journalismus erreicht werden kann. Wo liegen die Stärken der grenzübergreifenden ­Recherche? Und inwieweit wird sie das Berufsbild des Journalisten nachhaltig verändern?

von David Baldauf (mehr …)

#nr18 | International

„Ständig ein Schwert am Hals“ (22. August 2018)

Die arabische Journalistin Rana Al-Sabbagh kämpft mit ihrem Netzwerk Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ) für einen unabhängigen Journalismus in der arabischen Welt. Ein mitunter lebensgefährlicher Job, den die Journalisten nur im Team meistern können. In der arabischen Welt ist der Alltag der Journalisten noch immer stark geprägt von autoritären Regimen und korrupten Politikern.

 

Journalistin Rana Al-Sabbagh glaubt daran, dass sich die Situation für Journalisten in ihrer Heimat wie-der verbessern kann. Foto: privat

 

Frau Al-Sabbagh, Sie haben ein Netzwerk gegründet, dass die kritische und unabhängige Berichterstattung stärken soll. Welche Rolle spielt der investigative Journalismus in der arabischen Welt?

Al-Sabbagh: Journalismus ist ein wichtiger Eckpfeiler für eine funktionierende Demokratie und die investigative Recherche ist die Königsdisziplin im Journalismus. Meiner Meinung nach verkörpert sie das wahre Wesen des aufklärenden Journalismus als vierte Gewalt.

 

Was heißt das in Ihrem Alltag?

Der investigative Journalismus ermöglicht es, sich intensiv mit einem Thema auseinanderzusetzen. Aber es geht nicht nur darum, Fakten zu sammeln und zu dokumentieren, sondern auch darum, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. In unseren ARIJ-Berichten zeigen wir, wie ein Gesetz auf dem Papier funktioniert und wie es in der Realität umgesetzt wird. Gleichzeitig erklären wir dem Leser, welche Konsequenzen daraus resultieren und welche Lösungen es dafür geben könnte.

 

Was haben die ARIJ damit bisher erreicht?

Wir haben schon über 470 Berichte veröffentlicht, von denen übrigens noch keiner vor Gericht angefochten wurde. Es ist schön zu sehen, dass unsere Geschichten eine Wirkung entfalten und tatsächlich eine Veränderung erzielen. Nachdem einer unserer Journalisten beispielsweise einen Beitrag über die Veruntreuung von Schulgeldern durch die irakische Regierung veröffentlicht hat, mussten sich die Betroffenen vor Gericht verantworten. Darauf können wir stolz sein. Allein die Tatsache, dass wir mit den ARIJ seit 2005 in der arabischen Welt aktiv sind, ist für mich ein Wunder.

 

Was sind die Herausforderungen in Ihrer täglichen Arbeit als Journalistin?

 

Rana Al-Sabbagh ist Gründerin der Arab Reporters for Investigative Journalism (ARIJ) mit Sitz in Amman, Jordanien, die sie seit 2005 als Direktorin leitet. Sie hat unter anderem für Al-Hayat und Reuters gearbeitet und war die erste Chefredakteurin bei der Jordan Times. Die ARIJ unterstützen Journalisten in Jordanien, Syrien, Libanon, Ägypten, Irak, Bahrain, Palästina, Je-men und Tunesien. Bislang hat das gemeinnüt-zige Netzwerk über 2.000 Journalisten trainiert und über 460 investigative Berichte finanziert.

Wo soll ich anfangen? In Jordanien ist es, wie in den meisten arabischen Ländern, sehr schwer, Informationen zu bekommen. Wir haben keine Gesetze, die uns den Zugang zu Daten garantieren und wenn doch, dann werden sie oft nicht eingehalten oder sind mit großen Einschränkungen verbunden. In Jordanien gibt es 26 Gesetze und Vorschriften, die den Journalismus regulieren sollen, und wir stehen ständig unter Beobachtung. Bei uns sagen wir, es fühlt sich an, als würde einem ständig ein Schwert am Hals liegen. Leider ist das bei uns Alltag. Viele Chefredakteure wollen eine gute Beziehung zur Regierung haben, um ihren Status und ihre Privilegien zu schützen, und halten deshalb die Füße still. Oft geben sie ihren Journalisten weder Zeit noch Geld, um ein Problem zu untersuchen.

 

Wie wirkt sich das auf die Journalisten aus?

Viele meiner Kollegen haben Angst. Oft wenden sie sich mit investigativen Geschichten zuerst an unser Netzwerk und wollen sich dann gründlich absichern, bevor sie ihre Untersuchungen veröffentlichen. Und diese Angst ist nicht unberechtigt. Im Sudan wurde beispielsweise ein Journalist aus seinem Job geworfen, nur weil er Hühnerfarmen entlarvt hat, die illegal in Wohngebieten untergebracht waren. Diese Farmen haben eindeutig gegen das Gesetz verstoßen und noch dazu schlechten Geruch und Krankheiten verbreiten. Doch der Journalist wusste nicht, dass eine dieser illegalen Farmen dem Verleger seiner Zeitung gehört, sonst hätte er sich wahrscheinlich gut überlegt, ob er seinen Beitrag veröffentlicht. Die traurige Wahrheit ist, dass bei vielen arabischen Journalisten die Selbstzensur bereits in ihrer DNA liegt. Darüber hinaus ist der Journalismus einer der am schlechtesten bezahlten Jobs bei uns. Viele müssen am Ende für vier Medienplätze gleichzeitig arbeiten und die gleiche Geschichte immer wieder recyceln, nur um zu überleben.

 

Nach dem Arabischen Frühling gab es für eine Weile die Hoffnung, dass sich die Situation für Journalisten verbessern würde. Glauben Sie noch daran?

Seit die Autokraten den arabischen Frühling 2011 umgekehrt haben, hat sich die Situation für uns wieder enorm verschlechtert. Selbst in Tunesien, dem Aushängeschild des Arabischen Frühlings, beklagen die Journalisten, dass sich die alte Mentalität, die in den Medien herrschte, nicht langfristig verbessert hat. Das Einzige, was sich geändert hat, ist, dass die Beamten zehn Mal darüber nachdenken, bevor sie einen Journalisten unter Druck setzen, sich nicht zu einer bestimmten Angelegenheit zu äußern, weil sie Angst haben, ihr Eingreifen könnte aufgedeckt werden. Aber natürlich gibt es trotzdem noch einige mutige, unabhängige Journalisten, die sich für eine Verbesserung einsetzen. Auch ich gebe die Hoffnung nicht auf.

 

Haben Sie bei all ihrem Engagement auch manchmal Angst bei der Arbeit?

Natürlich. Bei den ARIJ stellen wir immer doppelt und dreifach sicher, dass alle unsere Inhalte ausschließlich auf Fakten basieren und dass wir keine Angriffsfläche für ein gerichtliches Verfahren bieten. Dafür beraten wir uns auch mit Anwälten. Ich denke, jeder Journalist bei uns hat Angst, schließlich arbeiten wir in einem der riskantesten Jobs in einer der gefährlichsten Regionen der Welt. Wir werden oft bedroht oder sogar angegriffen. Einer unserer Kollegen im Irak, der eine Korruptionsaffäre aufgedeckt hat, wurde nach der Veröffentlichung in seinem Auto beschossen. Ein freiberuflicher Kameramann, der heimlich mitgefilmt hat, wie der IS Schulbücher voller Hass gedruckt hat, wurde anschließend verhaftet und enthauptet. Im Jemen ist die Situation unbeschreiblich und Ägypten ist inzwischen zu einem der weltweit größten Gefängnisse für Journalisten geworden.

 

Ist die Arbeit im Team daher auch ein Schutz?

Die Arbeit im Team gibt uns die Stärke, die wir in unserem Alltag brauchen. Wir unterstützen uns beruflich, beispielsweise bei aufwändigen Recherchen, aber auch psychisch. Nur so können wir Tag für Tag unserer Arbeit nachgehen.

 

Bei all den Herausforderungen und Gefahren in Ihrem Beruf – warum sind Sie da überhaupt Journalistin geworden?

Schon seit ich ein kleines Kind war, hat mir meine Mutter immer gesagt, ich solle für das Recht anderer Menschen kämpfen. Wenn ich früher auf der Straße gespielt und gesehen habe, dass ein Kind von einem stärkeren Kind geschlagen wurde, bin ich immer dazwischen gegangen und habe das stärkere Kind zurückgeschlagen. Ich wollte immer schon Gerechtigkeit auf der Welt. Dass ich dann Journalistin geworden bin, war allerdings ein Zufall. Ich bin über einen Freund der Familie an ein Praktikum in einer Redaktion gekommen, dass ich erst gar nicht machen wollte. Der Chefredakteur hat meinen Schreibstil am Anfang nur kritisiert, so dass ich sogar öfter geweint habe. Aber meine Inhalte kamen gut an. Ich habe schon immer schonungslos darüber geschrieben, was tatsächlich passiert in der Welt und wie das unser Leben beeinflusst. Ich glaube, der Journalismus kann einiges bewirken.

 

In der arabischen Welt werden Frauen noch immer unterdrückt, auch im Journalismus, und trotzdem haben Sie es geschafft, ein investigatives Netzwerk aufzubauen. Wie schätzen Sie die Situation von Journalistinnen aktuell ein?

Wir Frauen müssen oft zehn Mal härter arbeiten als unsere männlichen Kollegen, um uns zu beweisen. Frauen können oft nicht alleine reisen. Wenn sie heiraten wird von Ihnen oftmals erwartet, dass sie ihren Beruf aufgeben und sich nur noch um die Kinder und die Küche kümmern. Wir werden von Traditionen und Gesetzen diskriminiert, nur weil wir Frauen sind. Aber egal ob weiblich oder männlich, wir alle leben in einem unfreien, korrupten System. Man kann andere Menschen zwingen, einen zu respektieren, indem man professionell ist und Karriere macht.

 

Die ARIJ sind die einzige Organisation ihrer Art in der arabischen Welt. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von internationalen Medien?

Ja, das würde mich freuen. Sie könnten uns beispielsweise unterstützen, indem sie ihre urheberrechtlich geschützten Inhalte und ihre technischen Fähigkeiten mit uns teilen. Wir leben in einer globalen Welt, in der es keine Grenzen mehr gibt.

 

Die Fragen stellte Lisa Santos

#nr15 Spezial | Audio | International

Unverzichtbar – aber ohne Rückendeckung? (17. August 2015)

Stringer sind die Strippenzieher der Auslandsjournalisten: Die lokalen Mitarbeiter ausländischer Medienvertreter stellen Kontakte zu Einheimischen her, übersetzen und recherchieren. Ohne sie geht es – insbesondere in Krisengebieten – nicht. Doch ihr Einsatz stellt häufig ein persönliches Risiko dar, abgesichert sind die Freiberufler durch deutsche Redaktionen selten.

von Lea Freist und Anna Ullrich (mehr …)