#NR23 | Medienkritik
»Wir müssen viel, viel mehr erklären«

Sissi Pitzer schaut der Medienbranche seit 40 Jahren auf die Finger. Die meiste Zeit davon als verantwortliche Redakteurin des Medienmagazins im Bayerischen Rundfunk. Wie beurteilt sie die aktuelle Lage des Medienjournalismus?

 

Frau Pitzer, Hans Jürgen Jakobs, früherer Handelsblatt-Chefredakteur und auch Medienjournalist, hat jüngst ein düsteres Bild vom aktuellen Zustand des deutschen Medienjournalismus gezeichnet. Stimmen Sie ihm zu?
Ich teile seine Ansicht nur sehr bedingt. Also ja, Medienjournalismus ist Nischen-Journalismus. Und ja, er ist in den vergangenen Jahren vor allem in den klassischen Medien massiv abgebaut worden. Aber was man nicht übersehen darf, ist, dass auf der anderen Seite auch sehr viel aufgebaut worden ist. Es gibt eine ganze Reihe von Diensten, von Blogs, von Fachinformationen online, die sich gerade auch mit dem Bereich Social Media im weitesten Sinne beschäftigen. Es geht um die Frage, wie Menschen Medien konsumieren. Und damit befassen sich Journalist*innen eigentlich relativ viel. Das hat eben nicht mehr so einen festen Platz wie früher eine Rubrik wie »Medienjournalismus«.

Foto: Media Women ConnectIst der in den vergangenen Jahren zunehmende Abbau von medienjournalistischen Ressorts in Verlagen und Medienhäusern ein Problem?
Ich finde es ein großes Problem, dass es in vielen größeren Redaktionen tatsächlich keinen Medienjournalismus mehr gibt. Da geht es gar nicht darum, ob es eine spezielle Seite, ein spezielles Ressort gibt, sondern dass man überhaupt auf den Bereich Medien schaut. Das ist bei den großen Zeitungen und Zeitschriften noch der Fall, auch wenn sie nicht immer ein eigenes Ressort dafür haben. Es gibt ja zum Beispiel auch Medienjournalismus bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Und den gab es zum Beispiel in den 1980er- und 1990er-Jahren in dieser Form nur sehr viel geringer als heute. Das hat durchaus zugenommen. Da muss man nicht nur auf ZAPP gucken. Es gibt im Radio eine ganze Reihe von sehr guten Medien-Sendungen. Also, da ist was erkannt worden und davon würde ich mir tatsächlich mehr wünschen.

Wozu führt es, wenn durch die Abnahme des Medienjournalismus weniger Selbstkontrolle innerhalb der Profession stattfindet?
Ich sehe das durchaus negativ. Gerade dadurch, dass wir als Journalist*innen nicht mehr die einzigen Gatekeeper*innen sind, wäre es eigentlich umso wichtiger, kritisch auf die eigene Profession und alles drumherum zu schauen. Gerade auf diesen Social Media-Bereich, in dem sehr viel Falschinformationen, sehr viel Propaganda, sehr viel einseitige Inhalte hochgespült werden. All diese Geschichten müssten kritischer beleuchtet werden. Und das fehlt auf jeden Fall.

Braucht nicht auch das breite Publikum einen Medienjournalismus, der ein Grundverständnis für die Medienwelt vermittelt, um den rezipierten Journalismus kritisch einordnen zu können?
Genau das ist das große Problem. Also ich sag mal, früher, als ich einfach mal eine Tageszeitung zum Frühstück bekommen habe und die aufgeschlagen habe, da konnte ich mich im Großen und Ganzen darauf verlassen, dass das, was da steht, stimmt. Also die Redaktion kannte ich im Zweifelsfall, die Zeitung kannte ich seit Jahren, die wurde schon von meinen Eltern gelesen und so weiter. Und man war sehr viel näher dran, weil es ja ganz stark um Regionales ging. Heute kommen ganz viele Informationen irgendwoher und die Menschen können nicht mehr einschätzen, was eine vertrauenswürdige Quelle ist und was nicht. Und da, finde ich, liegt einiges im Argen. Da müssten auch wir uns als Journalist*innen und auch gerade als Medienexpert*innen an die eigene Nase packen und sagen: Was tun wir eigentlich, um Kompetenzen zu vermitteln? Wie unterscheide ich Quellen? Da passiert zu wenig.

Medienjournalismus ist unbequem und als Journalist*in gilt man schnell als »Nestbeschmutzer«. Wie groß ist das Interesse an einem kritischer Medienjournalismus innerhalb der eigenen Branche wirklich?
Das ist groß. Aber es sollte nicht so sehr um die Beschäftigung mit »wir über uns« gehen, sondern Medienjournalismus muss das Publikum im Auge haben.

Reagieren Journalist*innen nicht vielleicht auch mal empfindlicher, wenn es um die eigenen Fehler oder Missstände in der eigenen Branche geht?
Nein, wenn es eine gute und fundierte Recherche ist, die auf Fakten beruht und sachlich dargelegt wird, glaube ich nicht, dass die Empfindlichkeit größer ist.

In der Breite wird der Medienjournalismus weniger. Wie sieht es bei der Tiefe der Recherchen aus?
Ich finde, dass es sehr viele tiefgreifende Recherchen gibt. Manchmal ist es mir sogar zu detailliert. Aber was mir fehlt, ist die Breite der Themen. Also gerade das Beispiel Springer ist sehr beliebt. Da stürzt sich alles drauf. Aber mal auf die Südwestdeutsche Medienholding zu gucken, zu der die Süddeutsche Zeitung gehört und die Stuttgarter Zeitung, die seit Jahren ein irres Sparprogramm fahren. Oder auf den Focus, auf den Burda Verlag generell, wo es ganz schwierig ist zu recherchieren und etwas herauszufinden. Das fehlt mir auch. Selbst beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem ich ja selbst 25 Jahre angehört habe, könnte man manchmal noch sehr viel tiefer gucken und vielleicht mal in Unterlagen reinschauen, die durchaus zugänglich sind wie Geschäftsberichte. Um herauszufinden, wo eigentlich manche Gelder versacken. Es gäbe viele, viele Themen, die man recherchieren könnte. Es fehlt aber an Zeit und Kapazitäten.

Wo sehen Sie das Potenzial von medienjournalistischen Podcasts?
Ich würde mir wünschen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk neben den Angeboten der einzelnen Sender einen übergreifenden Podcast macht, wo wir erklären, wie Journalismus funktioniert. Wir Journalist*innen für das Publikum. Ich finde, wir müssen viel, viel mehr erklären. Wie kommen Themen in eine Sendung, wie entsteht eine Nachricht? Welche Protagonist*innen interviewen wir? Warum laden wir bestimmte Leute ein oder nicht ein? Warum wird ein Thema so hochgefahren und geht dann wieder verloren? Warum werden andere Themen nicht gemacht? Also ich glaube, das wäre wertvoll für unser Publikum, denn das Nichtwissen, wie Journalismus funktioniert, ist beängstigend. Es wäre aber auch hilfreich für uns selbst, als Journalist*innen. Es wäre für alle eine Bereicherung. Das würde ich mir tatsächlich wünschen im Medienjournalismus, dass Kolleg*innen, die jetzt nach mir das Thema bearbeiten, es schaffen, so eine Art übergreifenden Podcast ins Leben zu rufen, der dann vielleicht auch entsprechende Resonanz hätte und, ganz wichtig, auch Transparenz für unsere Arbeit schaffen würde.

Sie sind jüngst in den Ruhestand gegangen und überlassen das medienjournalistische Feld nun anderen. Gehen Sie mit einem guten Gefühl?
Ich bin da zuversichtlich. Ich sehe immer auch junge Kolleg*innen, gerade im Bereich Social Media, die da wirklich super Kompetenzen haben und sich darauf stürzen. Es ist schon interessant, die großen Linien zu ziehen, ohne die Perspektive »Früher war alles besser«. Da war vieles ganz bestimmt anders, aber es war nicht alles besser. Und von daher ist einfach zu hoffen, dass auch bei den Verantwortlichen das Bewusstsein bleibt, egal ob das Chefredakteur*innen bei Print oder beim Rundfunk sind, dass die Beschäftigung mit der eigenen Branche relevant ist. Es wird ja immer so schön gesagt: Medien sind wichtig für die Demokratie. Dann ist auch Medienjournalismus wichtig für die Demokratie.

Die Fragen stellte Clara Veihelmann.

16. August 2023