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„Unsere Situation hat sich nicht verbessert“

Investigativer Journalismus in der Ukraine

Alexei Bobrovnikov (37) mit Anastasia Galuschenko (19), der Tochter des verstorbenen Andrij Galuschenko.

Alexei Bobrovnikov (37) mit Anastasia Galuschenko (19). Die Tochter des verstorbenen Andrij Galuschenko besucht ihn im Exil. // Foto: Alexander Salenko

Der ukrainische Journalist Alexei Bobrovnikov recherchierte Ende August 2015 zum Schmuggel zwischen ukrainischen Truppen und den Separatisten im Donbass. In seinem beruflichen Umfeld kam es zu mehreren ungeklärten Todesfällen. Er selbst erhielt ebenfalls Morddrohungen. Seit einem Jahr ist Bobrovnikov Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Im Message-Interview rekapituliert der Invetigativjournalist, wie es zu diesem – hoffentlich vorübergehenden – Exil kam.

Herr Bobrovnikov, Sie mussten ihre Heimat, die Ukraine, im vergangenen Winter verlassen. Was war der Grund?
Bobrovnikov: Seit September 2015 gab es eine Reihe von Einschüchterungsversuchen und Morddrohungen gegen mich, unter anderem von Angehörigen der 92. Brigade der ukrainischen Armee. Diese Leute werden verdächtigt, meinen Informanten Andrij Galuschenko getötet zu haben. Galuschenko bekämpfte im Auftrag der ukrainischen Regierung den Schmuggel an der Front.

Die Armee behauptet, die Separatisten seien schuld an seinem Tod.
Der Angriff auf die Gruppe von Galuschenko fand in einem Gebiet statt, in dem die Präsenz von Feindtruppen nicht mal theoretisch möglich ist. Auch ein Hauptmann der 80. Brigade, Wolodymyr Kijan, verdächtigte die 92. Brigade, Galuschenko ermordet zu haben. Er ist nur einen Tag nach Galuschenko im selben Gebiet unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen.

Ein Gericht hat die angeklagten Angehörigen der 92. Brigade vor kurzem freigesprochen. Was denken Sie über dieses Urteil?
In den vergangenen zwei Jahren haben meine Mitstreiter und ich versucht, die Ermittlungen nachzuvollziehen. Unser Team konnte so verhindern, dass die Verantwortung für den Galuschenko-Mord einem unschuldigen Mann zugeschoben wurde, der zum Zeitpunkt der Tat Hunderte Kilometer entfernt war. Erst später ermittelten die Behörden in eine Richtung, die mit unseren Erkenntnissen übereinstimmte: Motiv und Möglichkeit zum Mord an Galuschenko hatten nur die Angehörigen der 92. Brigade. Darüber, warum sie jetzt freigesprochen wurden, möchte ich nicht spekulieren.

Sie haben damals beim TV-Sender 1+1 gearbeitet. Konnten Sie frei über das heikle Thema berichten?

In den sieben Monaten nach dem Tode von Galuschenko haben wir etwa zehn TV-Beiträge zum Schmuggel und zu den unaufgeklärten Morden im Zuständigkeitsbereich der 92. Brigade veröffentlicht. Aber als wir Zugang zum Rechner von Galuschenko bekamen und dort belastendes Material gegen das Polizeibataillon Kiew-2 fanden, baten mich Verantwortliche des Senders, mit der Veröffentlichung neuer Rechercheergebnisse zu warten und weitere Recherchen einzustellen. 1+1 verhinderte in der Folge die Veröffentlichung meiner Beiträge und ließ mich nicht mehr vernünftig arbeiten.

Sie wurden kaltgestellt…
Es kommt noch besser: Wenig später kam der Sender auf die Idee, Angehörige von Armee und Polizei mit Auszeichnungen für „Vertrauen und Zusammenarbeit“ zu ehren, darunter die Kommandeure von Kiew-2 und der 92. Brigade. Dem Sender war bekannt, dass beide unter dem Verdacht stehen, Morde angeordnet zu haben. Ich habe diese Preisverleihung öffentlich kritisiert, aber mich intern gegen die Zensur zur Wehr zu setzen, hatte keinen Sinn.

Wie ging es für Sie weiter?
Ich habe unter der Bedingung, dass ich das gesamte Video-Material zu dem Fall mitnehmen kann, die Kündigung unterschrieben. Es sind Beweisstücke.


Ist dieser Druck seitens des Senders typisch für den Journalismus in der Ukraine?

Total. Untypisch war eher die Tatsache, dass ich an diesem Fall sieben Monate lang frei arbeiten konnte.

Wie üben Sicherheitskräfte oder Armee Druck auf Medien oder einzelne Journalisten aus?
Es kommt zu Anrufen in der Redaktion. Das können Drohungen sein oder auch Anfragen an Vorgesetzte oder Eigner, die in irgendeiner Weise mit hochrangigen Politikern in Beziehung stehen.

Hat man nur Ihnen oder auch Ihrer Familie gedroht?
Es gab seltsame Anrufe bei meiner Mutter. Gedroht wurde nicht, nur darauf hingewiesen, dass man die Telefonnummer kenne und die Lage überwache. Das Telefon klingelte, sobald Bewegung in den Fall kam. Zum Beispiel als ein Vertreter der Militärstaatsanwaltschaft im Fernsehen die Vermutung äußerte, dass ich das nächste Ziel der Mörder sei. Mich daraufhin unter Zeugenschutz zu stellen, hat die Staatsanwaltschaft abgelehnt.

Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um sich zu schützen?
Kurz nach dem Tod von Andrij habe ich Teile eines Interviews mit ihm veröffentlicht, um unsere Gruppe zu schützen, die zu dem Zeitpunkt noch an der Front gearbeitet hat. Ich gehe mit Absicht an die Öffentlichkeit, denn solange ich explizit nur über den Fall berichte und mir dabei etwas zustößt, wäre die Motivlage der Täter eindeutig. Nur die größtmögliche Öffentlichkeit kann Journalisten in der Ukraine eine Art Schutz bieten.

Wessen Interessen darf man als ukrainischer Journalist auf gar keinen Fall offenlegen?
Um das zu erfahren, müsste man die Auftraggeber all der Morde an Journalisten in den letzten Jahren ermitteln. Das hat aber nie stattgefunden. Ich kann bis heute nicht ganz verstehen, ob das, was mit mir passierte, Einschüchterung war oder der ernsthafte Wunsch, mich umzubringen.

Gibt es in ukrainischen Medien inoffizielle Absprachen dazu, worüber man nicht berichten sollte, bestimmte „verbotene“ Themen?

Auf jeden Fall. 1+1 äußert beispielsweise nie Kritik an Innenminister Arsen Avakow, weil er und der Eigner des Senders, Ihor Kolomojskyj, eine freundschaftliche Beziehung pflegen. Wie ich hat auch der Sender ICTV zum Schmuggel an der Front recherchiert. Obwohl der Beitrag dazu fertig war, wurde er nie gesendet. Es gab weder Beanstandungen noch eine Erklärung, also muss es Zensur gewesen sein.

Wie frei können Journalisten von der Front berichten?

Als wir vor zwei Jahren an der Front waren, gab es noch sogenannte mobile Gruppen zur Schmuggelbekämpfung. Wenn Journalisten sich ihnen anschlossen, gab es kaum Einfluss der Armee. Heute gibt es die Gruppen nicht mehr. Du kannst nicht mitten im Krieg ein freier Künstler sein.

Gibt es Fälle, in denen Journalisten unangenehme Wahrheiten verschweigen?

Es gibt häufig einen ehrlichen, sentimentalen Wunsch, der Armee zu helfen. Doch mit der Unterschlagung unangenehmer Wahrheiten richten Kollegen eher Schaden an. Verschleierung führt zu Machtmissbrauch, Straflosigkeit und vermutlich zu weiteren unaufgeklärten Todesfällen.

Und trotzdem haben Sie Verständnis für die Einschränkung der Pressefreiheit im Krieg?
Im Krieg ist Pressefreiheit kompliziert. Trotz meiner eigenen Situation befürworte ich die Militärzensur. Militäroperationen oder Verluste dürfen aus taktischen Gründen nicht sofort publik werden. Doch aktuell dient diese Zensur anderen Interessen, und zwar dem Verschleiern von kriminellen Machenschaften. Das Hauptproblem bleibt die alles durchdringende Korruption.

Hat die Maidan-Revolution den Journalismus in der Ukraine freier gemacht?

Unsere Situation hat sich nach der Revolution nicht verbessert. Die Gefahr für Journalisten ist permanent gegeben.

Was müsste passieren, damit Sie in die Ukraine zurückkehren können?
Die Gruppe, die gedroht hat, mich umzubringen, muss außer Gefecht gesetzt werden. Denn ich weiß nicht, wie weit diese Leute tatsächlich gehen würden.

Die Fragen stellte Alexander Salenko.

18. Dezember 2017