#nr19 | Handwerk
„Neu ist nicht automatisch besser“

Wissenschaftsjournalistin Nicola Kuhrt über redaktionelle Fehler, Gründe dafür und Wege, sie zu vermeiden.

 

Selbst renommierten Redaktionen unterlaufen immer wieder Fehler, wenn sie über Studienergebnisse berichten. Wie kann das sein?
Kuhrt: Fehler passieren. Oft ist es aber ein Zeitproblem. Wenn man etwa bei einer Tageszeitung arbeitet, die gerade die Hälfte der Belegschaft entlassen hat und der Redaktionsschluss naht, ist nicht immer genug Zeit, noch alle Rückfragen zu einer Studie zu stellen. Was auch immer wieder passiert: Es wird mehr oder minder unkommentiert eine Pressemitteilung übernommen.

Die Enthüllungen zu #FakeScience haben gezeigt, dass nicht jeder vermeintlich wissenschaftlichen Publikation zu trauen ist. Welche Rolle spielt Wissenschafts-PR?
In Deutschland gibt es eine starke Lobby, die zum Beispiel für Medizinprodukte oder Arzneimittel wirbt. Nicht immer ist schnell erkennbar, wenn mit einer Studie oder dem Magazin, in dem sie erscheint, etwas nicht stimmt. Man muss wachsam sein und – wie bei anderen Themen auch – kritisch drauf gucken.

Muss ich Medizin oder Biologie studiert haben, um fundiert über wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich Gesundheit berichten zu können?
Bei vielen Themen ist entsprechendes Fachwissen von Vorteil. Grundsätzlich muss man das Fach aber nicht studiert haben, denke ich. Man sollte dann nur besonders sorgfältig an die Recherche herangehen, mit verschiedenen Fachleuten sprechen und sich immer die Qualität und Aussagekraft der Studie angucken. Da gibt es ein paar einfache Kriterien, die man prüfen kann, ohne die Studie bis ins letzte Detail zu verstehen.

Und die wären?
Zuerst kann man schauen, ob die Studie in einem renommierten Journal wie Nature, Cell oder Science erschienen ist. Hier wird jede Publikation vor Veröffentlichung von Kollegen des gleichen Faches kritisch angesehen. Dann kann man prüfen: Um welche Art Studie handelt es sich? Um eine randomisierte kontrollierte Studie mit vielen Teilnehmern oder um eine kleine erste Untersuchung, die in der Petrischale durchgeführt wurde? Auch sollte man auf die Interessen der beteiligten Forscher achten: Seriöse Wissenschaftler geben in ihrer Veröffentlichung an, ob finanzielle Abhängigkeiten bestehen. Bei vielen Fragen zu Studien oder Ereignissen mit wissenschaftlichem Bezug kann man sich als Journalist auch an das Science Media Center wenden.

Wann müssen die Alarmglocken schrillen?
Bei Interessenskonflikten. Zum Beispiel wenn ein Wissenschaftler ein neues Medikament als Wunder bejubelt, selbst aber an dem Start-up beteiligt ist, das dieses Mittel vermarkten will. Generell kann man sagen: Wenn mittels einer Studie eine Sensation oder ein Durchbruch behauptet wird, sollte man immer fünf Mal nachrecherchieren. Und: Wenn mittels einer Studie behauptet wird, ein neuer Wirkstoff sei das ultimative Mittel für eine bestimmte Patientengruppe, stimmt dies oft nicht: Neu ist nicht automatisch besser.

Das Interview führte Leonie Wunderlich

15. August 2019