#nr22 | Klimajournalismus
Es fehlt an Grundwissen über den Klimawandel

Die Berichterstattung über den Klimawandel wird seiner Tragweite nicht gerecht. Lässt sich das ändern?

von Alyona Gula

1,5 Grad. Das klingt nicht nach viel und schon gar nicht dramatisch. Ist es aber, wenn man auf den jüngsten Bericht des Weltklimarates IPCC vertraut. Dass die Reaktionen darauf eher unzureichend erscheinen, ist sicher nicht allein die Schuld der Medien. Aber auch ihnen ist es bislang nicht gelungen, die Tragweite des globalen Phänomens adäquat abzubilden und so die Öffentlichkeit von der Dringlichkeit des Problems zu überzeugen. Journalisten seien meist sehr gut darin, aktuelle Ereignisse, Krisen oder Extremwetterereignisse zu beschreiben, sagt der Hamburger Professor für Klima- und Wissenschaftskommunikation Michael Brüggemann. „Der Klimawandel ist aber kein Ereignis.“ Er sei zu langsam für den Journalismus und bleibe deshalb unter dem Radar.

Immer die gleichen Expert*innen

Die wohl größte Herausforderung für den Klimajournalismus ist die Komplexität des Themas. Neben den naturwissenschaftlichen Zusammenhängen umfasst es verschiedene Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und sogar individuelles Handeln. Zudem fehle vielen Journalist*innen ein Basiswissen über das Klima, erklärt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf von der Universität Potsdam in einem Podcast. „Je weniger sich Journalisten mit einem Thema auskennen, umso mehr laufen sie immer zu den gleichen Experten“, ergänzt Kommunikationswissenschaftler Brüggemann von der Universität Hamburg. Man brauche dieses Basiswissen auch, um die komplexen Zusammenhänge für das Publikum verständlich darzustellen. „Man muss das Thema sehr gut verstehen, um es vereinfachen zu können“, so Brüggemann.

Außerdem führt der journalistische Reflex, immer auch die Gegenseite anzuhören, mitunter zu einer „false balance“, einer verzerrenden falschen Ausgewogenheit. „Man gibt extremen Stimmen das Wort, anstatt relevante Stimmen zu zitieren“, erklärt Brüggemann das Phänomen. Werden etwa ein*e Leugner*in des Klimawandels und ein*e Wissenschaftler*in in eine Talkshow eingeladen, macht es den Eindruck, als hätten beide Positionen den gleichen Stellenwert. Dabei repräsentiert die eine Person die überwältigende Mehrheit aller Klimaforschenden, während die andere Person für eine eher kleine, oft laienhafte, dafür aber umso lautere gesellschaftliche Gruppe steht.

Es tut sich etwas

Viele Journalist*innen haben das Problem erkannt. Es tut sich etwas. In Frankreich unterzeichneten jüngst mehr als 1.200 Journalist*innen eine Charta für besseren Klimajournalismus. In Deutschland hat sich bereits 2021 das Netzwerk Klimajournalismus gegründet. Konkrete Verbesserungsvorschläge wurden kürzlich in einem Correctiv-Workshop erarbeitet: So sollten die Auswirkungen des Klimawandels nicht nur anhand wissenschaftlicher Fakten, sondern persönlicher Geschichten nachvollziehbar gemacht werden. Auch sollten lieber einzelne Aspekte herausgegriffen werden, anstatt die Komplexität des Themas ganz abbilden zu wollen.

Der Medienmanager, Journalist und Mitgründer des „Oxford Climate Journalism Network“, Wolfgang Blau, warnt davor zu glauben, dass die Antwort auf jedes Problem, das jemals existiert habe, darin bestehe, mehr Journalismus darüber zu produzieren. Journalist*innen stellten sich selten die Frage, „ob ihr Publikum überhaupt das notwendige Grundwissen über den Klimawandel hat, um den für sie produzierten Journalismus zu verstehen“, sagte Blau in einem Vortrag an der Universität Oxford.

Auf der re:publica-Konferenz 2022 plädierte Blau auch für die Förderung eines Klimagrundwissens. „Dieses Grundwissen zu vermitteln ist der mit Abstand wichtigste journalistische Bildungsauftrag dieser nächsten Jahre.“ Natürlich sei die öffentliche Aufklärung nicht allein Aufgabe des Journalismus, so Blau, aber er spiele schon eine entscheidende Rolle in dem Prozess.

12. Oktober 2022