#nr22 | Klimajournalismus

Es fehlt an Grundwissen über den Klimawandel (12. Oktober 2022)

Die Berichterstattung über den Klimawandel wird seiner Tragweite nicht gerecht. Lässt sich das ändern?

von Alyona Gula

1,5 Grad. Das klingt nicht nach viel und schon gar nicht dramatisch. Ist es aber, wenn man auf den jüngsten Bericht des Weltklimarates IPCC vertraut. Dass die Reaktionen darauf eher unzureichend erscheinen, ist sicher nicht allein die Schuld der Medien. Aber auch ihnen ist es bislang nicht gelungen, die Tragweite des globalen Phänomens adäquat abzubilden und so die Öffentlichkeit von der Dringlichkeit des Problems zu überzeugen. Journalisten seien meist sehr gut darin, aktuelle Ereignisse, Krisen oder Extremwetterereignisse zu beschreiben, sagt der Hamburger Professor für Klima- und Wissenschaftskommunikation Michael Brüggemann. „Der Klimawandel ist aber kein Ereignis.“ Er sei zu langsam für den Journalismus und bleibe deshalb unter dem Radar.

Immer die gleichen Expert*innen

Die wohl größte Herausforderung für den Klimajournalismus ist die Komplexität des Themas. Neben den naturwissenschaftlichen Zusammenhängen umfasst es verschiedene Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und sogar individuelles Handeln. Zudem fehle vielen Journalist*innen ein Basiswissen über das Klima, erklärt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf von der Universität Potsdam in einem Podcast. „Je weniger sich Journalisten mit einem Thema auskennen, umso mehr laufen sie immer zu den gleichen Experten“, ergänzt Kommunikationswissenschaftler Brüggemann von der Universität Hamburg. Man brauche dieses Basiswissen auch, um die komplexen Zusammenhänge für das Publikum verständlich darzustellen. „Man muss das Thema sehr gut verstehen, um es vereinfachen zu können“, so Brüggemann.

Außerdem führt der journalistische Reflex, immer auch die Gegenseite anzuhören, mitunter zu einer „false balance“, einer verzerrenden falschen Ausgewogenheit. „Man gibt extremen Stimmen das Wort, anstatt relevante Stimmen zu zitieren“, erklärt Brüggemann das Phänomen. Werden etwa ein*e Leugner*in des Klimawandels und ein*e Wissenschaftler*in in eine Talkshow eingeladen, macht es den Eindruck, als hätten beide Positionen den gleichen Stellenwert. Dabei repräsentiert die eine Person die überwältigende Mehrheit aller Klimaforschenden, während die andere Person für eine eher kleine, oft laienhafte, dafür aber umso lautere gesellschaftliche Gruppe steht.

Es tut sich etwas

Viele Journalist*innen haben das Problem erkannt. Es tut sich etwas. In Frankreich unterzeichneten jüngst mehr als 1.200 Journalist*innen eine Charta für besseren Klimajournalismus. In Deutschland hat sich bereits 2021 das Netzwerk Klimajournalismus gegründet. Konkrete Verbesserungsvorschläge wurden kürzlich in einem Correctiv-Workshop erarbeitet: So sollten die Auswirkungen des Klimawandels nicht nur anhand wissenschaftlicher Fakten, sondern persönlicher Geschichten nachvollziehbar gemacht werden. Auch sollten lieber einzelne Aspekte herausgegriffen werden, anstatt die Komplexität des Themas ganz abbilden zu wollen.

Der Medienmanager, Journalist und Mitgründer des „Oxford Climate Journalism Network“, Wolfgang Blau, warnt davor zu glauben, dass die Antwort auf jedes Problem, das jemals existiert habe, darin bestehe, mehr Journalismus darüber zu produzieren. Journalist*innen stellten sich selten die Frage, „ob ihr Publikum überhaupt das notwendige Grundwissen über den Klimawandel hat, um den für sie produzierten Journalismus zu verstehen“, sagte Blau in einem Vortrag an der Universität Oxford.

Auf der re:publica-Konferenz 2022 plädierte Blau auch für die Förderung eines Klimagrundwissens. „Dieses Grundwissen zu vermitteln ist der mit Abstand wichtigste journalistische Bildungsauftrag dieser nächsten Jahre.“ Natürlich sei die öffentliche Aufklärung nicht allein Aufgabe des Journalismus, so Blau, aber er spiele schon eine entscheidende Rolle in dem Prozess.

#nr22 | Klimajournalismus

Klimakrise vor Ort (12. Oktober 2022)

Wie Lokaljournalist*innen den Klimawandel erklären können

von Steven Vorphal

Wetterbedingte Naturkatastrophen haben weltweit deutlich zugenommen. Egal ob Waldbrände in Kalifornien oder Überschwemmungen in Australien: Deutsche Medien berichten darüber. Sie übersehen dabei jedoch häufig, dass der Klimawandel bereits vor der eigenen Haustür stattfindet.

Klimareporterin Gesa Steeger arbeitet seit Februar für Correctiv.Klima und will das ändern. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen unterstützt sie Lokalredaktionen bei Klimathemen. „Wir versuchen Lokaljournalist*innen in diesen Recherchen zu unterstützen, weil im Lokaljournalismus nicht immer die Zeit und Ressourcen für lange Recherchen da sind“, sagt Steeger. Correctiv.Klima übernehme Anfragen bei Behörden und arbeite investigativ. So wie bei ihrer Recherche zum Thema Grundwasserknappheit. „Wasser ist bereits häufig ein Thema vor deutschen Gerichten“, sagt Steeger und nennt ein Beispiel: „Landwirte und Naturschützer aus Niedersachsen klagen, weil ein Wasserverband aus Hamburg in der Region mehr Wasser fördern möchte, und die Kläger befürchten, dass das entnommene Wasser der Natur und auf den Feldern fehlen könnte.“ Oder es seien Kommunen, die vor Gericht gehen, weil eine Fabrik zu viel Wasser aus der Region nehme, wodurch die Grundwasserstände sänken.

Ist das Wetter normal?

„Wir haben die Rechercheergebnisse für jedes Bundesland zusammengefasst und den Lokalen zur Verfügung gestellt, damit sie feststellen können, welche Konflikte es in ihrer Region gibt“, sagt Steeger. Die Idee hinter diesem Projekt solle weiter ausgebaut werden, um gute Klimarecherchen in die Zeitungen zu bringen, denn „Klima“ finde auf jeden Fall lokal statt. „Es hört sich immer so abstrakt an, das Wort Klima oder Klimakrise, aber tatsächlich sind die Auswirkungen in Deutschland überall sichtbar“, sagt Steeger. Felder und Wälder seien immer häufiger verdorrt und Badeseen ausgetrocknet. Hier liege eine Chance: „Lokalredaktionen sind die Ersten, die die Antworten liefern können, da sie eben vor Ort sind. Und es ist wichtig, dass man die Menschen mit konkreten lokalen Beispielen mitnimmt“, zeigt sich Steeger sicher.

Wie das gelingen kann, demonstriert Simon Koenigsdorff von der Stuttgarter Zeitung (StZ) mit der „Klimazentrale Stuttgart“: „Im Wesentlichen ist es ein Datentool, das wir gebaut haben, um die Grundfrage zu beantworten, ob das Wetter gerade im Vergleich zu früher eigentlich normal ist.“ Hierzu werden aktuelle Wetterdaten mit Langzeitmessreihen von Wetterstationen in der Region Stuttgart verglichen und Normalbereiche für Temperatur und Niederschlag definiert. Als Referenzzeitraum dienen die Jahre 1961 bis 1990, da sie vergleichsweise wenig vom menschengemachten Klimawandel betroffen waren. „Damit versuchen wir, soweit es eben möglich ist, mit einem automatischen Tool die Verbindung zwischen aktuellem Wetter und Klimakrise hinzubekommen“, so Koenigsdorff. Momentan werden rund 600 Postleitzahlgebiete in und um Stuttgart herum mit 14 Wetterstationen abgedeckt. Zwölf Wetterstationen gehören dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und jeweils eine der Stadt Stuttgart und der Landesanstalt für Umwelt. Die „Klimazentrale“ findet man in Form eines Dashboards auf der Internetseite der StZ. Koenigsdorff erklärt, wie es funktioniert: „Man gibt seinen Ort ein und bekommt die Daten von einer nahegelegenen Wetterstation.“

Hinter der Dashboard-Ansicht gibt es automatisierte Artikel für jedes der Postleitzahlgebiete, die die kompakten Informationen mit ausführlicheren Texten und Grafiken genauer einordnen und den Bezug zur Klimakrise herstellen. „Wir versuchen den Leuten etwas zu zeigen, das möglichst nah an ihrer Lebensrealität ist“, sagt Koenigsdorff. „Die Idee ist, ich trete vor meine Haustür, frage mich, ist es eigentlich normal, dass es um diese Jahreszeit schon so warm ist, gehe auf die Website und kann dort eben nachschauen, ob es stimmt oder nicht.“

Die „Klimazentrale Stuttgart“ unterstützt mit den Daten die lokale Berichterstattung über Wetter und Klimathemen und liefert anlassbezogen direkt passende Inhalte und Grafiken. „Wenn die nächste Hitzewelle kommt, haben wir die Daten und müssen nicht neu anfangen zu recherchieren“, so Koenigsdorff und erklärt weiter: „Wir versuchen das, was wir machen, lokal so weit für die Leute herunterzubrechen, dass diese Daten ihnen vor Ort etwas bringen. Denn der lokale Bezug ist der Grund, warum uns die Leute lesen.“

Um das Phänomen Klima erklären zu können, sei Datenjournalismus sehr wichtig, stellt Koenigsdorff fest: „Ein gutes Beispiel für Visualisierung von Daten sind Klimastreifen, die langfristige Temperaturentwicklungen sehr gut verdeutlichen.“

Diese Meinung vertritt auch Correctiv.Klima. „Daten helfen enorm dabei, Probleme sichtbar zu machen, die bisher noch gar nicht im Bewusstsein angekommen sind“, sagt Steeger. Zwar sei die Klimaberichterstattung immer wissenschaftsbasiert, habe aber in so gut wie allen Fällen einen Schnittpunkt mit anderen Ressorts. So sei es Aufgabe von Journalist*innen, Daten einzuordnen und zu zeigen, „dass es keine normale Dürre ist, sondern mit der Klimakrise zusammenhängt“.

Kein riesiges Team nötig

Viele gute Geschichten könne der Datenjournalismus im Lokalen liefern, ist sich Koenigsdorff sicher. „Mit Tools wie Datawrapper und Spreadsheets ist es technisch relativ unaufwändig, wenn man weiß, wie und wo man Daten herkriegt, und es jemanden gibt, der sich darum kümmert. Es muss nicht immer ein riesiges Team sein, das deutschlandweite Fallhöhe anstrebt.“

Bei der Datenrecherche unterstützen Steeger und ihre Kolleg*innen. „Ich glaube, es ist gut, sich mit anderen Journalist*innen zu vernetzen, die zum Thema Klima arbeiten“, sagt Steeger.

Auch Koenigsdorff sieht viel Potenzial, „wenn die Redaktionen den Nutzen für ihr Publikum erkennen“. Mit Blick auf die niedrige Einstiegshürde empfiehlt er: „Sollten Redaktionen noch nichts Datenjournalistisches aufgebaut haben, wäre es langsam Zeit.“