Kommunikationswissenschaft
Die mediale Spaltung Deutschlands

Ostdeutsche Journalisten sind in den Führungsetagen deutscher Leitmedien, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und selbst bei ostdeutschen Regionalzeitungen unterrepräsentiert. Gleichzeitig lesen Ostdeutsche kaum überregionale Medien mit Sitz in der alten BRD. Ein neues Diskussionspapier des Kommunikationswissenschaftlers Lutz Mükke im Auftrag der Otto Brenner Stiftung ergründet diesen Befund und skizziert dafür die Entwicklung der ostdeutschen Medienlandschaft vor und nach der Wende.

von Pia Seitler

Mehr als 30 Jahre nach der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland handelt der innerdeutsche Ost-West-Diskurs weiter von mangelnder Partizipation und Repräsentation. Die Rolle der Massenmedien war dabei lange eher selten ein Thema. Lutz Mükke, ostdeutscher Journalist, Message-Herausgeber und promovierter Kommunikationswissenschaftler, nimmt dies zum Anlass für das Diskussionspapier „30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung: Schreiben Medien die Teilung Deutschlands fest?“. Mükke untersucht darin die Entwicklung der Medien in Ostdeutschland seit der Wende.

Dass sich der Osten Deutschlands bis heute als „eine massenmedial multiple Problemzone“ erweist, konstatiert der Autor bereits im Vorwort. In einer anschließenden faktenreichen, historischen Analyse der Medienlandschaft Ostdeutschlands wirft Mükke einen Blick zurück in die Zeit vor und direkt nach der Wende. Für seine Recherche sprach er mit Medienakteur*innen und Wissenschaftler*innen über die Partizipation, Repräsentation und System-Loyalität der Ostdeutschen.

Goldgräberstimmung

Ein Ergebnis der Analyse Mükkes zur Medienlandschaft der DDR ist, dass diese zwar von einer quantitativ hohen Pressedichte und Angebotsbreite geprägt war, von Pressefreiheit jedoch nicht die Rede sein konnte. Als sich im Herbst 1989 die Presselenkungssysteme auflösten, reformierten sich die Medienhäuser schnell selbst. 1990 begann die Privatisierung der Verlagslandschaft durch die Treuhand – ein Prozess an dessen Ende die Regionalzeitungen im Osten beinahe ausschließlich an westdeutsche Verlage verkauft worden waren und nahezu alle der nach der Wende neu gegründeten Zeitungen in Ostdeutschland aufgaben.

Im Interview mit dem langjährigen Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen (ehemalige SED-Bezirkszeitung „Das Volk“), Sergej Lochthofen, spricht dieser von „Goldgräberstimmung“, die bei den westdeutschen Verlagen herrschte. Es habe sich ein neuer Markt aufgetan, der aufgrund steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten und Fördermittel für den Aufbau Ost als äußerst attraktiv erschien. „Für den Osten wurde daraus kein Lehrstück in demokratischer Debattenkultur, denn publizistische Vielfalt blieb vielerorts eine schöne Illusion“, sagt der Medienwissenschaftler Hans-Jörg Stiehler im Gespräch.

Im Folgenden skizziert Mükke in Exkursen weitere massenmediale Entwicklungen Ostdeutschlands, wie den Aufbau des Mitteldeutschen Rundfunks, die Auseinandersetzung um einen Ostberliner Jugendsender und er geht der Frage nach, warum überregionale Qualitätsmedien in Ostdeutschland kaum gelesen werden. Dabei zitiert Mükke eine Studie von Claudia Lasslop, wonach der Osten in westdeutschen Leitmedien „als negativ zu bewertende Abweichung von der westdeutschen Realität begriffen wird“.

Westdeutsche Chefs bei ostdeutschen Zeitungen

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt übrigens die Autorin dieses Artikels in einer Inhaltsanalyse von west- und ostdeutschen Tageszeitungen hinsichtlich Frames und Stereotypen über Ostdeutschland. Demnach dominieren bei der Tonalität der Artikel negative Bewertungen in der Berichterstattung. Außerdem werden in ostdeutschen Tageszeitungen mehr Ursachen für Probleme genannt und nicht ausschließlich das Bild des „abgehängten Ossis“ gezeichnet. Dies erweckt den Eindruck, dass Artikel über Ostdeutschland in ostdeutschen Medien mehr in die Tiefe gehen, indem sie mehr Erklärungen für eine bestimmte Situation liefern und die einzelnen Muster weniger von nur einem Thema, dem Rechtstrend, dominiert sind.

In seinem Diskussionspapier führt Mükke auf Basis des 2020 vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Abschlussberichts „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ aus, welche Zusammenhänge zwischen der skizierten Unterrepräsentation von Ostdeutschen und der geringen Legitimität, die Ostdeutschen der Demokratie zusprechen würden, bestehen. Auch auf die immer noch nicht angemessene Repräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen geht der Autor ein. Bis heute würden die meisten Regionalzeitungen im Osten von einem westdeutschen Chefredakteur geführt, stellt Mükke fest. Ostdeutsche Chefredakteure in westdeutschen Zeitungen gebe es hingegen so gut wie gar nicht.

Auch oder gerade in den Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei die Unterrepräsentation von Ostdeutschen eklatant. Von den 50 Gemeinschaftseinrichtungen der ARD beispielsweise sitzt mit dem Kinderkanal in Erfurt nur eine in den Neuen Bundesländern. So seien auch die Forderungen der CDU Sachsen-Anhalt zu verstehen, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Osten, seine Menschen und seine Realitäten kaum widerspiegle. Laut Heiko Hilker, Gründer des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung, können Massenmedien ihren Auftrag, eine lebendige Demokratie zu sichern, nur gerecht werden, wenn beispielsweise Hintergründe von Meinungsverschiedenheiten komplex aufgearbeitet werden.

Immer mehr Ostdeutsche ergreifen das Wort

Der wissenschaftliche, mediale und politische Ost-West-Diskurs habe seit der Jahrtausendwende an Qualität und Schärfe gewonnen. Als Ursache dafür sieht der Autor zum einen das Aufkommen der Eliten-Debatte, den Diskurs über das Wahlverhalten in den neuen Bundesländern sowie zum anderen die Verfestigung von Ost-Identitäten bei jungen Ostdeutschen und das selbstbewusstere Auftreten ostdeutscher Akteur*innen. Die neue Qualität der Debatte über Ostdeutschland und Massenmedien lasse sich laut Mükke auch daran erkennen, wer sie führt. Immer mehr Ostdeutsche verschiedenen Alters sowie unterschiedlicher  politischer und intellektueller Verordnung ergriffen das Wort. Daran lasse sich eine selbstbestimmte Mitprägung des Diskurses erkennen.

Den meisten Medien mangele es an ostdeutschen Mitarbeitern und somit auch an ostdeutschen Sichtweisen und Themen, konstatiert Mükke in seiner lesenswerten Analyse. Sein Vorschlag: eine Ostquote, die mehr Ostdeutsche in die Journalistenschulen, die Zeitungen und Sender sowie in die Redaktionen und auch deren Führungsetagen bringt.

In seinem Diskussionspapier arbeitet Mükke die Entwicklung der ostdeutschen Presselandschaft auf, wie es in dieser Form bisher nicht geschehen ist. Gleichzeitig präsentiert er interessante Denkanstöße. Mükke liefert eine aufschlussreiche Momentaufnahme, erklärt Hintergründe und gibt zudem Handlungsempfehlungen. Damit entsteht eine Grundlage für Diskussionen über Missstände der massenmedialen Berichterstattung in Ost und West und für eine nachhaltige Veränderung eben jener.

Lutz Mükke: 30 Jahre staatliche Einheit – 30 Jahre mediale Spaltung. Schreiben Medien die Teilung Deutschlands fest? Ein Diskussionspapier der Otto Brenner Stiftung, Frankfurt am Main 2021

 

24. März 2021