Ringvorlesung "Lügenpresse"
Vertrauen ist gut, Verständnis ist besser

Die Presse müsse ihre Aufgaben und Arbeitsabläufe, ihre Erfolge und Verfehlungen für das Publikum transparenter machen. Wenn die Rezipienten besser verstehen könnten, wie Journalismus in Deutschland funktioniert, sei auch die Wiederherstellung einer gesunden und gleichzeitig kritischen Beziehung zwischen Medienmachern und Publikum möglich. Es war der vierte Vortrag innerhalb der Ringvorlesung „Lügenpresse“, die das Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg ausrichtet.

Von Torben Steenbuck

Das Wort Lügenpresse sei ein Verdikt, entstanden aus Misstrauen und Geringschätzung gegenüber den Medien. So umschreibt Seniorprofessor Horst Pöttker vom Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg die Kontur eines Kampfbegriffes, der zwar nicht neu, aber immer noch aktuell ist. Die Ringvorlesung Lügenpresse der Universität Hamburg will möglichst alle Facetten dieses Kampfbegriffs beleuchten. Immer wieder stehen dabei die Fragen im Raum: Woher kommt das Misstrauen und wie kann dagegen vorgegangen werden? Pöttker suchte die Antworten auf diese Fragen nicht im vermeintlich schwindenden Vertrauen des Publikums in die Medien, sondern im fehlenden Verständnis für die Arbeitsabläufe innerhalb des journalistischen Berufsalltags. Vertrauen in Form von naiver Gutgläubigkeit sei der falsche Weg. Vielmehr müssten die Menschen verstehen, was die Aufgaben des Journalismus sind und wie versucht wird, diese zu erfüllen. Erst wenn das Publikum den Medien mit Verständnis und Respekt begegnet, könne sich das notwendige Vertrauen und Misstrauen bilden, um die Leistungen der Journalistinnen und Journalisten anzuerkennen oder zu kritisieren, erläuterte Pöttker. Die notwendige Aufklärungsarbeit müsse dabei vor allem von den Medienmachern selbst erbracht werden.

„Nirgendwo auf der Welt rangiert der Journalismus auf der Skala des beruflichen Ansehens sehr weit oben“, führte Pöttker aus. Verantwortlich dafür sei die journalistische Aufgabe, neue und damit unvertraute Informationen zu vermitteln und immer wieder auf Missstände hinzuweisen bzw. diese aufzudecken. Aufgaben, die für eine gesellschaftliche Selbstregulierung unverzichtbar seien. Die Journalistinnen und Journalisten erschienen dadurch jedoch manchen Menschen als notorische Nörgler, die immer wieder das Bekannte und Vertraute durcheinander brächten. Doch es sei nun einmal die Aufgabe der Medien, Öffentlichkeit zu schaffen. Würde die Presse dieses Öffentlichkeitsprinzip auch auf sich selbst anwenden, wäre damit laut Pöttker ein wichtiger Schritt unternommen, um die Beziehung zwischen Presse und Zuschauern zu verbessern.

Als Paradebeispiel führte er die Arbeit des Deutschen Presserates an. Infolge der „Öffentlichkeitsscheu“ dieses Gremiums bleibe die Funktion und das Wirken des Presserates vielen Medienrezipienten unbekannt. Es gehe nicht darum, dass der Presserat schärfere Sanktionsmittel einführen sollte, stellte Pöttker klar. Wüsste die Öffentlichkeit aber mehr über Rügen des Presserats und ihre Gründe, so könnten die Sanktionen von der Gesellschaft selbst ausgehen. Sanktionen in dem Sinne, dass die entsprechenden Medien nicht mehr konsumiert würden. Auch hier würde also Transparenz die Beziehung zwischen Medien und Rezipienten verbessern. Mit dem Einsatz von Ombudsmännern und Ombudsfrauen präsentierte Pöttker einen weiteren möglichen Lösungsansatz. Diese könnten als Vermittler zwischen Presse und Publikum fungieren und die jeweiligen Perspektiven verdeutlichen, Kritik aufnehmen und weitergeben. Entscheidend sei hierbei, begangene Fehler der Journalistinnen und Journalisten öffentlich zu machen und dann zu diskutieren. Dadurch ergebe sich die Chance weiteres Verständnis für die Herausforderungen des journalistischen Berufs aufzuzeigen, überzogenen Erwartungen entgegen zu wirken und mit den Zuschauern in einen Dialog zu treten.

Grenzgänge beim Recht auf Privatsphäre

Genauso schädlich wie zu wenig Öffentlichkeit sei zu viel Öffentlichkeit an der falschen Stelle, erklärte Pöttker. Trotz des großen Einflusses bestimmter medialer Mechanismen, die nur auf die Schaffung von Aufmerksamkeit ausgerichtet sind, dürfe es nicht zu Verletzungen von Persönlichkeitsrechten kommen. Er wies in diesem Zusammenhang kritisch auf den Umstand hin, dass Politiker heutzutage kaum noch wegen ihrer verfehlten Politik zurücktreten würden, sondern wegen privater Fehltritte. Das ökonomische Interesse der Medien an solchen Skandalen führe immer wieder zu Grenzgängen beim Recht auf Privatsphäre.

Journalisten müssten sich ihrer Rolle und ihres Einflusses bewusst sein. Sie dürften aber keine volkspädagogische Grundeinstellung an den Tag legen und etwa versuchen, das Publikum zur Demokratie zu erziehen. Sie müssten sich trauen, auch kritisch über Schwächen von Demokratie zu informieren und zu diskutieren. Andernfalls würden sie die gesellschaftliche Weiterentwicklung von Demokratie eher behindern als fördern, erklärte Pöttker. Doch auch das Publikum habe seinen Teil zu leisten. Jeder Zuschauer müsse der Presse eine kritische Distanz einräumen. Nicht nur bei der Betrachtung gegnerischer Positionen, sondern auch in Hinblick auf die eigenen Einstellungen, so Pöttker. Eine Garantie, dass Lügenpresse dadurch als Schimpfwort verschwände, gebe es jedoch nicht.

In seiner Rolle als ehemaliger Journalist, Wissenschaftler und Experte für Theorie und Praxis des Journalismus bezog Pöttker an diesem Abend zu vielen Dingen klar und persönlich Stellung. Dies schien beim Publikum gut anzukommen, was sich in der anschließenden Diskussionsrunde widerspiegelte. Äußerst angeregt wurde dabei die Frage diskutiert, ob eine Fernseh-Talkshow wie Anne Will den Ansichten einer vollverschleierten Konvertitin Sendezeit einräumen dürfe. Insbesondere wenn diese unter Verdacht stehe, Jugendliche für den sogenannten Islamischen Staat anzuwerben. Pöttker wies darauf hin, dass einer möglichen Straftat der Frau natürlich nachgegangen werden müsse. Auch hier stehe die Schaffung von Transparenz und Öffentlichkeit im Vordergrund. Die Einordnung dieser Informationen müsse die Gesellschaft dann selbst leisten.

1. August 2017