Ringvorlesung "Lügenpresse"
Prantl: Journalisten sind „Demokratiearbeiter“

Zum Abschluss der Ringvorlesung „Lügenpresse – Medienkritik als politischer Breitensport“ an der Universität Hamburg sprach am 30. Januar Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) und dort Ressortchef der Innenpolitik. Sein Thema: „Trotz alledem. Von der Ehrenrettung eines systemrelevanten Berufs“.

Von Lisa Eißfeldt

Scheinbar eine Selbstverständlichkeit: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ So steht es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Heribert Prantl, promovierter Jurist, eine Zeitlang Richter und Staatsanwalt, bevor er die Profession wechselte, wies in seiner Hamburger Rede darauf hin, dass Journalisten früherer Epochen für dieses Recht kämpfen mussten. Prantl, den der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal ironisch den „dritten Senat des Bundesverfassungsgerichts“ nannte, hob hervor, dass dies bis in die Frühzeit der Bundesrepublik der Fall gewesen sei.

Die „Spiegel-Affäre“ im Jahre 1962 markiere den Beginn der aufgeklärten Demokratie in Deutschland. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte im  Oktober 1962 die Titelgeschichte „Bedingt abwehrbereit“ veröffentlicht, ein Report über Schwächen der Bundeswehr, die im Ernstfall einem Angriff des Warschauer Pakts nicht würde standhalten können, so die damalige Prognose. Das Magazin wurde daraufhin des „Landesverrats“ beschuldigt, der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) drängte die Justiz hinter den Kulissen und über seine ministeriellen Kompetenzen hinaus zu Zwangsmaßnahmen gegen die verantwortlichen Journalisten. Die Polizei nahm daraufhin mehrere Redakteure, darunter „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein, fest und besetzte die Redaktionsräume. Doch die Bürger ließen sich Strauß‘ Angriff auf die freie Presse nicht bieten und demonstrierten auf Hamburgs Straßen. Der Verteidigungsminister musste am Ende zurücktreten.

Mit der Spiegel-Affäre, die laut Prantl eigentlich „Strauß-Skandal“ heißen müsste, „erwachte erstmals die demokratische und rechtsstaatliche Leidenschaft“, so der Redner.

Ganz anders war laut Prantl die sog. Wulff-Affäre geartet. Während durch die Spiegel-Affäre 1962 die Maßlosigkeit der Politik deutlich geworden sei, habe die Wulff-Affäre etwa fünfzig Jahre später die Maßlosigkeit der Medien sichtbar gemacht. Im Dezember 2011 hatte zuerst die „Bild“-Zeitung darüber berichtet, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff einen Privatkredit von der Ehefrau eines befreundeten Unternehmers angenommen hatte, mit dem er nach eigenen Angaben keine geschäftlichen Beziehungen unterhielt. Prantl kritisierte die daraufhin einsetzende Berichterstattung über die angebliche Bestechlichkeit des damaligen Staatsoberhaupts als „medienbestialisch“ und „Urknall des medialen Exzesses“.

Am Ende musste Wulff zurücktreten. Prantl sagte: „Früher hat ein Trommelwirbel die Hinrichtung eingeleitet. Heute leitet der Medienwirbel den Prozess ein.“ Für eine pauschalisierende Medienkritik ließ sich der Redner aber nicht einspannen: „Das ist dann nicht ,Lügenpresse‘, das ist dann schlechter Journalismus.“

Prantl: „Es geht um Verantwortung“

Beide Affären verdeutlichen nach Auffassung des Referenten, dass die Beziehung zwischen Politik und Medien sowie die Geltung demokratischer Werte und Normen kontinuierlich verhandelt werden müssen. „Aufklärung ist nicht einmal vom Himmel gefallen und bleibt dann immer da“, sagte Prantl. Es sei die Aufgabe der Journalisten und Journalistinnen, als „professionelle Entdecker und Erklärer“ verlässlich zu erklären, was passiert. Es dürfe aber nicht jeder Kleinkram skandalisiert werden.

Prantl: „Man kann Journalismus nur mit Qualität und Können verteidigen.“ / Bild: Natascha Buhl

Prantl findet Entwicklungen wie den „Echtzeitjournalismus“ mit seinen Live-Tickern und der „Be first“-Mentalität absurd. Die Hektik führe dazu, dass aus der medialen Erregungsspirale ein „Erregungsstrudel“ werde, der alles mitreiße. Prantl betrachtet auch die Forderung, Journalismus müsse konstruktiver werden, kritisch. „Es gibt die Pressefreiheit nicht, weil sie systemrelevant ist für die gute Laune“, sagt er. „Journalisten sind Demokratiearbeiter.“

Die Pressefreiheit ist Recht und Pflicht zugleich

„Man kann Journalismus nur mit Qualität und Können verteidigen“, hob der leitende SZ-Redakteur weiter hervor. Für ihn bedeute dies, gründlich zu recherchieren und Aufdeckungsarbeit zu leisten. Journalisten und Journalistinnen sollten sich nicht von der Politik oder bekannten Persönlichkeiten beeindrucken lassen, sondern selbstbewusst ihre Arbeit machen. Außerdem brauche es Verleger und Leser, die Freude am unabhängigen Journalismus hätten und bereit seien, sich Qualität etwas kosten zu lassen. Damit, so Prantl, Journalismus weiterhin dazu dienen kann, den Rechtsstaat zu verwirklichen.

Prantls Hamburger Rede endete mit einer Hommage an einen seiner journalistischen Lehrmeister, Ernst Müller-Meiningen junior (1908 – 2006).

In der Ringvorlesung „Lügenpresse – Medienkritik als politischer Breitensport“ hatten seit Mitte Oktober 2016 insgesamt 16 Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis gesprochen. Jeweils hatten mehrere Hundert Interessierte, nicht nur Studierende, sondern auch Bürgerinnen und Bürger aus der Stadt, die Vorträge besucht. Fortlaufend hatten Journalistik-Studierende der Universität Hamburg über die einzelnen Vorträge berichtet. Laut den Koordinatoren Prof. Volker Lilienthal und Prof. Irene Neverla ist nun eine Buchpublikation zum Thema geplant.

1. August 2017