Ringvorlesung "Lügenpresse"
Medienkritik – Wenn Misstrauen zum Problem wird

Sinkt das Medienvertrauen der Deutschen? Prof. Dr. Carsten Reinemann sieht das nicht so. Warum, zeigte der Münchner Kommunikationswissenschaftler in seinem Vortrag bei der „Lügenpresse“-Ringvorlesung an der Uni Hamburg. Reinemann sagte jedoch auch, was Medien und Gesellschaft besorgen sollte.

Von Leonard Kehnscherper

„Wenn jemand den Medien gar nicht mehr vertraut, ist das ein Problem.“ Das sagte Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU München. Im Rahmen der „Lügenpresse“-Ringvorlesung an der Uni Hamburg hielt er am 21. November 2016 einen Vortrag mit dem Titel: „Medienvertrauen, Populismus und Verschwörungsdenken. Medienkritik zwischen berechtigtem Anliegen und Angriff auf die offene Gesellschaft.“

Immer weniger Deutsche vertrauen den Medien – das zeigte zumindest eine Umfrage des NDR-Medienmagazins „ZAPP“, aus der Reinemann zitierte. Demzufolge gaben noch 2012 rund 40 Prozent der Befragten an, den Medien zu vertrauen. Im Dezember 2014 war der Wert auf 29 Prozent gesunken. Ein Grund für das abnehmende Vertrauen sei die umstrittene Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien.

An der Studie kritisierte Reinemann in seinem Hamburger Vortrag vor allem die Methodik. Antworten auf die pauschale Frage „Vertrauen Sie den Medien?“ seien wenig aussagekräftig. „Längerfristig angelegte Umfragen zeigen hingegen, dass das Medienvertrauen der Deutschen in den letzten Jahrzehnten relativ konstant geblieben ist“, so Reinemann. Selbst die „ZAPP“-Studie zeige, dass 2009 ebenfalls nur 29 Prozent der Befragten den Medien vertraut hätten. Daraus habe das Medienmagazin aber keine Schlüsse gezogen. „Relativ wenige Deutsche sagen pauschal, dass sie den Medien vertrauen. Das Vertrauensniveau hat sich aber nicht verändert“, relativierte Reinemann.

Wie kann es sein, dass alle Medien gleich berichten?

Doch der Münchner Kommunikationswissenschaftler stellte auch fest: „Jeder Fünfte vertraut den öffentlich-rechtlichen Medien gar nicht mehr.“ Das habe die jüngste Mitte-Studie der Universität Leipzig gezeigt. Zudem bezeichnen 14 Prozent der Befragten laut dieser Umfrage die Medien uneingeschränkt als „Lügenpresse“. „Eine solche Skepsis können Journalisten nicht wollen“, sagte Reinemann. Doch woher kommt das mitunter massive Medien-Misstrauen?

„Moderne Gesellschaften haben alte Autoritäten wie Kirche und Könige überwunden“, so Reinemann. Dadurch entstünden Lücken und neue scheinbar undurchschaubare Strukturen – wie etwa die EU. Laufen hier manche Vorgänge nicht transparent ab, komme es schnell zu Misstrauen. Besonders problematisch ist laut Reinemann das sogenannte Verschwörungsdenken. Die Menschen würden sich dann fragen: „Wie kann es sein, dass alle Medien gleich berichten? Da muss doch jemand an den Stellschrauben drehen!“, fasste Reinemann kursierende Mutmaßungen zusammen.

Dabei gebe es viele Schwächen von Medien auch nur wegen des Einflusses von Lesern und Zuschauern, so Reinemann. Denn die Medien stünden unter Auflagen- und Quotendruck. Auch deshalb würden bestimmte Themen prominenter behandelt und anspruchsvolle Fernsehsendungen erst sehr spät gesendet. „Starkes Medien-Misstrauen ist nicht auf die schlechte Qualität von Medien zurückführen“, stellte Reinemann klar.

„Starkes Medien-Misstrauen ist nicht auf die schlechte Qualität von Medien zurückführen“, so Reinemann / Bild: Florian Hohmann

Die meisten Studien zeigten einen anderen Zusammenhang: „Wer dem politischen System und den Parteien nicht vertraut, vertraut auch den Medien nicht“, erklärte Reinemann. Die Medienskeptiker und Verschwörungstheoretiker würden Medien dann als „Forum politischer Eliten“ wahrnehmen, zu dem sie nicht gehören. Sie selbst empfinden sich als politisch und ökonomisch einflusslos. Zudem nutzen sie öfter Alternativmedien. Diese Tendenz veranschaulichte Reinemann mit einem persönlichen Erlebnis: „Nach einer Veranstaltung sagte kürzlich eine ältere Dame zu mir: ‚Die Tagesschau lügt!‘“, erzählte Reinemann. Auf seine Frage, wie sie darauf komme, habe die Frau gesagt: „Ich schaue Russia Today und Al Jazeera, diese Sender nennen ganz andere Zahlen und Fakten.“

Generell ist die Medienkritik heutzutage politisierter, sagte Reinemann in der Hamburger Ringvorlesung mit dem Untertitel „Medienkritik als politischer Breitensport“. Neu sei beispielsweise, dass mit der AfD eine Partei die Medien konsequent hart kritisiere. Die erfolgreichen rechtspopulistischen Veröffentlichungen des Kopp-Verlages zeigten außerdem, dass hinter politisierter Medienkritik auch ein finanzielles Interesse stecken kann. Auch die vielen Hass-Kommentare in sozialen Netzwerken und auf Nachrichtenseiten würden beim allgemeinen Publikum den Eindruck bestärken, dass das Medienvertrauen sinke. Tatsächlich würden die Kommentare aber nur von extrem wenigen Internetnutzern verfasst. „Diese Kommentar-Verfasser sind in der Regel männlich, mittleren Alters und eher konservativ“, sagte Reinemann.

Zusammenfassend sagte Reinemann, dass seine Forschungskollegen und er sich durchaus eine medienkritische Haltung wünschen. Denn es müsse ein Problembewusstsein für die Qualitätsmängel von Medien geben. Wenn Menschen den Medien aber grundsätzlich gar nicht vertrauten, breche die gemeinsame Diskussions- und Faktenbasis weg. Das zeige auch das Modell der sogenannten „Echo-Kammern“, in denen sich medienskeptische Social-Media-Nutzer nur noch mit Gleichgesinnten austauschen – und sich so ihre Meinung bilden.

Wer sind die totalen Medienskeptiker und warum haben sie ihr Vertrauen verloren? Darüber müsse die Wissenschaft mehr herausfinden, forderte Reinemann mit Blick auf weitere Forschung.

1. August 2017