Ringvorlesung "Lügenpresse"
Krüger: „Journalisten orientieren sich am Elitendiskurs“

Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger sieht eine Tendenz von Medien, nur noch einen politischen „Mainstream“ zu bedienen.

Von Julia Choutka

Nach Krüger, der am 23. Januar 2017 im Rahmen der Hamburger Ringvorlesung „Lügenpresse“ sprach, kann sich ein „Medien-Mainstream“ entwickeln, wenn Redaktionen Themen nur noch uniform auswählen, wenn sie sich obendrein in ihrer Kommentierung der politischen und sozialen Ereignisse aneinander angleichen und sich zudem an die vorgegebene Deutung von Eliten anpassen.

Krüger, der wissenschaftlicher Mitarbeiter für Journalistik an der Universität Leipzig ist, nannte vier Faktoren, die zu medialem Mainstream führten. Erstens würden professionelle Journalisten ähnliche Auswahlkriterien, wie z.B. die etablierten Nachrichtenfaktoren, an die Wirklichkeit anlegen. Zweitens sei eine Orientierung an Journalisten-Kollegen gängig. Drittens seien Medien von denselben Quellen, wie Nachrichtenagenturen oder Öffentlichkeitsarbeit, abhängig. Krügers vierte, seine Hauptthese, besagt, dass eine Orientierung von Journalisten am Elitendiskurs dafür verantwortlich sei, dass es einen Medien-Mainstream gebe. Mit Eliten sind tonangebende Gruppen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeint, die in teils vertraulichen Zirkeln vernetzt seien und Journalisten an ihrem Herrschaftswissen partizipieren lassen.

Zu dieser Hauptthese führte der Journalistik-Wissenschaftler in seiner Hamburger Rede zwei Theorien an. Das Propaganda-Modell stellt dar, dass Medien nicht der Kontrolle im Sinne der Bevölkerung dienen, sondern Propaganda für die Sichtweisen der Eliten betreiben. Jedoch sei dieses Modell nicht die Theorie einer Verschwörung, sondern entstehe durch Marktmechanismen und erfolgreich sozialisierte Personen, führte Krüger weiter aus.

Die Indexing-Hypothese nimmt an, dass die großen Medien in der Regel nur die Debatte innerhalb der politischen Elite reflektieren. Zudem passe sich die Berichterstattung der Meinungsspanne in Parlament und Regierung an. Auf die Frage, ob dies ein Problem oder ein Segen sei, entgegnete Krüger, eine passive Presse sei bei der Indexing-Theorie nur dann unproblematisch, solange der Elitendiskurs alle relevanten Informationen, Argumente und Perspektiven umfasse.

Doch es herrsche eine Kluft zwischen der Elite und der allgemeinen Bevölkerung, wie der Wissenschaftler illustrierte. Verschiedene Themen zeigten ungleiche Einstellungen. Krüger zitierte in diesem Zusammenhang den Herausgeber des „Handelsblatts“, Gabor Steingart: „Westliche Politik und deutsche Medien sind eins.“ Krüger argumentierte, dass die westliche Sozialisation mit westlichen Quellen vernetzt sei.

Für Krüger ist es die Verantwortung der Eliten, insbesondere der Journalisten, den eigenen Blick für die Teile der Gesellschaft zu öffnen, die sich nicht im eigenen Umfeld befinden. / Bild: Florian Hohmann

In Berichten über den „Euromaidan“ in der Ukraine zum Beispiel sei das Narrativ „Gut gegen Böse“ mit klar verteilten Rollen vorherrschend gewesen. Was nicht in dieses Schema passte, sei verpackt oder nicht erwähnt worden, so Krüger. Die geopolitische Dimension sei in der Berichterstattung kaum aufgezeigt worden.

Eine Studie über die Berichterstattung zur griechischen Schuldenkrise machte laut Krüger den Mangel an Neutralität, Ausgewogenheit und Vielfalt in den deutschen Medien deutlich. Demnach wurden vermehrt negative Aussagen über die griechische Regierung getroffen, zugleich seien deren Repräsentanten kaum zu Wort gekommen seien.

Mögliche Ursachen für diese Einseitigkeit könnten die Angst vor sozialer und beruflicher Isolation des Journalisten, die unbewusste oder bewusste Identifikation mit ,unserer‘ beziehungsweise der ,guten‘ Seite und der Kampf für die Stabilität Europas gewesen sein.

Krügers nächstes Beispiel war die Flüchtlingskrise 2015, während der ein mediales Narrativ der Willkommenskultur dominiert habe. Krüger beschrieb, dass die veröffentlichten Bilder in Deutschland oft Frauen, Kinder und Familien zeigten, während tatsächlich ein Großteil der Flüchtlinge junge Männer waren. Er betonte, dass die BBC hingegen Männer zeigte, die Tore eintraten und Steine warfen. Nach der Silvesternacht in Köln drehte sich dann das Bild in der deutschen Berichterstattung und Männer als mutmaßliche Täter wurden medial fokussiert.

Zuletzt ging der Wissenschaftler auf die Aufgaben einer kritischen Journalistik ein. Er erwähnte das Rekrutierungsproblem von Journalisten, die in ihrer sozialen Zusammensetzung vor allem aus der Mittelschicht stammten und so die Gesamtgesellschaft nicht ausgewogen repräsentierten. Krüger rief dazu auf, den Schritt vom Text zum Kontext zu gehen, das heißt auch die Hintergründe des Inhalts darzustellen. Außerdem solle  vermehrt politisch brisante Forschung betrieben werden, die Strukturen in der Berichterstattung transparent mache. Zudem sollten seiner Ansicht nach mehr Interessengegensätze der verschiedenen Parteien und Interessengruppen thematisiert werden. Nach Krüger ist es die Verantwortung der Eliten, insbesondere der Journalisten, den eigenen Blick für die Teile der Gesellschaft zu öffnen, die sich nicht im eigenen Umfeld befinden.

1. August 2017