Ringvorlesung "Lügenpresse"
Kritik der Unsichtbaren

Lügen-Vorwürfe gegen die Presse hat es schon immer gegeben. Medienhistorikerin Prof. Dr. Maria Löblich erklärt, unter welchen Bedingungen sie entstehen – und welche Folgen sie haben.

Von Lisa Eißfeldt

Auch wenn Pegida und die „Lügenpresse“-Parolen neue Phänomene zu sein scheinen – Kritik an der Presse ist so alt wie die Presse selbst. Im dritten Vortrag der Ringvorlesung „‚Lügenpresse‘ – Medienkritik als politischer Breitensport“ an der Uni Hamburg warf die Medienhistorikerin Prof. Dr. Maria Löblich vor rund 350 Zuhörerinnen und Zuhörern einen Blick in die Vergangenheit der Medienkritik. „Seit ihren Anfängen wurde der periodischen Presse vorgeworfen, zu lügen, zu verzerren, totzuschweigen, zu verschleiern, zu sittlichem Verderben zu führen und zu manipulieren“, sagte Löblich zu Beginn der Veranstaltung, „Warum ist das so?“

Eine Frage der Sichtbarkeit, nicht der Ideologie

In ihrem Vortrag „Streit um Berichterstattung in der deutschen Mediengeschichte – Wie Politik, Kirche und andere Akteure versuchten, Journalisten zu beeinflussen“ versuchte Löblich zu verdeutlichen, dass Medienkritik immer die Folge von gesellschaftlichem und medialem Wandel ist. Durch die Verschiebung von Macht, auch von Deutungsmacht, fühlten sich Akteure bedroht, so Löblich. Sie sähen ihre mediale Sichtbarkeit und damit die Möglichkeit, mit ihren eigenen Interessen in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, in Gefahr. Dies geschehe unabhängig von der jeweiligen Ideologie, die die Akteure vertreten. Zur Veranschaulichung zog Löblich zwei historische Beispiele heran.

Als Ende des 19. Jahrhunderts die Massenmedien expandierten und nach und nach an Bedeutung gewannen, kritisierte die katholische Kirche die neuen Medien. Der Domkapitular Wilhelm Molitor bezeichnete die Presse im Jahr 1866 als „phantasiereichste Märchenerzählerin“, als „Rüstkammer der Lüge und Verleumdung“. Laut Löblich war der Grund für diese Kritik die Unzufriedenheit mit den eigenen Kommunikationsbedingungen: „Die katholischen Geistlichen mussten beobachten, wie sich eine Presse entwickelte, die die verschiedenen politischen Meinungen sichtbar machte.“ Sie mussten sich die Deutungsmacht nun mit anderen Akteuren teilen und drohten, an Bedeutung zu verlieren. Um dem etwas entgegenzusetzen, gründete die katholische Kirche eine eigene Zeitung, die „Germania“. Etwa 100 Jahre später, um 1970, kritisierten die Gewerkschaften die Pressekonzentration in der Bundesrepublik. „Die Gewerkschaften machten die ökonomische Konzentration der Presse dafür verantwortlich, dass ihre Ideen in der Berichterstattung nicht thematisiert wurden“, sagte Löblich in ihrem Vortrag. Auch sie reagierten auf die eigene „Unsichtbarkeit“ mit der Gründung eigener Zeitungen, wie etwa der „Welt der Arbeit“.

Was uns die Geschichte lehrt

Die Bedingungen für Medienkritik, wie sie Löblich anhand der historischen Bespiele veranschaulicht hat, scheinen auch heute erfüllt zu sein. Das wurde in der anschließenden Diskussion deutlich. Der gesellschaftliche Wandel ist die Globalisierung, in jüngster Zeit auch die Migrationsbewegung. Der mediale Wandel hat mit sozialen Medien eine Plattform geschaffen, auf der sich Gleichgesinnte miteinander verbinden und ohne Barrieren die Entscheidungen der Mächtigen kommentieren können.

Folgt man Löblichs Argumentation, dass Medienkritik durch die Unzufriedenheit mit den eigenen Kommunikationsbedingungen entsteht, so sind die gegenwärtigen Kritiker tatsächlich „besorgte Bürger“: Sie haben Angst um ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft. Wendet man das Muster an, das die Geschichte lehrt, würden die „Lügenpresse“-Anhänger, genau wie in der Vergangenheit die katholische Kirche und die Gewerkschaften, nun eigene Medien gründen. Zum Teil ist dies bereits geschehen, etwa durch die Bildung von Facebook-Seiten, die ihre Sicht der Dinge wiedergeben. Doch da es sich dabei nicht um professionell-redaktionelle Medien handelt, stellt sich die Frage: Kann man das Muster auf die heutige Situation übertragen? Sind nicht die Rahmenbedingungen gänzlich andere? Würde die Medienkritik durch die Gründung neuer Medien, die die Belange der Kritiker sichtbar machen, wieder abnehmen? Oder ist das Vertrauen in die etablierten Medien unwiderruflich verloren?

Der Vortrag von Prof. Dr. Maria Löblich hat zu vielen Fragen angeregt. Noch bis Ende Januar können die Gastredner in der Vortragsreihe versuchen, weitere Antworten darauf zu geben.

1. August 2017