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Pfeift auf die PR!

Aktuell häufen sich frustrierende Erlebnisse von Journalist*innen mit Presseabteilungen und werfen Fragen über die zukünftige Ausgestaltung der Zusammenarbeit auf. Der Wert der eigenen Recherche wird dabei umso deutlicher.

von Franziska Heberle

Die Eröffnung des umstrittenen Tesla-Werks im brandenburgischen Grünheide im März fand mit großem Tamtam und Firmen-Chef Elon Musk höchstpersönlich statt. Nicht dabei waren hingegen einige Journalist*innen, die zuvor kritisch über die Indus­trieansiedlung berichtet hatten. Ihnen wurde der Zutritt verweigert.

Im Juni gewährte auch das Bezirksamt Kreuzberg in Berlin nur ausgewählten Journalist*innen Zugang zu einer Pressekonferenz. Selbst bei Medienunternehmen mache sich eine zunehmende Verschlossenheit der PR-Abteilungen bemerkbar, beklagt die Medienjournalistin Diemut Roether. Als Beobachter*in stellt man sich die Frage: Zufall oder neuer Trend?

Schadet es überhaupt?

Dieses Verhalten seitens einer Behörde sei am Rande der Zulässigkeit, sagt Nicola Wessinghage, Geschäftsführerin der Hamburger PR-Agentur „Mann beißt Hund“. Und auch bei Unternehmen wie Tesla sieht sie eine „ethische und moralische Verpflichtung“, sich den Fragen der Öffentlichkeit und damit allen Pressevertreter*innen zu stellen. Zumal der Kommunikationskodex des Deutschen Rats für Public Relations das Unter-Druck-Setzen von Kommunikationspartner*innen durch die Androhung von Nachteilen ausdrücklich untersagt. Thomas Voigt, ehemaliger Journalist und mittlerweile Kommunikationschef der Otto Group, sieht das ähnlich: „Es gehört auch zur Verantwortung von Unternehmen, die Vielfalt der Medien zu erhalten. Gerade dann, wenn einem die Meinung nicht passt.“

Trotz aller berechtigten Kritik an der Willkür mancher Pressestellen sollte sich der Journalismus fragen: Schadet es überhaupt, wenn Unternehmen missliebige Reporter*innen von PR-Terminen ausladen?

Keine Gegner

„Natürlich haben manche Journalisten bessere Zugänge als andere. Es gibt keinen egalitären Zugang von Journalisten zu Managern und Politikern“, konstatiert Roman Pletter, Leiter des Wirtschaftsressorts der Wochenzeitung Die Zeit. Viele Journalist*innen würden davon leben, sich über Jahre hinweg Netzwerke aufgebaut zu haben, wodurch sie nicht auf Informationen von Pressestellen angewiesen seien. Für eine gute Recherche und damit auch eine gute Geschichte brauche es vor allem Neugierde, Ergebnisoffenheit und Gründlichkeit. „Die richtige Recherche fängt mit dem richtigen Gedanken im Kopf an. Das ist erstmal ein Hinterfragen von Absendern und der zugrundeliegenden Motivation, um zu wissen, wie ich eine Information einzuordnen habe“, bekräftigt Achim Pollmeier aus der Monitor-Redaktion beim WDR und ergänzt: „Es gibt keinen Journalismus ohne Recherche. Journalismus ist Recherche. Alles andere ist Verlautbarung.“

Dass Informationen hinterfragt und Quellen geprüft werden, erwarten nicht nur die Rezipient*innen von seriösem Journalismus, auch für Unternehmen ist die unabhängige Berichterstattung von Bedeutung. „Ein Content, der durch Journalistenhände kuratiert wird, ist enorm wichtig für die Reputation“, betont Thomas Voigt. Auch Zeit-Journalist Pletter bestätigt, dass Pressestellen keine Gegner seien, sondern vielmehr wichtige Ansprechpartner für die erste Kontaktaufnahme darstellten. Gleichzeitig sei die Annahme gewagt, dass die Pressekonferenz ein relevanter medialer Ort sei, an dem wirklich wichtige Informationen geteilt würden. Eine gute Geschichte beginnt eben selten mit dem Zitat eines Pressesprechers.

12. Oktober 2022