Dokumentation | Forschung
Korruption im Journalismus?

Wie verbreitet ist Korruption im Journalismus? Wissenschaftliche Erkenntnisse über Verführer und Verführte, über Bestechung und Bestechlichkeit sind rar, fängt die Forschung doch gerade erst an, sich des Problems anzunehmen. Message-Herausgeber Volker Lilienthal versucht einen Problemaufriss. Auf Einladung von Transparency Deutschland sprach er am 26. Januar 2017 in der Handelskammer Hamburg.

von Volker Lilienthal

In diesen Zeiten zur Korruption im Journalismus zu forschen und darüber öffentlich zu sprechen, ist heikel. Sie kennen das Schimpfwort „Lügenpresse“. Sind doch alle korrupt – bezahlt von den Eliten dieses Landes –, auch solche Unterstellungen gehören zum wahnhaften Vorstellungskomplex „Lügenpresse“.

Auf dieses Konto wollen wir natürlich nicht einzahlen, wenn wir heute über Korruption im Journalismus sprechen. Wir wollen nicht pauschalisieren und behaupten nicht: Alle Journalisten sind korrupt. Wir sagen nicht einmal: Viele Medienmitarbeiter seien dies. Aber: es gibt das Problem. Manche Journalisten und ihre Medienbetriebe zeigen sich aufgrund von Interessen oder unter spezifischen marktgetriebenen Zwängen offen für Korruption. Und es gibt in dieser Gesellschaft natürlich Kräfte und Machtpole, die sich Journalisten und Medien korruptiv nähern, um ihre eigenen Interessen und Sichtweisen in die Öffentlichkeit zu tragen. Oder, im Gegenteil, um zu verhindern, dass bestimmte Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.

Geben und nehmen: Schon kleine Gefälligkeiten öffnen der Korruption Tür und Tor. / Grafik: Deuermeier

Zum ganzen Bild gehört auch, dass die jüngere Vergangenheit zwei extreme Fälle von Auto-Korruption, von Selbst-Korruption hervorgebracht: Journalisten ließen sich bestehen oder boten sich dafür an. Der eine Fall landete vor Gericht und führte zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und einer hohen Geldstrafe. Der andere Fall endete mit einer fristlosen Kündigung des Redakteurs, der in Personalunion Spin Doctor einer politischen Partei sein wollte. Beiden Fällen gemeinsam ist: eine berufliche Selbstvernichtung.

Wissenschaft tut sich schwer

Die wissenschaftliche Forschung tut sich bisweilen schwer mit der Problematik der Korruption im Journalismus. Bis auf die Situationsbeschreibungen einzelner Fälle und der Thematisierung von Teilaspekten, wie der Nutzung und Bewertung von Presserabatten, der Untersuchung einzelner Printmedien auf Gefälligkeitsjournalismus oder die Beeinflussung durch PR, hat sich die Wissenschaft der Problematik der Korruption im journalistischen Berufsstand noch nicht ausreichend zugewandt.

Der Auto- und der Modejournalismus werden immer wieder als zweifelhafte Milieus genannt. Mit ebenso viel Grund muss man aber kritisch auf den Ratgeber-, den Medizin- und Pharmajournalismus blicken. Auch der Sportjournalismus hat wohl schädliche Neigungen. Jürgen Klinsmann sprach einmal von „Informationskorruption“. Damit meinte er: Gewährung exklusiver Informationen, die dem Journalisten Vorteile im brancheninternen Konkurrenzkampf bringen. Im Gegenzug wird dann eine gewogene Berichterstattung angeboten. Geht ein Sportclub nicht auf den angebotenen Tauschhandel an, kann auch schon mal eine Drohung im Raum stehen: Wir können auch anders!

Nehmen Journalisten Korruption wahr?

So wird es erzählt. Aber wie verbreitet sind derartige Verhaltensweisen wirklich? Einen ersten Anlauf, diese Forschungslücke zu verkleinern, hat Dennis Deuermeier im Fachgebiet Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg unternommen. In einer von mir betreuten Masterarbeit untersuchte er in Form eines Online-Surveys, also einer webbasierten Umfrage, folgende Forschungsfrage:

Nehmen Journalisten in Deutschland Korruption in ihrem Berufsstand wahr und wenn ja, haben sie selbst schon Erfahrungen mit korruptem Verhalten im Journalismus gesammelt?

Ziel seiner Untersuchung war es, erste quantifizierbare Ergebnisse zur Wahrnehmung und Bewertung von journalistischer Korruption vorlegen zu können. Das Prüfungsverfahren war im Oktober 2015 abgeschlossen, Transparency veröffentlichte die Studie im April vergangenen Jahres. Herr Deuermeier ist heute Abend bei uns. Ich darf heute seine Forschungsergebnisse als Input zu unserer nachfolgenden Diskussion darstellen.

Was ist Korruption überhaupt?

Bevor wir zu Ergebnissen kommen, muss zunächst noch geklärt werden, was überhaupt unter Korruption im Journalismus verstanden wird. Demnach handelt es sich um journalistische Korruption, wenn Publikationsentscheidungen einer als Journalist tätigen Person oder einer Medienorganisation bzw. einer Redaktion, die sich auf journalistische Inhalte beziehen, durch Zahlung von Geld, geldwerte Leistungen, persönliche Vorteilen nicht-monetärer Art oder auch handhefte Pressionen, also z.B. den Entzug von Anzeigen, beeinflusst werden.

So verstanden kann auch der inoffizielle Leistungsaustausch Anzeige gegen redaktionelle Berichterstattung als journalistische Korruption angesehen werden. Korruption u.a. deshalb, weil man hierin unlauteren Wettbewerb sehen kann und weil derartige Praktiken gegen den Pressekodex verstoßen. Ich zitiere Ziffer 7 des Pressekodex:

„Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken. Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.“

Persönliche Vorteile nicht-monetärer Art stehen z.B. für einen Zugewinn an Macht, welcher durch die Nähe zu einflussreichen Personen in machtvollen Positionen oder durch Einladungen zu elitären Veranstaltungen herbeigeführt werden kann. Peter Zudeick hat einmal vom „Schmiergeld namens Nähe“ gesprochen. Geldwerte Leistungen allein würden diesen Bereich in der Definition nicht abdecken und somit einen Anreiz zur Korruption übersehen.

Mehrheit hält Korruption im Journalismus für verbreitet

Die Befragung von Herrn Deuermeier, für die er die anonym gegebenen Antworten von knapp 400 Journalisten auswerten konnte, zeigt, dass Korruptionsversuche im Journalismus sowohl wahrgenommen als auch persönlich erlebt werden. Die Mehrheit der befragten Journalisten hält korrupte Handlungen im Journalismus für verbreitet, für ein real existierendes Phänomen und, wo es nicht eingedämmt wird, auch für ein Problem.

Dabei ist zwischen der individuellen Ebene der Journalisten und der strukturellen Ebene der Medienorganisationen zu unterscheiden.

Auf individueller Ebene sind es besonders Annehmlichkeiten, wie Geschenke oder Einladungen durch Unternehmen, die den Journalisten angeboten werden und die diese auch in Anspruch nehmen. Eine große Mehrheit der befragten Journalisten hält diese geldwerten Vorteile an Journalisten für verbreitet. Knapp die Hälfte sehen es zudem für gängige Praxis an, dass in Verbindung mit solchen Angeboten eine Veränderung der Berichterstattung eindeutig gefordert wird.

Umfrage zur Wahrnehmung von Korruption im Journalismus.

Umfrage zur Wahrnehmung von Korruption im Journalismus: Problem weit verbreitet. / Umfrage: Deuermeier

Auch auf der strukturellen Ebene der Medienorganisationen zeichnet sich eine zunehmende Instrumentalisierung des Journalismus ab. Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen wird die Grenze zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung in Medienunternehmen durchlässiger. So sind etwa Kopplungsgeschäfte, bei denen Anzeigen gegen redaktionelle Berichterstattung getauscht werden, eine Form der journalistischen Korruption, die auch von den befragten Journalisten wahrgenommen wird. Andere in der Befragung geschilderte Fälle auf struktureller Ebene reichen gar bis zur Erpressung. Besonders im Lokalen sehen sich die befragten Journalisten dieser Praxis ausgesetzt.

Lokaljournalisten besonders betroffen

Die Untersuchung zeigt, dass die befragten Lokaljournalisten sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene häufiger als ihre nicht im Lokalen tätigen Kollegen Korruptionsversuche erleben. Die großen und kleineren Städte, die Landkreise scheinen also ein Kosmos zu sein, in der die Unabhängigkeit des Journalismus von örtlichen Akteuren, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen, häufiger nicht respektiert wird. Es kommt zu Grenzüberschreitungen – wobei wir auf Basis dieser Befragung weitgehend offenlassen müssen, inwieweit und wie häufig Pressionsversuche erfolgreich sind.

Erpressung

In der Befragung wurden Fälle von Erpressungsversuchen geschildert. / Umfrage: Deuermeier

Interessant ist auch, dass erst mit der Forderung einer Gegenleistung in Form von journalistischer Berichterstattung sich die Situationsbewertung durch die Journalisten verändert. An dieser Stelle beginnt für sie der Versuch der Korruption. Problematisch ist hierbei, dass sich die Forderung einer Gegenleistung in der Praxis als weitaus komplexer herausstellt, als sich dies in einer Situationsbeschreibung darstellen ließe. Es gibt Formen der Anbahnung, welche von den Betroffenen nicht als solche wahrgenommen werden. Die oft zitierte „Schere im Kopf“, besser zu beschreiben als prophylaktische Anpassung, kann z.B. zudem dazu führen, dass eine Gegenleistung auch unaufgefordert gewährt wird.

Korruption schleicht sich in die Redaktionskultur ein

An dieser Stelle ist noch mal klarzustellen, dass Korruption im Journalismus bei weitem nicht nur ein Problem individueller Verführbarkeit oder gar der zweifelhaften Moral Einzelner ist. Vielmehr wird Korruption auch strukturell gefördert oder gar organisationsintern erzwungen. Dort wo der einzelne weisungsabhängige Redakteur oder Reporter erlebt, dass ein positiver Bericht geschrieben werden soll, weil ein verärgerter Anzeigenkunde zurückgewonnen werden soll, wird Korruption normalisiert, erscheint aus Mitarbeiter- und Managersicht legitim. Die Korruption schleicht sich als Habitus in die Redaktionskultur ein und wird am Ende gar nicht mehr bemerkt.

Die neuere Medienentwicklung, die sich unter dem Eindruck der Erosion klassischer Geschäftsmodelle, der Abwanderung von Werbemärkten hin zu den neuen Intermediären wie Google und Facebook vollzog, hat neue Hybride der Verquickung von Werbung mit scheinjournalistischen Inhalten hervorgebracht. Zu nennen ist hier das Native Advertising, gelegentlich auch „Sponsored content“, „sponsored blog post“ oder „presented by“ genannt. Es handelt sich hier um Simulationen von Journalismus, die nur den Zweck haben, kommerzielle Botschaften in das Kleid informierender Inhalte zu kleiden.

Das ist noch nicht Korruption, aber es korrumpiert die Wahrnehmung von Journalismus beim Publikum. Eine Nutzerstudie der Stanford University hat erbracht, dass Schüler in den USA zwar in der Lage sind, Nachrichteninhalte einerseits und Werbung andererseits zu erkennen. Das führt aber erstaunlicherweise nicht zu einer kritischen Unterscheidung. Vielmehr wird das eine kritiklos für das andere genommen. 80 Prozent der befragten Schüler glaubten, dass Native Advertisement, das mit „sponsored content“ gelabelt wurde, eine wahre Nachrichtengeschichte beinhaltete.

Verbandelung mit Politik und Wirtschaft

Auch über Content Marketing und Corporate Publishing kann man kritisch diskutieren – vielleicht ist in der Diskussion Zeit dafür. Gleiches gilt für das Veranstaltungs- und Kongresswesen, das sich viele Verlage in den vergangenen Jahren als neue Erlösquelle zugelegt haben. Problematisch sind hier vor allem Konferenzen, welche sich explizit an ein spezifisches Expertenpublikum richten, zum Beispiel an Kompetenzträger aus Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft. Hier locken zahlungskräftige Sponsoren und Einnahmen aus Teilnahmegebühren. Die wirtschaftliche Nähe zwischen Verlagen und Unternehmen bzw. deren Lobbyorganisationen birgt die Gefahr einer auch publizistischen Nähe.

Eine Untersuchung, die die Otto-Brenner-Stiftung veröffentlicht hat – Titel: „Ausverkauf des Journalismus? Medienverlage und Lobbyorganisationen als Kooperationspartner“ von Marvin Oppong –, zeigt weiterhin, dass die Verlage mit einer Vielzahl von Lobbyorganisationen aus den verschiedensten Branchen kooperieren. Weiterhin scheint eine Mitwirkung der Redaktionen an diesen von den Verlagen organisierten Konferenzen gang und gäbe, z.B. Einbindung der Journalisten als Moderatoren, aber natürlich auch die freundliche Berichterstattung im eigenen Blatt.

Besonders in Kombination mit einer inhaltlich potenziell stark beeinflussten Konferenz könnten hier Gelegenheitsstrukturen entstehen, die zur Interessenangleichung zwischen Journalisten und Lobbyisten bzw. zur Einschränkung der kritischen Perspektive beitragen. Das ist noch nicht Korruption, aber doch eine Verbandelung mit tonangebenden Eliten aus Politik und Wirtschaft, die die journalistische Unabhängigkeit relativiert.

Verstoß gegen Trennungsgebot

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine empirisch abgesicherte Inhaltsanalyse, die Lutz M. Hagen von der TU Dresden Ende 2014 veröffentlicht hat. Er und seine Mitarbeiter untersuchten die vollständigen Jahrgänge 2011 von „Spiegel“ und „Focus“. Erfasst wurden sowohl alle kommerziellen Anzeigen als auch die journalistische Berichterstattung über ausgewählte werbungtreibende Unternehmen. Im Ergebnis zeigte sich, dass über Unternehmen sowohl im „Spiegel“ als auch im „Focus“ erstens häufiger, zweitens freundlicher, drittens mit mehr Produktnennungen berichtet wird, je mehr Anzeigen diese Unternehmen schalten. Hagen spricht hier von einer „De-facto-Synchronisation“ von Berichterstattungsinhalten und Anzeigenaufkommen, die bedrohlich sei für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe von Nachrichtenmedien.

Die zuletzt angerissenen Medienpraktiken verletzen nicht nur den schon zitierten Grundsatz der Trennung von Werbung und redaktionellem Teil, sondern verstoßen auch gegen verbindliche rechtliche Vereinbarungen und unterminieren die Glaubwürdigkeit des Journalismus massiv.

Wie darauf reagieren? Reine Appelle an Individuen („Wir lassen uns nicht beeinflussen!“) erfüllen ihren Zweck nicht, wenn in der gesamten Medienorganisation keine entsprechenden strukturellen Rahmenbedingungen, die die Ideale absichern könnten, vorhanden sind. Deswegen ist es unerlässlich, die Entstehung, Veränderung und Folgen von Strukturen in den Fokus zu nehmen, anstatt nur das individuelle Handeln der Medienakteure, um dann Berufsethik in organisatorischen Elementen zu verankern und festzuschreiben.

Maßnahmen eines wirksamen Compliance-Programms sollten deshalb auch diese strukturellen Bedingungen adressieren und nicht nur an die Verantwortung von Individuen appellieren. Denn wie wiederkehrende Korruptionsfälle aus anderen Branchen zeigen, schützt ein Compliance-System allein nicht vor institutionalisiertem Fehlverhalten ganzer Organisationen.

Wichtige Elemente einer neuen Korruptionsprophylaxe zu Gunsten eines integren Journalismus könnten sein:

  • Das Medienunternehmen garantiert eine gute finanzielle und personelle Infrastruktur für die Redaktionen, dazu gehören z.B. die Übernahme der Recherchekosten und gesicherte Arbeitsplätze.
  • Alle Mitarbeiter, auch freie Autoren, werden angemessen vergütet. Das hervorzuheben ist wichtig, weil immer mehr Content von den sog. Freien kommt.
  • Eine betriebliche Ausgliederung der Redaktion wird abgelehnt.
  • Umsatzeinbußen, wie sie z.B. bei Anzeigenboykotten eintreten können oder auch durch den Verzicht auf Koppelungsgeschäfte, werden von einer aufgeklärten Geschäftsleitung nicht nur toleriert, sondern bewusst entschieden.
  • Nebentätigkeiten müssen genehmigt werden und dürfen bei Interessenkonflikten nicht ausgeübt werden.
  • Es besteht eine deutliche, inhaltliche und räumliche Trennung der Abteilungen Redaktion und Werbung/Anzeigen/Marketing.
  • Medienunternehmen fordern ihre Journalisten, aber auch Verlagsmitarbeiter aktiv auf, der Chefredaktion bzw. Geschäftsleitung über Pressionsversuche von außen unmittelbar zu berichten. Hiermit könnte eine Kultur der internen Transparenz gefördert und zugleich im Interesse der Unternehmensethik deutlich gemacht: Korruption bzw. Korruptionsversuche werden nicht toleriert.
  • Es gibt klare Richtlinien für die Redaktion, was im Bereich des gesellschaftlichen Umgangs (Einladungen) und bei Aufmerksamkeiten und Geschenken gerade noch oder nicht mehr erlaubt ist. Diese Richtlinien sollten zum Anhang von Anstellungsverträgen gemacht werden. Aber auch freien Mitarbeitern sind sie in verbindlicher Form bekannt zu machen.

 

24. Juli 2017