#nr20 | Krisenberichterstattung
Körper und Seele in Aufruhr
Die Berichterstattung über Gewalt und Elend hat Auswirkungen auf Leib und Seele von Reporter*innen. Wie schafft man es, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten?
von Teresa Kainz
Reporter Wolfgang Bauer kennt den Krieg. Wiederholt hat er für Die Zeit unter anderem aus Syrien berichtet. „Die permanent große Anspannung im syrischen Bürgerkrieg hat mich jedes Mal psychisch und körperlich mitgenommen. Das musste regelrecht rauswachsen aus den Knochen.“ Er meint damit die gebückte Haltung, die man automatisch einnimmt, wenn Granatsplitter durch die Gegend fliegen oder man sich vor Bombeneinschlägen im Keller oder unter dem Bett verkriechen muss.
Die dramatischen Erlebnisse verfolgten ihn auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland. „Nach dem ständigen Bombardement musste ich erst wieder lernen, aufrecht zu laufen“, erinnert sich Bauer. Trotz solcher Erlebnisse hat er selbst nicht den Eindruck, nachhaltig traumatisiert zu sein. Sonst würde er den Job so nicht weitermachen wollen.
Keine Kraft zur Bewältigung
„Die Aufklärung von Journalisten darüber, dass ein Trauma jeden treffen kann, ist die wichtigste Vorbereitungsmaßnahme auf solche Situationen“, erklärt dazu die Trauma-Expertin Fee Rojas. Ein Erlebnis wird als Trauma bezeichnet, wenn es bedrohlich für den Körper oder die Seele ist und die Person, die es durchlebt, keine Kraft zur Bewältigung des Schreckens hat. Bis zu einem gewissen Grad ist das normal. Allerdings muss man wissen, wie man handelt, damit es nicht zu einer Folgestörung kommt.
Eine Recherche, die Bauer besonders mitgenommen hat, war jene über sogenannte Kettenmenschen, psychisch Kranke, die an der Elfenbeinküste unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden. „Diese Menschen waren fast nackt und mit schweren Eisen an Baumwurzeln angekettet“, erzählt Bauer. Eine Frau habe Anzeichen sexuellen Missbrauchs gezeigt und ihn angefleht, sie mitzunehmen und zu heiraten, um von ihren Peinigern wegzukommen. Diese Frau zurückzulassen und sie wieder ihren Vergewaltigern auszuliefern, war für den Reporter eine schwierige Entscheidung. Nach der Recherche gründete Bauer gemeinsam mit Kollegen eine Hilfsorganisation, die sich für psychisch Kranke in Afrika einsetzt. Er beschreibt dies als Therapie, die es ihm möglich macht, die Ohnmacht und Hilflosigkeit zu durchbrechen, die er vor Ort empfunden hat. „Das ist aktive Traumabekämpfung für die Patienten vor Ort, aber auch für mich.“
Verarbeiten durch Aufschreiben
Für Trauma-Beraterin Petra Tabeling spielt das soziale Umfeld die wichtigste Rolle für den Aufbau psychischer Widerstandsfähigkeit. Journalist*innen könne es darüber hinaus helfen, das Erlebte aufzuschreiben. Dies gilt Rojas zufolge vor allem für die „Verarbeitung der Erlebnisse, bei denen es einem zuerst die Sprache verschlagen hat“.
Viel mehr als diese Form der Selbsttherapie bleibt Journalist*innen außerhalb der großen Auslandsredaktionen nicht übrig. In einer Forschungsarbeit im Bereich Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg konstatiert die Autorin Nele Wehmöller, vor allem in kleineren Redaktionen gebe es „bisher keine etablierten psychologischen Unterstützungsmöglichkeiten“. Dabei werden auch im Lokalen Journalist*innen immer wieder mit traumatischen Ereignissen konfrontiert.
Wolfgang Bauer lässt der Krieg bis heute nicht ganz los. Das jährliche Silvesterfeuerwerk kann er seit einigen Jahren nicht mehr genießen, „denn es hört sich genauso an wie explodierende Raketen, die ich so oft in Krisengebieten gehört habe“.
26. August 2020