#nr22 | Prekarisierung
Im freien Fall

Niedrige Honorare, fehlende Wertschätzung, Existenzangst: Freier Journalismus gilt schon lange als prekär. Wie kann eine Zukunft für Freiberufler aussehen?

von Hannah Rohde

Oft ist es eine bewusste Entscheidung, als freie*r Journalist*in zu arbeiten, häufig angetrieben durch die eigene Leidenschaft. Dies bedeutet allerdings auch, Kompromisse einzugehen. Der freie Hörfunkautor Herbert Hoven etwa kritisiert, dass man sich diese Art der Berufsausübung leisten können muss. Zu gering sei die Bezahlung. „Der freie Journalismus ist ein Grundpfeiler der Demokratie in Deutschland. Dafür wird er aber mit Füßen getreten“, meint Sigrid März, freie Wissenschaftsjournalistin und Vorstandsvorsitzende der Freischreiber, dem Berufsverband freischaffender Journalist*innen.

Hilfen gingen an den Bedürfnissen vorbei

Missstände legt die Studie „Erosion von Öffentlichkeit“ der Otto Brenner Stiftung offen. So seien bestehende Probleme wie schlechte Bezahlung durch die Pandemie verschärft worden. Strukturelle Probleme identifiziert auch die Studie „Prekarisierung im Journalismus“ der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). In der Befragung begründet mehr als die Hälfte der teilnehmenden freiberuflichen Journalist*innen ihre selbstständige Tätigkeit damit, dass sie so ihrem Wunsch nach inhaltlicher und gestalterischer Freiheit nachgehen können.

Jana Rick, eine der beteiligten LMU-Forscher*innen, weist auf die Schattenseiten dieser Freiheit hin: mangelnde Existenzsicherung, fehlende soziale Absicherung sowie prekäre Arbeitsbedingungen. Corona hat die Situation weiter verschärft. „Wenn eingespart wurde in den Verlagshäusern und Redaktionen, dann hat es zunächst die Freien betroffen“, sagt Freischreiberin März. Sie und Forscherin Rick sind sich einig: Die Pandemie und die diversen Einschränkungen des öffentlichen Lebens trafen insbesondere die Kultur-, Sport- und Reisejournalist*innen hart. März kritisiert vor allem, dass die finanziellen Förderprogramme der Regierung an den tatsächlichen Bedürfnissen freier Journalist*innen vorbeigegangen seien. Die finanziellen Hilfen durften ausschließlich für Betriebskosten der Freien (z. B. Büromiete) eingesetzt werden. Wer in den eigenen vier Wänden arbeitet, hatte nichts davon.

Was muss sich in Zukunft für freie Journalist*innen ändern? Diese Berufsgruppe darf nicht weiter vernachlässigt werden, das zeigt die Studie der LMU. Zwei Drittel der befragten Journalist*innen sehen demnach in den prekären Arbeitsbedingungen eine Gefahr für die Qualität journalistischer Inhalte. Auf den journalistischen Nachwuchs wirke der Beruf so weniger attraktiv. „Die Entwicklung muss dahin gehen, dass wir sicher von diesem Beruf leben können“, sagt die Freischreiber-Vorsitzende März. Dabei seien die Honorare „die größte Baustelle“. Sie fordert, dass Freie zukünftig nach zeitlichem Aufwand und nicht, wie bei Tageszeitungen üblich, nach Zeilen bezahlt werden. Auch Hörfunkautor Hoven fordert höhere Honorare. Zudem plädiert er, der selbst jahrzehntelange Erfahrung als Freier hat, für mehr Öffentlichkeit für die prekären Verhältnisse der Freien und einen stärkeren Austausch darüber.

Pessimistischer Realismus

Die freischaffenden Journalist*innen selbst blicken eher pessimistisch in die Zukunft, vielleicht aber auch realistisch. Über 93 Prozent erwarten laut LMU-Studie, dass ihre Arbeitssituation auch in Zukunft prekär bleiben wird. Forscherin Rick berichtet zudem, dass einige Betroffene mit dem Gedanken spielen, aus dem Journalismus auszusteigen. Zu groß sei die Unsicherheit auf Dauer. Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Die Freischreiber hatten während der Pandemie jedenfalls keine Mitgliederverluste zu verkraften.

12. Oktober 2022