#digijour2015 | Dokumentation
Experiment Storytelling

Die nicht immer sinnvolle Königsdisziplin des Journalismus

von Celina Stammerjohann und Viktor Marinov

Online-Video, Webreportage, Scroll-Doku: Storytelling im 21. Jahrhundert entwickelt sich in die Richtung des multimodalen Erzählens von Geschichten. Christian Sauer, Coach für Medienprofis, bezeichnete es sogar als die „Königsdisziplin des Journalismus“. Aber auch die negativen Seiten des neusten Hypes wurden auf der Tagung „Digitaler Journalismus“ in Hamburg angesprochen: Er sei ressourcenintensiv und nicht immer sinnvoll.

Schnibben, Sauer (v.r.)

Schnibben, Sauer (v.r.)

Ein Beispiel für die neue Art des Erzählens ist das Wissenschaftsmagazin „Substanz“. Das Online-Magazin legt den Fokus auf „lange Hintergrundstücke, opulent und individuell gelayoutet“, erklärt Denis Dilba, einer der Gründer. Ob sich die Mühe lohnt und diese Geschichten tatsächlich bei den Lesern ankommen, hat Philipp Niemann vom Karlsruher Institut für Technologie untersucht. „Eine tatsächliche Nutzung eines multimodalen Produktes findet so, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte, nicht statt“, lautete dabei die Erkenntnis seiner Rezeptionsstudie. Das liege vor allem an dem schwachen inhaltlichen Zusammenhang der unterschiedlichen Teile einer Geschichte. Der Modus Video sei als Darstellungsform sehr beliebt, „aber wie er dann eingebunden ist, da hatten die Probanden das Gefühl, dass er nur des Modus Willen umgesetzt wird.“

Nicht nur junge Projekte wie „Substanz“ haben Schwierigkeiten mit der Umsetzung von innovativen Erzählformen. Christian Zabel, Geschäftsführer von Zabel Associates GbR, hat zusammen mit der Uni Mainz fünf Redaktionen untersucht, die sich daran versuchen, darunter die FAZ und das Handelsblatt. Das Ergebnis – es fehlen etablierte Strategien. Die Zielsetzung in den Redaktionen sei relativ vage, sagte Zabel. „Am Anfang geht es um die technische Produktion und erst danach zunehmend um die inhaltlichen Fragen.“ Komplikationen entstünden vor allem bei der Kommunikation zwischen der Führungsebene und den handelnden Redakteuren. Die meisten untersuchten Redaktionen hätten kein schriftliches Konzept und keine etablierten Lernprozesse. Die Innovation liege vor allem in den Händen von Einzelkämpfern, in vier von fünf Fällen waren das junge, weibliche Mitarbeiterinnen, von Zabel „Change Agents“ genannt.

Ein-Mann-Team

Cordt Schnibben ist weder sehr jung noch weiblich, aber wohl ein „Change Agent“. Für den Spiegel hat der Reporter bereits bei mehreren multimedialen Geschichten mitgewirkt, darunter „Mein Vater, ein Werwolf“ und „Unser Weg nach Rio“. Dabei beschäftigt den Journalisten, wie man „auf diesen kleinen, beschissenen Smartphones“ erzählen soll. Grund für diese neue Erzählform sei aber vor allem die Suche nach einem neuen Erlösmodell, wie seine „Schaubilder der Schreckens“ zeigen: schrumpfende Verlage, sinkende Verkaufszahlen und steigende Internet- und Mobilnutzung. Schnibben betonte aber, dass eine multimediale Story nicht unbedingt ein großes Team und viele Ressourcen benötige. „Bei Road to Rio bin ich als Tourist in einem Ein-Mann-Team zur Weltmeisterschaft nach Brasilien gereist und habe nebenbei auf Facebook hin und wieder etwas gepostet.“ Dabei habe er ein besonderes Augenmerkt auf das Text-Video Verhältnis gelegt. „Immer dort, wo ich dachte, meine Sprache ist zu schwach, habe ich ein kurzes Video eingesetzt.“ Auch wenn man mit der Sprache viel beschreiben könne, kurze Filme zu zeigen, sei viel eindrucksvoller, erläuterte Schnibben. Man könne mit ganz simplen Methoden Storytelling betreiben. Das Wichtige dabei sei die multimediale Dramaturgie. „Als erstes braucht man natürlich Drama. Wenn du keine Geschichte hast, hör auf zu versuchen, mit Videos und Bildern das irgendwie aufzumotzen. Das funktioniert nicht.“ Man solle der Optik vertrauen und schon bei der Recherche auf starke optische Elemente setzen, dabei müsse die Arbeit crossmedial erfolgen, sodass die Elemente miteinander reden. Außerdem sei es wichtig die Mittel so anzuwenden, dass sie ihre Stärken ausstrahlen. „Du brauchst eine ganz klare Hierarchie in diesen Mitteln“, sagte Schnibben und betonte, das führende Element müsse deutlich sein. „Sei stringent und streiche alles weg, was den Leser nur ablenkt.“ Interaktivität sei ebenso wichtig wie strenge Autorität. Schnibben: „Gebe dem Leser die Chance, tatsächlich Komponist der Story zu sein, aber begrenze die vorgegebenen Möglichkeiten.“ Abschließenden bedachte Schnibben, dass der entscheidende Mensch der Leser sei und man ihn in alle dramaturgischen Überlegungen miteinbeziehen müsse. Dies spiegle sich auch in der Attraktivität des Produktes für Social Media Kanäle wieder. Der Leser müsse auf Facebook oder Twitter auf Elemente stoßen, die ihn begeistern.

Der Beitrag dokumentiert einen Programmpunkt der Tagung „Digitaler Journalismus: Disruptive Praxis eines neuen Paradigmas“, die am 5. und 6. November 2015 unter der Leitung von Prof. Dr. Volker Lilienthal (Universität Hamburg) in Hamburg stattfand.

1. Dezember 2015