#NR23 | Innovation
Entlastung für gestresste Redakteur*innen

Der Kommunikationswissen­schaftler Neil Thurman erforscht Künstliche Intelligenz im ­Lokaljournalismus und er­klärt, warum ChatGPT keine existenzielle Bedrohung für die Profession darstellt.

Herr Thurman, Sie erforschen den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Lokaljournalismus. Worum geht es genau?
Wir arbeiten mit Lokalredaktionen zusammen, um herauszufinden, wie sie Automatisierung und künstliche Intelligenz zur Verbesserung ihrer Abläufe nutzen können. Unser Ziel ist es, ihre Produkte – Websites, Nachrichtenplattformen, aber auch ihre gedruckten Blätter – zu optimieren, ohne dabei die eigene Verantwortung zu untergraben.

Thurman_hi-res - Neil ThurmanWie sieht das in der Praxis aus?
Eine Nachrichtenredaktion, mit der wir zusammenarbeiten, interessiert sich zum Beispiel für den Einsatz von KI beim Factchecking.

Im Lokaljournalismus ist die Redaktion sehr nah am Thema der Berichterstattung und am Publikum. Ist das der richtige Ort für KI?
KI kann im Lokaljournalismus ganz unterschiedlich eingesetzt werden. Etwa beim Social Media Monitoring zu Themen aus der Region oder der Personalisierung von Nachrichtenangeboten je nach Interessensgebiet oder Alter des Publikums. Gestresste Redakteure können durch die Automatisierung von redaktionellen Prozessen entlastet werden.

Welche Veränderungen wird KI Ihrer Meinung nach für den Lokaljournalismus bringen?
Ich hoffe, dass KI und Automatisierung den Lokaljournalismus leistungsfähiger machen. Schon heute gibt es automatisch verfasste, auf Daten basierende Nachrichten. Und die Automatisierung wird dazu beitragen, dass noch mehr öffentlich verfügbare Daten für die lokale Berichterstattung genutzt werden können.

Haben Sie ein Beispiel?
In Großbritannien erstellt zum Beispiel RADAR (Reporters And Data And Robots) jedes Jahr Zehntausende datengestützte Lokalnachrichten und veröffentlicht sie in Lokalmedien im ganzen Land.

Wenn KI redaktionelle Arbeit übernimmt, werden Ressourcen frei. Glauben Sie, dass diese dem Jounalismus zugutekommen?
Das ist eine interessante Frage. Es stimmt, dass die KI Freiräume schaffen kann für tiefgründige Recherche. Aber das hängt vom Willen der Verantwortlichen ab. Uns fehlen noch die Daten, um die tatsächlichen Auswirkungen zu ermitteln.

Ist KI der Schlüssel zu einem wirklich objektiven Journalismus?
An der Programmierung automatisierter Systeme sind fast immer Menschen beteiligt, was dazu führen kann, dass sich deren subjektive Sichtweisen und Vorurteile in der Programmierung wiederfinden. Daher wird sich der Grad an Objektivität im Journalismus nicht wesentlich verändern.

Was halten Sie von ChatGPT?
ChatGPT birgt großes Potenzial, aber auch Risiken. Einige Medien mussten bereits von ChatGPT erstellte Artikel zurückziehen. Eine sorgfältige menschliche Kontrolle und Faktenchecks sind unerlässlich.
Außerdem stellt sich die Frage, wie das auf diese Weise erstellte Material gekennzeichnet werden soll.

Wird KI uns Journalist*innen irgendwann ersetzen?
Der Journalismus wird nicht verschwinden. KI kann einfache Aufgaben übernehmen, aber Journalisten werden weiterhin Aufgaben übernehmen, die KI nicht erledigen kann. Die Fähigkeiten von ChatGPT sind auf Inhalte im Netz beschränkt. Bei Nachrichten handelt es sich aber oft um neue Informationen, die noch nicht in digitaler Form vorliegen. Journalismus basiert meistens auf menschlicher Interaktion oder Informationen, die nicht maschinell lesbar sind. Daher wird es immer einen Bedarf an Journalisten geben.

Die Fragen stellte Mengyu Cao.

16. August 2023