#nr15 Spezial | Interview | Krisenberichterstattung
Das eigene Trauma

Trauma als Tabu? Die Psychotherapeutin Fee Rojas coacht Journalisten zum Thema „Umgang mit extremen Belastungssituationen“. Im Interview mit Message erklärt sie, warum es immer noch eine große Hemmschwelle unter Journalisten gibt, auf die eigene Betroffenheit zu schauen und warnt Journalisten vor einer Sekundär-Traumatisierung.

Ein Interview von Lea Freist

Message: Fee Rojas, Sie arbeiten seit langem als freie Trainerin mit Journalisten zusammen und haben beispielsweise eine Konferenz zum Thema „Trauma und Journalismus“ an der ARD-ZDF-Medienakademie geleitet. Inwieweit ist Traumatisierung noch ein Tabuthema unter Journalisten?

Foto: privat

Der wichtigste Schutz vor einem Trauma ist ein funktionierendes soziales Umfeld, meint Fee Rojas. / Foto: privat

Fee Rojas: Es gibt noch eine große Hemmschwelle, angesichts verheerender Krisen und Katastrophen auf die eigene Betroffenheit zu gucken. Journalisten beschäftigen sich in diesem Punkt nur ungern mit ihrer eigenen Rolle. Dabei heißt es oft: Was soll so eine Nabelschau, was sollen wir groß darüber berichten, wie es uns Journalisten geht? Wenn man in einem Krisengebiet war, wo die Menschen kaum Gelegenheit zum Überlegen hatten oder ums Überleben kämpfen, und ich nur für ein oder zwei Wochen von dort aus berichte, mein Rückflugticket schon gebucht habe und dann wieder in einem Land bin, wo alles funktioniert. Dann sei die eigene Befindlichkeit doch geschmacklos. Den Begriff geschmacklos habe ich oft gehört: Es ist doch geschmacklos, wenn wir uns damit beschäftigen, wie es uns als Journalisten damit geht und andere viel mehr leiden.

Werden die Belastungen in Krisengebieten von den Arbeitgebern wahrgenommen?
Der WDR ist beispielsweise ein Sender, der da sehr weit ist. Generell gibt es meiner Einschätzung nach ein großes Bewusstsein für das Thema Traumatisierung bei den Öffentlich-Rechtlichen. Ich plädiere dafür, dass die Vorbereitung auf Krisenberichterstattung, aber auch der Umgang mit Traumatisierten zu den allgemeinen verbindlichen Richtlinien einer Redaktion gehören. Und: Redaktionen müssen sich klarmachen, dass auch derjenige, der davon berichtet, mitbetroffen ist. Denn Reporter, Bildjournalisten und Kameraleute können sekundäre Traumatisierung erleiden. Das bedeutet, dass sie von dem Trauma eines anderen, der etwas Extremes erlebt hat, ein Stück weit wie „angesteckt“ sind.

Was bedeutet das?
Das ist natürlich nicht für alle Menschen gleich: Wenn ich Kinder habe, die im gleichen Alter sind wie diejenigen, die verunglückt sind, dann bin ich davon berührbarer als jemand, der keine Kinder hat. Ganz wichtig ist auch, dass sich Redaktionen und Journalisten bewusst machen, dass diese Traumata nicht nur Krisengebiete betreffen. Ja, es ist fast einfacher, aus solchen Katastrophengebieten zu berichten. Man bewahrt den Abstand – ich fahre da hin, habe eine ungefähre Ahnung, dass mich etwas Extremes erwartet. Für viele ist es viel belastender, wenn etwas im Inland passiert. Und das völlig unvorbereitet: wie ein Amoklauf, eine Zugkatastrophe oder gerade der Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine. Katastrophen im Inland – ohne Vorlaufzeit – sind schwerer zu verarbeiten als etwa eine Naturkatastrophe weit weg. Dieses Bewusstsein dafür, die Sensibilität in den Redaktionen macht schon mehr als die Hälfte der unterstützenden Maßnahme aus.

Was kann man tun, wenn man am Ort der Krise, das Gefühl hat, dem emotionalen Druck nicht standzuhalten, gleichzeitig aber weiterberichten muss?

Ein wesentlicher Schritt ist, sich genau dieses klarzumachen und anzuerkennen, das wird jetzt gerade zu viel für mich und dieses Gefühl ist nicht berechenbar. Es kann auch sein, dass der Reporter schon von viel größeren Unglücken berichtet hat, aber ihm dieses jetzt besonders nahe geht. Ich leide da mit. Ich bin jetzt hier und von dieser Situation schockierter, berührter, fassungsloser als von etwas anderem. Dann ist es wichtig und hilfreich, wenn man Kollegen hat, Leute, mit denen man sich austauschen kann. Die Forschung sagt, der wichtigste Schutz vor einer Trauma-Folgestörung seien funktionierende soziale Beziehungen und Netzwerke.

Können schreibende Journalisten besser mit Erlebtem umgehen als Fotografen?
Ich glaube, dass das Medium, für das man berichtet, weniger eine Rolle spielt als die Situation, in der man ist. Es gibt Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Belastung für Fotojournalisten am allerhöchsten ist, weil sie die kürzeste Verweildauer an dem Unglücksort haben und von einem Krisengebiet zum nächsten fliegen – sozusagen nur ihre Bilder abliefern und daraus keinen Bericht machen. Heutzutage weiß man, dass dieses ‚Darüber-Berichten’ bereits eine Form der Verarbeitung und des Schutzes vor Traumatisierung darstellt.

Es ist also von Vorteil, wenn ich Zeit habe, mich mit dem, was ich erlebt und gesehen habe, auseinanderzusetzen?

Ja, genau. Ich würde sagen, dass die Belastung für diejenigen, die das Material weniger gestalten, höher ist als für die, die es gestalten: Wenn ich einen Fernsehbeitrag mache – ich bin beim Dreh, ich sitze im Schnitt und texte später dazu –, habe ich mir eine erste Chance der Verarbeitung geschaffen. Für den Kameramann, der das Ganze nur dreht und die Bilder abgibt und sich nie wieder damit beschäftigt, ist es schon bedeutend schwieriger. Es gibt sogar eine Technik in der Traumatherapie, die „Bildschirmtechnik“, die genau damit arbeitet: Ich stelle mir das extrem Erlebte auf einem imaginären Monitor im Schnelldurchlauf vor, spule rückwärts und vorwärts, verharre auf Standbildern – ganz ähnlich wie im Schnittraum.

Was sollte man als Journalist am besten tun, wenn man aus einem Krisengebiet zurückkehrt?
Das ist ganz unterschiedlich – dafür muss man sich selbst gut kennen, nicht für jeden ist Reden das Richtige. Man muss gucken, was die eigenen Mechanismen und Techniken sind, um einen wieder bei sich ankommen zu lassen: Für den einen ist es der Aufenthalt in der Natur, für den nächsten ist es Sport, für den dritten sind es Treffen mit Freunden und Gespräche. Da gibt es kein Patentrezept. Wichtig ist es zu erkennen – was ich auch in den Trainings lehre –: Was habe ich für Techniken, um mich wieder bei mir ankommen zu lassen? Problematisch ist es nur, wenn ich als einzige Bewältigungsstrategie, Coping-Strategie ist der Fachbegriff, Alkohol habe. Alkoholtrinken kann eine Technik sein, um wieder „runterzukommen“. Gesellig was mit Freunden trinken – manche Auslandsreporter kultivieren den Alkoholkonsum geradezu klischeehaft. Wenn es allerdings die einzige Technik der Entspannung ist, wird es sehr problematisch.

Wann sollte psychologische Hilfe in Anspruch genommen werden?
Wichtig ist erst einmal sich einzugestehen, dass es völlig normal ist, wenn man nach einer Extremerfahrung ein paar Wochen danach schlechter schläft und Wiedererinnerungen an das Erlebte hat. Man spricht hier von einer Symptomtrias: Auf der körperlichen Ebene zeigt sich das in Übererregung, schlechtem Schlaf, Magen-Darm-Beschwerden, Muskelverspannung. Auf der psychischen Ebene gibt es zwei weitere Symptomgruppen: Flashbacks im wachen Zustand und im Schlaf. Und Vermeidung: Man versucht alles zu vermeiden, was einen an das Erlebte erinnert. Wenn diese Symptome jedoch länger als sechs Wochen andauern, dann sollte man darüber nachdenken, ob man ein Trauma-Coaching in Anspruch nimmt. Man sollte sich Unterstützung suchen, die einem dabei hilft, dass es sich nicht mehr so anfühlt, wie gerade „in-diesem-Moment-erlebt“, sondern man auch körperlich das Gefühl hat, dass die Extremsituation vorbei ist.

Weitere Informationen zu den Trainingskonzepten von Fee Rojas und ihren Kollegen finden Sie hier.

7. Juli 2015