#nr22
Aus den eigenen Fehlern lernen

Nach den Aufregungen um rbb und NDR gibt es großen Diskussions- und Handlungsbedarf. Welche Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist berechtigt – und welche überzogen?

von Steven Vorphal und David Hammersen

Nach der Affäre um rbb-Intendantin Patricia Schlesinger und Vorwürfen gegen den NDR steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Dauerfeuer. Einige Politiker*innen fordern unter anderem eine stärkere Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Reduzierung der Gehälter von Führungskräften.

Zukunft ohne ARD?

Johannes Boie, Chefredakteur der Bild-Zeitung, holt zu einer Generalabrechnung aus und wirft der ARD einen politischen „Linksdrall“ vor. „Das Erste ist oft das Allerletzte“, schrieb Boie in einem Kommentar über den Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und legte auf der NR-Jahreskonferenz noch einmal nach: Er könne sich eine Zukunft ohne ARD vorstellen, in der das ZDF auch die regionale Berichterstattung übernehme.

Dass Handlungsbedarf besteht und Strukturen sowie Zuständigkeiten reformiert werden müssen, bestätigen auch Akteure aus der ARD. „Eines der wesentlichen Probleme in diesem Sender ist, dass die Menschen, die den Finger in die Wunde legen, nicht ernst genommen wurden“, kritisierte NDR-Redakteurin Christine Adelhardt und fügte hinzu: „Ich will mit meinen Interessen nicht missachtet werden und da kann der NDR noch eine Menge lernen.“ NDR-Intendant Joachim Knuth räumte in einer anderen Diskussionsrunde zum Thema ein: „Wir haben die Situation in dieser Dimension nicht gesehen.“

Entstanden ist eine unübersichtliche Situation mit ganz vielen Baustellen, mit Schuldzuschreibungen und Handlungsaufforderungen. Doch ist die Generalabrechnung berechtigt oder gibt es eine Gunst der Stunde: Impuls zur Reform?

Immer ein scharfes Auge auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Anton Rainer, Redakteur im Wirtschaftsressort des Spiegel, sieht das Problem der Debatte darin, dass sich die vielen unterschiedlichen Vorwürfe „unter dem Norddeutschen Rundfunk subsumieren“. Statt sich differenziert mit den verschiedenen Vorwürfen im Einzelnen auseinanderzusetzen, verliere sich die Berichterstattung zu sehr in einer Skandalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an sich.

Geht die generelle Kritik an der ARD aus Teilen der Politik und privaten Medien wie der Bild-Zeitung also zu weit? „Wir haben grundsätzlich ein scharfes Auge auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, gibt Boie zu. Im Hinblick auf die aktuelle Situation sagt der Bild-Chefredakteur: „Hier kommen Skandale auf den Tisch und da stürzen sich alle drauf. Natürlich auch wir.“ Den Vorwurf unsachgemäßer Härte der Bild gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk lässt Boie nicht stehen: „Es war eine Berichterstattung wie jede andere. Immer mit gleicher Härte und gleichem Kompass.“

Berichterstattung von außen: gut für das Innere?

Der Buchautor und Fernsehproduzent Stephan Lamby, der das Panel moderierte, sieht in der generellen Berichterstattung von außen einen „Brustlöser“ für den Norddeutschen Rundfunk. Auch Intendant Knuth freut sich nach eigenen Angaben über die aufkommende Transparenz in der Aufarbeitung, an der er festhalten wolle. Das hofft auch die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne), Vorsitzende des Bundestags-Ausschusses für Digitales, und kann den negativen Schlagzeilen deshalb auch etwas Positives abgewinnen. Sie habe noch nie so viel selbstkritische Berichterstattung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst gesehen. „Das wird höchste Zeit und ist auch richtig. Denn es gibt viele Strukturen, die verändert werden müssen.“

Hamburgs Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) sieht die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser werde für das demokratische „Zeitgespräch der Gesellschaft“ auch in Zukunft gebraucht. Doch würden die Sender mit ihren Programmleistungen vielleicht in einer gemeinsamen Plattform aufgehen.

12. Oktober 2022