#nr21 | Lokaljournalismus
Adieu, Terminjournalismus!

Bei den Lokalzeitungen tut sich etwas. Sie werden digitaler und stellen sich inhaltlich neu auf. Nicht jedem gefällt das.

von Maren Jensen

Seitenlange Berichterstattung über Schützenfeste, Jahreshauptversamm­lungen der Metzgerinnung oder Stadt­ratssitzungen – all das ist in den loka­len Nachrichten Ostfrieslands so gut wie Vergangenheit. „Wir haben den Ter­minjournalismus nahezu abgeschafft“, sagt Joachim Braun, Chefredakteur der Zeitungsgruppe Ostfriesland, unter de­ren Dach täglich die Ostfriesen-Zeitung (OZ) erscheint. Vereinsberichte werden nur noch in einer wöchentlichen Beila­ge publiziert.

Foto: Klaus Ortgies

Die Redaktion der Ostfriesen Zeitung in Leer
hat ihrer Leserschaft einiges an Veränderung
zugemutet. Chefredakteur Joachim Braun hält
das für alternativlos. Foto: Klaus Ortgies

Braun will damit einen Perspektivwech­sel herbeiführen – und selbst Themen setzen. Denn aus seiner Sicht würden viel zu häufig die Interessen von Amt-und Würdenträgern aus der Region von Lokaljournalist:innen berücksichtigt – und nicht die der Leser:innen.

Mehr Kündigungen – gut so!

Den Schritt, eigene Themen zu setzen, begrüßt Astrid Csuraji, Mitbegründerin des Innovationslabors „tactile.news“, das versucht, Lokaljournalismus digi­taler zu machen. „Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Nachrich­ten im Lokalen sind. Die Zeit der täglich erscheinenden Lokalzeitung ist aber vorbei“, sagt sie.

Mit ihrem Team entwickelte sie zu­letzt die Dialogsoftware 100eyes, die Journalist:innen mit vielen Menschen gleichzeitig in Kontakt bringt. Die Technologie setzt auf Messenger-Kom­munikation statt Social Media. „Für di­rekten und persönlichen Austausch“, sagt Csuraji. So könnten Redaktionen schneller erkennen, was die Menschen beschäftigt. „Meiner Meinung nach braucht der Lokaljournalismus einen Haltungswechsel und muss viel stärker Kontakt zu den Leuten suchen, die ihn nicht lesen“, sagt Csuraji.

Einigen OZ-Abonnent:innen scheint der nahezu abgeschaffte Terminjour­nalismus jedoch nicht zu gefallen. Im vergangenen Jahr haben rund sieben Prozent der Leser:innen ihr gedrucktes Abo gekündigt. Geschätzt ein Drittel davon, weil die OZ aus ihren vier Lokal­ausgaben eine Ausgabe für ganz Ost­friesland gemacht hat, sagt Braun. Un­ter den Kündigungen seien viele treue Leser:innen, die die Ostfriesische Zei­tung seit Jahrzehnten abonniert hatten.

E-Paper statt Zeitung

Die OZ musste damit 2020 rund 50 Pro­zent mehr Kündigungen hinnehmen als deutsche Lokalzeitungen ohne­hin durchschnittlich jährlich verkraf­ten müssen. War die Neuausrichtung also ein Fehler? „Nein“, sagt Braun. Er ist trotz der sinkenden Auflage zu­versichtlich: „Die Hälfte der Kündiger ist auf das E-Paper umgestiegen.“ Er glaubt daher, dass auch die kleinen Verlage in Deutschland überleben werden, wenn sie den digitalen Wandel schaffen. „Ich verliere viel lieber die alten Leser als den Leser von morgen“, sagt der Chefredakteur.

Vor allem aus unternehmerischer Sicht mache das Sinn: Ein gedrucktes Abo der OZ kostet derzeit 40 Euro monat­lich. Dabei entfallen allein 15 Euro pro Zeitung auf die Auslieferungskosten und den Logistikbereich. „Das ist doch wirklich Wahnsinn. Früher hat man mit 3,50 Euro kalkuliert“, sagt Braun. Hinzu kämen steigende Druckkosten.

Das E-Paper der OZ kostet hingegen nur 23 Euro monatlich und ist nicht nur für die Leser:innen erschwinglicher. „Der Gewinn ist für uns sogar größer als mit der gedruckten Version“, so Braun. Ziel ist es daher, so viele Leser:innen wie möglich zum Online-Angebot zu locken. „Es ist der einzige Weg“, sagt er. In der Summe verdiene die Redak­tion aufgrund der größeren Abonnen­tenzahl zwar noch mehr Geld mit der Printzeitung. „Print ist aber auf Dauer nicht erfolgreich und daher müssen wir umdenken“, sagt der Chefredakteur.

Neue Konzepte in Köln

Umdenken will auch der 145 Jahre alte Kölner Stadtanzeiger der DuMont- Mediengruppe. Dafür nahm der ehe­malige Handelsblatt-Redakteur Mar­tin Dowideit die neue Position des „Head of Digital“ ein und führte eine Reihe neuer Produkte ein: Den News­letter „Stadt mit K“, der bereits 50.000 Abonnenten zählt, sowie einen Podcast. Und auch für das E-Paper hat sich Dowideit viel vorgenommen: Ziel ist es, bis Jahresende online mehr als 14.000 Voll-Abos abzuschließen, aktu­ell sind es noch 9.000.

OZ-Chef Joachim Braun sieht die Ent­wicklungen des Kölner Stadtanzeigers positiv – glaubt aber, dass nicht nur der digitale Wandel wichtig ist. „Wir haben es geschafft, dass wir bei der OZ die Zahl der zu produzierenden Seiten um ein Drittel reduziert haben, die Zahl der Reporter aber gleichgeblieben ist – weil Qualität eben mehr Zeit braucht“, sagt Braun. Die Lokaljournalist:innen in Ostfriesland haben demnach mehr Zeit, an einem Bericht zu arbeiten und tiefer in die Recherche einzusteigen – etwas, das aufgrund des Kosten­drucks bei vielen anderen regionalen Tageszeitungen oft nicht möglich sei, sagt Braun. Um wieder mehr Vertrau­en beim Publikum zu schaffen, sei es daher nicht nur wichtig, ein digitales Angebot zu schaffen, sondern mit qua­litativen Analysen und Recherchen zu überzeugen. Und dafür reicht der Ter­minjournalismus nicht mehr aus.

1. Juli 2021