The Catch-Up

The Catch-Up Vol. 5 (29. Mai 2019)

Würden zwei exakt gleich ausgebildete Journalisten, die exakt gleichen Themen zur Berichterstattung auswählen? Fühlen sich Journalistinnen und Journalisten am liebsten unter ihresgleichen wohl? Und: Rezipieren statt Mitmachen – das Publikum will nicht partizipieren. Drei Themen und drei Studien im neuen Catch-Up.

von Jonathan Gruber

In Kürze:

  • Subjektivität im Journalismus. Wie individuelle Vorurteile, Emotionen und Interessen die Berichterstattung im Kulturjournalismus beeinflussen (Chong, 2019).
  • Journalistische Homophilie in Sozialen Netzwerken. Journalistinnen und Journalisten auf Twitter bleiben gerne unter sich (Hanusch & Nölleke, 2019).
  • Rezipienten diskutieren über partizipative Formate im Onlinejournalismus und kommen zu dem Schluss: Das Meiste davon brauchen wir eigentlich nicht (Suau, Masip & Ruiz, 2019).

Überraschung: Journalistinnen und Journalisten sind auch „nur“ Menschen mit Vorlieben und Interessen

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
Sie haben Feedback und Anregungen, was The Catch-Up aufgreifen könnte? Schreiben Sie uns!

Was wäre, wenn Subjektivität im Journalismus den gleichen Stellenwert eingeräumt bekäme wie – die mittlerweile durchaus kritisch diskutierte Idee der – Objektivität? Ist Journalismus nicht neben dem „sagen was ist“ auch immer ein wenig „sagen was ICH sehe“? Chong (2019, S. 2) geht davon aus, dass Menschen ihre Umgebung subjektiv wahrnehmen und Journalisten somit eine subjektive Auswahl treffen, wie sie berichten. Untersucht hat sie das anhand von Interviews mit 40 amerikanischen Literaturkritikerinnen und -kritikern.

Zwei von ihnen, die eine großer Golf-Fan, der andere ohne jegliches Interesse für Golf, bekamen ein Buch über Golf vorgelegt und sollten es rezensieren. Chong (S. 7) beschreibt diesbezüglich folgenden Interviewausschnitt aus ihrer Studie:

One long-time critic, for example, recalls a book she reviewed that was ‘all about golf, and I don’t know anything about golf, and I don’t care about golf!’ She ended up writing a very negative review of the book. The reviewer admits that she hated the book, but reflects, ‘I’m not sure if it’s his [the author’s] fault or mine’.

Was den einen zu Tränen rührt, mag den anderen völlig kalt lassen. Bei Literaturkritikerinnen und -kritikern äußern sich solch persönliche Emotionen in der Art und Weise, wie Rezensionen verfasst werden: Welche beschreibenden Adjektive werden verwendet? Wie wird die Handlung im Buch bewertet und geschildert (S. 9)? Verwende ich emotionale Adjektive, die meine eigene Gefühlslage widerspiegeln oder zwinge ich mich zu einem nüchternen Ton?

Einige Kritikerinnen und Kritiker in Chongs Studie erzählten, dass sie grundsätzlich eine zweite Meinung zu einem Buch einholen, um nicht von der eigenen Subjektivität geblendet zu werden (S. 10–11). Statt Subjektivität im Journalismus auszublenden, akzeptieren diese Journalistinnen und Journalisten also Subjektivität als ein Element ihres Berufs und versuchen, damit reflektiert umzugehen.

Ich gehe dahin, wo meine Freunde sind

Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen, die eine völlig andere Auffassung als Sie davon haben, wie ihre Arbeit am besten zu erledigen wäre. Schlimmer noch, Ihre Kolleginnen und Kollegen interessieren sich für ähnliche Themen, haben eine ähnliche Herkunft und sind alles in allem ein verschworener glücklicher Kreis – zu dem Sie nicht gehören. Würden Sie sich in der Umgebung wohlfühlen? Oder würden Sie vielleicht mit einem Auge nach alternativen Unternehmen oder Branchen Ausschau halten, in denen die Kolleginnen und Kollegen vielleicht eher so sind wie Sie: ähnliche Interessen haben, eine ähnliche Arbeitseinstellung und, und, und. Ein wenig sehnen wir uns alle nach so einer „Wohlfühlcommunity“ (Hanusch & Nölleke, 2019, S. 2).

Der Mensch ist ein soziales Wesen, das in Gruppenverbänden lebt. Das ist eine altbekannte Erkenntnis (S. 17). Online verhalten wir uns dabei wie offline: Wir suchen nach Menschen, die so sind wie wir. Und das obwohl über soziale Netzwerke es theoretisch viel einfacher wäre, in Kontakt mit fremden Menschen zu treten. Kein Wunder also, dass sich auch im Journalismus gerne Menschen vom ähnlichen Schlag tummeln.

Diese Sehnsucht nach homogenen Gruppen („Wohlfühlcommunity“) erforschten Hanusch & Nölleke, 2019, S. 2 in einer Studie an 2908 australischen Journalistinnen und Journalisten. Die Forscher schauten sich die Tweets der Gruppe innerhalb eines Jahres an. Heraus kam, dass Journalistinnen und Journalisten mit demselben Geschlecht, aus dem gleichen Unternehmen, mit dem gleichem Fokus der Berichterstattung und aus dem gleichen geografischen Umfeld eher miteinander interagieren, als solche, die diese Gemeinsamkeiten nicht aufweisen (S. 16).

Das ist grundsätzlich kein Problem. Warum sollten wir auch nicht nach Gleichgesinnten suchen, unter denen wir uns wohlfühlen? Aber solch ein homogenes Gruppenverhalten im professionellen Journalismus verdeutlicht leider auch eine verpasste Chance. Die Chance für Journalistinnen und Journalisten, die Komfortzone des Bekannten hinter sich zu lassen und sich für fremde Menschen, Ansichten und Interessen zu öffnen (S. 1).

Keine Lust auf Partizipation?

Wollen journalistische Publika bloß Informationen konsumieren oder auch produzieren beziehungsweise an ihrer Herstellung partizipieren? Sind wir im Internet aktive „Produser“ von Journalismus oder passive „User“? Eher Letzteres, bilanzierten verschiedene Studien aus den vergangenen Jahren. So auch die gerade veröffentlichte Studie von Suau, Masip und Ruiz (2019, S. 2 und S. 7). Die Forscher befragten dafür 106 Männer und Frauen in Barcelona im Jahr 2015 über ihr Interesse an Partizipationsformen im Onlinejournalismus.

Der Tenor: Möglichkeiten der Partizipation (dazu zählten die Autoren sowohl das „Folgen“ von Redaktionen in sozialen Netzwerken, die Chance, Inhalte zu personalisieren, die Möglichkeit, einen Artikel zu kommentieren, als auch das aktive Zusenden von Informationen an Redaktionen) im Journalismus sind nette Optionen, aber stehen keineswegs im Fokus der Rezipienten (S. 13). Wenn Partizipation, dann wünschten sich einige der Befragten vor allem bessere Austauschmöglichkeiten mit Journalistinnen und Journalisten. Statt bloß in den Kommentarspalten mit anderen Leserinnen und Lesern zu diskutieren, würden sie sich freuen, dort öfter die jeweiligen Autorinnen und Autoren eines Beitrags anzutreffen.

Was haben wir also dieses Mal gelernt? Holen Sie bei Rezensionen – wenn möglich – eine zweite Meinung ein. Des Weiteren sollten Sie diese zweite Meinung vielleicht auch mal außerhalb Ihrer Blase von Gleichgesinnten suchen. Und wenn Sie dann die Rezension publizieren, „verschwenden“ Sie nicht zu viel Zeit auf die Einbindung diverse Partizipationsmöglichkeiten für Ihr Publikum. Stattdessen bieten Sie lieber einmal alle paar Wochen eine persönliche Fragerunde an.

The Catch-Up

The Catch-Up Vol. 4 (22. November 2018)

Sprechen wir über Aufmerksamkeit: Wie erzeugt man sie beim Publikum (Stichwort „Storytelling“)? Und: Wer Print aufgibt, verliert Aufmerksamkeit. Das alles und mehr in der vierten Ausgabe von The Catch-Up.

von Jonathan Gruber

In Kürze:

  • Journalismus bedeutet auch, Geschichten zu erzählen – oder etwa nicht? (Boesman & Costera Meijer, 2018)
  • Wer sein Printgeschäft aufgibt und nur noch digital publiziert, schreibt vielleicht wieder schwarze Zahlen, verliert aber eine Menge Aufmerksamkeit. (Thurman & Fletcher, 2018)

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
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Von Fakten und Geschichten. Wenn ich für Sie eine Studie aussuche und hier kurz präsentiere, warum entscheide ich mich dann für die eine und gegen die andere Studie? Geht es alleine um die Qualität der jeweiligen wissenschaftlichen Arbeit? Die Qualität der Methodik? Die Aussagekraft der Ergebnisse? Oder wähle ich bloß ein Paper aus, von dem ich glaube, dass Sie sich dafür interessieren? Oder dessen Inhalt mir genug Material für eine unterhaltsame, anregende Geschichte liefert?

Ich würde all diese Fragen mit „Jein“ beantworten. Natürlich schaue ich immer mit einem Auge auf die „Unterhaltsamkeit“ einer Studie. Ich möchte Sie ja nicht langweilen. Andererseits hoffe ich doch, Ihnen keinen Unfug zu präsentieren und überprüfe deshalb immer nach bestem Gewissen die Qualität der jeweiligen vorgestellten Arbeit. Es ist also ein Mix aus Recherche (und den damit einhergehenden Fakten) und einer guten Story. Glaubt man Boesman und Costera Meijer (2018), dann verhält es sich im Journalismus ganz ähnlich:

“Greatly simplified, the practice of making news stories consists of two practices: being able to ‘recognize the news’ and to ‘make a story’ out of it” (S. 1004).

Die Autoren haben 49 belgische und niederländische Journalistinnen und Journalisten mit dieser Aussage konfrontiert. Deren Antwort: Jein. „[…] the interviewed journalists consider ‘news making’ and ‘storytelling’ often as distinct, and sometimes opposing, practices” (S. 1004).

Mit anderen Worten: Es gibt Fakten, die recherchiert und berichtet gehören und es gibt Geschichten, die diese Fakten gut verpacken und transportieren können. Dabei kann ersteres durchaus ohne letzteres bestehen, eine Geschichte aber niemals ohne gut recherchierte Fakten. Welche Form wann angemessen ist, so die Befragten Journalistinnen und Journalisten, richte sich ganz nach dem jeweiligen Publikum und dem eigenen Glauben, wie man dieses am besten über „Wichtiges“ informiert.

All […] have a different relationship to audiences: ignoring them or even showing aggressive behaviour towards them (don’t fool me), letting them “think for themselves” (facts not stories), making it easier for them (toolkit), making a space for them (voice), and immersing them (truthful not accurate). (S. 1005)

Ich frage mich: Basiert nicht jede kurze Meldung, jede Nachricht und jeder Bericht auf einem Selektionsprozess? Und geht es bei diesem Selektionsprozess nicht immer um eine Geschichte? Wer berichtet schon gerne Fakten, für die sich niemand interessiert? Funktioniert Journalismus also überhaupt ohne Storytelling? Was meinen Sie?

 

Wer Print liest, liest länger. Wenn man eine Zeitung aufschlägt, dann wird man sprichwörtlich von ihr eingenommen. Zwar hat nicht jedes Printprodukt die Ausmaße der ZEIT, aber sie beanspruchen allesamt einen überwiegenden Teil des Sichtfelds für sich. Das hat einen ganz besonderen Vorteil: Sie sind sich der Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser im Moment der Rezeption (zumindest visuell) sicher. Davon können digitale Produkte nur träumen. Ein Klick, ein Wischen mit dem Finger oder auch nur eine eingehende Push-Mitteilung und schwuppdiwupp ist die Aufmerksamkeit des Lesers oder der Leserin schon wieder ganz woanders.

Thurman und Fletcher (2018) haben diese Unterschiede am Beispiel der britischen Zeitung The Independent untersucht. Am 26. März 2016 wurde die letzte Ausgabe des Independent gedruckt – als Folge stetiger Verluste im Printgeschäft (S. 2). Fortan existierten die Angebote der Redaktion nur noch digital.

Statt Ressourcen für die Printzeitung zu „verschwenden“, konnten nun alle Redakteurinnen und Redakteure mit voller Power an den digitalen Produkten werkeln. Die Hoffnung: Reichweite und Abonnementzahlen deutlich anzuheben (S. 2–3).

Tatsächlich stieg die Anzahl der monatlichen Leserinnen und Leser des digitalen Independent. Dieser Erfolg wurde jedoch teuer bezahlt:

Despite increases in net monthly readership, our results show a dramatic drop in the attention received by The Independent from its British audience after it stopped printing and went online-only […]. We estimate that, in the 12 months before the switch, its print editions were responsible for 81% of the time spent with the brand by its British readers, and the online editions just 19%. After the switch, the attention it received via PCs and mobiles changed little. […] Comparing the time spent with The Independent’s digital editions in the 12 months after its move to online-only against the 12 months before shows an increase of less than half a percent. (S. 6)

All die schöne Zeit mit der gedruckten Version des Independent wurde also nicht eins zu eins in die Lektüre der digitalen Version investiert. Wer verbringt schon 15 oder 20 Minuten am Stück auf der Website oder der App einer einzigen Zeitung? Die interessante Frage lautete doch nun: Woran liegt es, dass Print „mehr“ (zumindest beim Independent) Aufmerksamkeit bindet? Und wie lässt sich das auf digitale journalistische Produkte übertragen?

 

Außerdem neu aus der Forschung:

  • Viele Journalistinnen und Journalisten in China lehnen die strenge Kontrolle ihrer täglichen Arbeit durch den allmächtigen chinesischen Staat ab. Überraschenderweise sind sie trotzdem ganz zufrieden mit ihrem Job (Liu, Xiaoming & Wen, 2018).
  • Den Öffentlich-Rechtlichen sei Dank: Sie sorgen (so eine Fallstudie aus sechs Ländern) für mehr Diversität bei Online-Nachrichten (Humprecht & Esser, 2018).
  • Dokumentarfilme erforschen? Geht jetzt einfacher – dank einer neuen Datenbank mit Metadaten zu 15.000 deutschen Filmen.
  • Wie sah Onlinejournalismus vor 15 Jahren aus? Wie vor zehn? Vor fünf? Was hat sich in den Darstellungsweisen verändert? Hinweise bieten Web-Archive. Wie man diese für die eigene Forschung verwenden kann, erläutern Weber und Napoli (2018).

The Catch-Up

The Catch-Up Vol. 3 (13. September 2018)

Bemühungen um Transparenz im Journalismus sind überbewertet, Infografiken machen nur bedingt Sinn und die Frage: Woher holen sich Redaktionen ihre Themenideen? Von anderen Redaktionen. Folge 3 unserer Reihe „The Catch-Up“

von Jonathan Gruber

In Kürze:

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
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Transparenz ist ein geflügeltes Wort im Journalismus. Keine Konferenz, kein Panel über Journalismus bei dem nicht mindestens einmal ‚Transparenz‘ als das Allheilmittel gegen eine mögliche Glaubwürdigkeitskrise präsentiert wird. Aus Sicht der Journalistinnen und Journalisten scheint diese Argumentation logisch: Wenn die Leute uns misstrauen, müssen wir sie halt von der Professionalität unserer Arbeit überzeugen, unter anderem dadurch, dass man Entscheidungsprozesse transparent darstellt. Leider geht diese Logik nicht ganz auf. Das behaupten zumindest Karlsson und Clerwall (2018) in einer unlängst publizierten Studie: Transparenz sei keine Eigenschaft, die das Publikum zwangsläufig mit Glaubwürdigkeit verbinde. Nein, Transparenz sei dem Publikum nicht einmal besonders wichtig:

„Based on the results of this study, there is no major transparency effect on credibility, nor are there urgent demands for it by the public.“ (S. 8)

Die Autoren fordern, dass Redaktionen Transparenz als Konzept stärker konkretisieren: Wann braucht es zusätzliche Transparenz? (Beispielsweise in Phasen der verstärkten Kritik oder bei besonders empfindlichen Themen) Und wann kann man auf Transparenz verzichten?

 

Dem Takt hinterherlaufen. Früher hingen Journalistinnen und Journalisten an den Lippen von Richtern, Polizisten, Politikern, Verwaltungsbeamten, Managern von großen Unternehmen und Streikführern aus ihrer Umgebung. Alles, was diese Menschen der Öffentlichkeit zu sagen hatten, wurde quasi automatisch publiziert. Das war der Beat, zu dem die Journalisten tanzten. So zumindest die Feststellung von Forschern, wie Fishman (1980). Fast 40 Jahre später gibt es laut Duffy et al. (2018) einen anderen Beat, der die Arbeit vor allem in Onlineredaktionen bestimmt: der Takt, in dem die großen journalistischen Marktführer ihre Stories veröffentlichen. Diese Geschichten werden von Journalistinnen und Journalisten anderer Redaktionen aufgegriffen und – manchmal mit einem leicht veränderten Fokus – auf der eigenen Plattform publiziert. Vor allem Nachrichten, die bereits in verschiedenen sozialen Netzwerken auf großes Interesse gestoßen sind, werden mit Vorliebe recycelt:

Even with the breadth of choice on the Internet, it was observed that at morning pitch meetings reporters frequently proposed the same story ideas. This suggests either that the same information finds its way onto many web- sites the reporters go to for inspiration; or that they are going to the same places for ideas. One reporter who was clearly respected for her originality came from a foreign country and was able to call upon a different selection of news sites for distinctive ideas. (S. 1364)

Der Vorteil dieses Vorgehens: Wenn ein Thema bereits von anderen Redaktionen, Bloggern, Privatpersonen etc. bearbeitet wurde, können diese als Quellen herangezogen werden:

[…] stories are also assembled from multiple secondary news sources to create an ‘original’ news story. Working on a story about turbulence affecting an Etihad flight, one editor was observed to have several windows open, all looking at unofficial (i.e., non-news organisation) sites ‒ Google, Twitter, Facebook, Soshiok and Mashable ‒ and to be selecting information from each. Newsworkers also give credit to these outlets as sources for the story for four reasons: first, it shows professional respect; second, to avoid accusations of plagiarism; third, as a ritual of objectivity by assembling many sources and fourth, because it allows the reader to gauge how much credence to give to the information. (S. 1360–61)

 

Infografiken sind nicht immer sinnvoll! Wer sich schon einmal an einer Infografik versucht hat, der weiß, wie viel Arbeit man in diese kleinen Dinger stecken kann. Blöd also, wenn sich dann am Ende keiner dafür interessiert. In einer aktuellen Studie fanden de Haan et al. (2018) nun heraus, dass das Publikum Infografiken nur dann wertschätzt, wenn diese in einen größeren thematischen Kontext eingebunden sind:

Our results show that visualizations are used, but that they are not seen as independent storytelling devices. Use is predicted by a news consumer’s interest in the topic of the story, as well as aesthetics. Nevertheless, data visualizations must fulfill a clear function. When visual form or aesthetics do not serve a purpose, they add no value in the eye of the consumer. In other words, the text and the visualization should be interconnected and tell the same story. If they do not, they are perceived as confusing and distracting. (S. 1304). 

Eine alleinstehende Infografik kann also noch so schön gemacht sein, dem Publikum (zumindest in der Stichprobe der angesprochenen Studie) ist sie größtenteils egal. Oder gibt es andere Erfahrungen?

 

Außerdem:

  • Warum tut ihr das? Ein Grund warum Journalistinnen und Journalisten über Selbsttötungen berichten: Die journalistische Routine besiegt persönliche Hemmungen. (Beam, John, & Yaqub, 2018)
  • Englische Zeitungsverlage erreichen ihr Publikum weiterhin hauptsächlich mit Printprodukten. (Thurman, 2018)
  • Wer ihn noch nicht gesehen hat: Der neue Digital News Report vom Reuters Institute für 2018 ist raus. Zusammenfassungen gibt es auf der Homepage des Reports und hier.
  • Lieber zusammen oder gegeneinander? Ein Essay über Kooperationen von Redaktionen im Journalismus.
  • Wertvoller Journalismus! Wie man sein Publikum vom Bezahlen überzeugt.

The Catch-Up

The Catch-Up Vol. 2 (19. Juni 2018)

Sogenannte Pionierjournalisten treiben den Fortschritt im Journalismus an. Wie sie die Branche verändern, untersuchen die Forscher Andreas Hepp und Wiebke Loosen. Zudem: Einblicke in die Rezeption von konstruktivem Journalismus und ein Rückblick auf die re:publica.

von Jonathan Gruber

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
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Die Wissenschaftler Andreas Hepp und Wiebke Loosen  glauben, dass sogenannte Pionierjournalisten (Datenjournalismus, Chatbotjournalismus, etc.) maßgeblich für Entwicklungen und Fortschritte im Journalismus verantwortlich sind. Um ihre Annahme mit Daten zu unterfüttern, haben sie im vergangenen Jahr eine Reihe von europäischen und US-amerikanischen Pionierjournalisten interviewt. In einem aktuellen Werkstattbericht (die Forschung ist also noch nicht abgeschlossen) schreiben sie:

The characteristics of established media organizations and start-ups seem to be quite clear: Established media organizations are financially, and in terms of the security they provide, (still) the better places to work, but are, due to their less flexible organizational structures and established routines, considered to be far less able to innovate and of less interest to pioneer journalists, despite being able to reach larger audiences. (S. 9–10)

Traditionelle Redaktionen sind also scheinbar nicht die optimalen Brutstätten für zukünftigen Formen von Journalismus. Doch es gibt einen Weg, Pioniere und Redaktionen zusammenzubringen:

In general, many of our interviews have shown us that pioneer journalism is intensively project-driven and something that, especially at the early stages of development, needs to be accomplished independently from the restrictions of daily production routines. This often means that individual pioneers and organizations are only bound together for a limited period of time and on a project basis and short-term contracts. (S. 13)

Solch kleine Projekte könnten irgendwann zu Keimzellen des Journalismus von morgen werden.

Certainly, pioneer journalists are not the sole ‘makers’ of journalism’s future – a future that is to some extent already observable in pioneering practices. But they are important idea generators in the broader dynamic of change: what is still perceived today as pioneering can (and will in part) be established practice tomorrow. (S. 18)

Wer sich ausführlicher mit Innovationen und Veränderungen im deutschen Journalismus beschäftigen will, dem sei die unlängst publizierte Dissertation von Christopher Buschow zu empfehlen: Die Neuordnung des Journalismus. Eine Studie zur Gründung neuer Medienorganisationen.

 

Bitte nicht zu euphorisch! Konstruktiver Journalismus im Test

Wie reagiert das Publikum auf innovativen, konstruktiven Journalismus?, fragte sich Klaus Meier und führte zwei Experimente mit Radio- bzw. Printbeiträgen (konstruktiv vs. nicht konstruktiv) durch. Zunächst einmal definierte er das Ziel von konstruktivem Journalismus als

[…] the objective of introducing additions to the classical “W” question words when researching and selecting topics: the question “What now?”, therefore a look towards the future instead of only the past—combined with explaining context, relationships, solution and action possibilities. It is a “holistic picture” that constructive journalism sets out to describe—and by no means a “positive journalism”—an expression that is refuted all-round because of its ambiguity: It is not intended to hide the negative aspects of a topic. (S. 2)

Die Befürworter von konstruktivem Journalismus haben die Nase voll von den ständigen „bad news“ und wollen ihrem Publikum eine andere Form von Berichterstattung bieten:

The readers of constructive articles (compared to readers of a non-constructive article on the same topic) should recognise the hope/solution of a problem on the micro-level, consider themselves better informed and feel better overall. On the meso-level, they should be more interested in the topic, medium and author and on the macro-level be more open towards social engagement in relation to the topic concerned or at least to talk with others about it. (S. 4)

Hehre Ziele, aber werden sie erreicht? Wie reagieren Menschen, wenn sie konstruktiv journalistische Beiträge konsumieren?

[…] The readers clearly recognise the core area of this reporting approach: hopeful aspects, encouragements, consolation and ideas for solutions. Constructive journalism can counteract a negative view of the world though with just a single report on a more emotional than rational plane: After the constructive report, readers feel emotional, cheerful and in part also less depressed, but not better informed, and they do not have a greater interest in the topic concerned. S. 13–14

Konstruktiver Journalismus ist vielleicht eher eine ergänzende Darstellungsform als die Revolution des Journalismus. Meier empfiehlt Redaktionen deshalb:

Constructive reporting needs more resources, time and space. First of all, the hopeful prospects should not be used to simply garnish a difficult problem at any price, and secondly not be at the expense of a differentiated and comprehensive presentation of a complex social problem. Accordingly, longer presentation forms, such as features, are more suitable for constructive journalism. […] Moreover, it is advisable to avoid overly euphoric reporting, as otherwise reports are perceived as uncritical, with the risk of the audience assuming an influence of commercial or political interests. (S. 14–15)

 

Was wir uns sonst noch so angeschaut haben (Rückblick auf die re:publica):

Alljährlich Anfang Mai versammeln sich Blogger, Journalisten, Politiker, Netzaktivisten, Wissenschaftler und viele, viele andere Menschen auf der re:publica in Berlin. Die re:publica 2018 (inkl. der Media Convention Berlin) ist vorbei, doch viele der Programmpunkte wurden aufgezeichnet und können online kostenlos nachgeschaut werden:

Besserer Journalismus statt Gimmick für Techlovers: Augmenting Journalism bei der New York Times —>

Wie kann Journalismus von einer neuen Technologie, wie Augmented Reality (AR) profitieren? Die New York Times hat es bei der Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele ausprobiert.

Neue Ideen für digitalen Journalismus: Crowdrecherche + alternatives Storytelling + Visualisierung von Daten + konstruktiver VR-Journalismus —>

Neue Technik, neue Möglichkeiten, neue Ideen für den Journalismus. Wie funktioniert die Umsetzung in Redaktionen? Journalistinnen und Journalisten berichten über ihre Erfahrungen.

Wie sieht der Nachrichten-Journalismus von morgen aus? —>

Ein Blick in die Zukunft: Wie erreichen uns in zehn Jahren journalistische Nachrichten?

 

Nachschlag

Inwiefern hängt die mediale Aufmerksamkeit für einen Politiker von dessen Persönlichkeit ab? Über eine Studie zu diesem Thema hatten wir in Vol. 1 berichtet. Aber welchen Unterschied macht das Geschlecht von Politikern auf Social-Media-Plattformen? Moran Yarchi und Tal Samuel-Azran haben sich das mal genauer angeschaut:

Our study focuses on male versus female politicians’ ability to engage social media users during an election campaign, using the Israeli 2015 campaign as our case study. Female politicians’ posts generated significantly more user engagement in terms of the number of Likes and Shares in comparison to male politicians, while generating the same number of participants in their discussions. […] The evidence strongly indicates that social media provides greater opportunities for female politicians to promote themselves and improve their status in the political power play. (S. 978)

Die Studie zeigt, dass Posts von Politikerinnen – in der Stichprobe – Interaktionen auf Sozialen Netzwerken stärker befördern als die der männlichen Kollegen. Das ist interessant, doch es bleiben viele Fragen offen: Liegt dies tatsächlich ausschließlich am Geschlecht oder vielleicht (auch) an unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen? Welche Bedeutung hätte diese Beobachtung für den Ausgang von Wahlen? Welche Aussagen lassen sich auf dieser Grundlage über das Publikum solcher Posts treffen?

Politik und Journalismus | The Catch-Up

The Catch-Up Vol. 1 (24. April 2018)

In der ersten Ausgabe von „The Catch-Up“ beschäftigen wir uns mit dem Verhältnis von Politik und Journalismus. Fawzi, Baugut und Reinemann (2018) haben die Fixierung von Lokalpolitikern auf Lokalzeitungen als Informationsquelle und Möglichkeit der Selbstdarstellung untersucht. Amsalem et al. (2018) erforschten dagegen die Persönlichkeitsmerkmale von Politikern, die eine besonders intensive Berichterstattung befördern. 

von Jonathan Gruber

Unzertrennbar: Tageszeitungen und Lokalpolitiker

The Catch-Up ist eine Message-Reihe, die über aktuelle Forschungsergebnisse und Diskussionen aus der Journalistik berichtet. Sie richtet sich sowohl an Forschende und Studierende des Fachbereichs als auch an Journalistinnen und Journalisten sowie alle anderen Interessierten. Ziel ist eine Verknüpfung von Wissenschaft und journalistischer Praxis.
Sie haben Feedback und Anregungen, was The Catch-Up aufgreifen könnte? Schreiben Sie uns!

Gehen Sie mal in das Büro einer Lokalpolitikerin oder eines Lokalpolitikers, vorzugsweise morgens. Sehr wahrscheinlich werden Sie die Politikerin oder den Politiker vertieft in eine lokale Tageszeitung vorfinden. Ist das Informationsbedürfnis befriedigt, wandert die Zeitung in der Regel durch die Hände aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird auch dort aufs Genaueste studiert. Den enormen Stellenwert der lokalen Tageszeitung in der kommunalen Politik haben Fawzi, Baugut und Reinemann (2018) in einer Studie untersucht und dafür Fragebögen von 461 Kommunalpolitikern ausgewertet.

Das Ergebnis: Nicht Soziale Netzwerke oder die Onlineauftritte der Lokalmedien waren für die Politiker erste Anlaufstelle für Informationen „über das aktuelle politische Geschehen, über Positionen der relevanten Organisationen oder der Bürger“, sondern die klassische Tageszeitung (S. 25) – wobei die Daten der Erhebung bereits vier Jahre alt sind. Das Medium also, dessen Abgesang seit Jahren laut ertönt und welches mit starken Reichweiten- und Umsatzverlusten zu kämpfen hat. Die Tageszeitung scheint den Politikern etwas anzubieten, was genau ihren Bedürfnissen entspricht. Möglicherweise wissen sie um die inhaltliche Relevanz, welche vor allem die regionale Presse hat. Einer Studie des Mediendienstleisters presserelations zufolge werden vermehrt regionale Tageszeitungen von anderen Medien zitiert. Das spricht für die Qualität der Angebote.

Informationen aus Sozialen Netzwerken erachteten übrigens gerade einmal ein Viertel der Befragten für relevant und lokale Blogs sowie Bürgermedien lockten mit ihren Angeboten nur ungefähr jeden Zehnten.

Keiner interessiert sich für die Netten!

(Lokal-)Politiker nutzen die Zeitung natürlich auch zur Selbstdarstellung. Laut der Studie versuchen 80 Prozent der Befragten, über die Lokalmedien eigene Themen auf die politische Agenda zu setzen (Fawzi et al., 2018, S. 33). Manche haben dabei mehr Erfolg als andere. Amsalem, Zoizner, Sheafer, Walgrave & Loewen (2018) haben unlängst erforscht, welche Charaktereigenschaften Politikern dabei zum Vorteil gereichen.

Ein Showmaster wie Donald Trump oder eine Technokratin wie Angela Merkel: Wem widmen die Medien mehr Aufmerksamkeit? Interviews mit 339 Berufspolitikern und Parlamentsmitgliedern aus Belgien, Kanada und Israel, gepaart mit einer Erhebung zu ihrer „medialen Sichtbarkeit“ (Anzahl der Namensnennungen der Politiker in nationalen Medien) zeigten,

  • dass die individuelle Persönlichkeit von Politikern tatsächlich einen starken Einfluss auf ihre Medienpräsenz hat. Das Forscherteam analysierte dafür die spezifischen Charaktereigenschaften ihrer Stichprobe mithilfe des sogenannten Big-Five-Persönlichkeitsmodells aus der Psychologie.
  • dass besonders häufig extrovertierte und kommunikationsfreudige Politikerinnen und Politiker in den Medien auftauchten. Nach Amsalem et al. (2018) suchen solche Menschentypen beständig nach sozialer Anerkennung und genießen das Scheinwerferlicht der Medien. Ganz anders Charaktere, die besonders rücksichtsvoll, empathisch und kooperativ erscheinen. Ihre Namen tauchten deutlich seltener in der untersuchten Berichterstattung auf. Der mögliche Grund: Konflikte und Auseinandersetzungen wecken eher das Interesse des Publikums (siehe: Nachrichtenfaktoren) und werden deshalb im Journalismus bevorzugt publiziert (dazu gibt es mittlerweile Gegenbewegungen, z. B.: Solution Oriented Journalism).

Die Autoren warnen in der Diskussion ihrer Ergebnisse davor, dass die Fixierung der Berichterstattung auf konfliktfreudige Politiker eine Polarisierung der Gesellschaft befördern könnte: „[…] while cooperation and compromise are fundamental aspects of the democratic process, the media success of less agreeable politicians—who are more hostile and aggressive—can lead over time to more polarized political systems“ (S. 19).

P.S.: Über das Verhältnis von Politik und Journalismus in einer Demokratie können Sie hier mehr erfahren. Erste Analysen zur Verwendung von Social Media im Rahmen der Bundestagswahl 2017 hat beispielsweise Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut hier veröffentlicht. Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Podcast „The Axe Files“, mit David Axelrod. Der einstige Wahlkampfleiter von Barack Obama unterhält sich in seinem Podcast mit namhaften Personen aus Politik und Journalismus über ihren Werdegang und das aktuelle Zeitgeschehen. Besonders interessant ist beispielsweise die Folge mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau oder das Gespräch mit Ex-Trump-Pressesprecher Sean Spicer, kurz bevor dieser seinen Job im Weißen Haus antrat.

Quellen

Fawzi, N., Baugut, P., & Reinemann, C. (2018). Die Funktionen von Lokalmedien für die Kommunalpolitik. Medien & Kommunikationswissenschaft, 66(1), 22–40. https://doi.org/10.5771/1615-634X-2018-1-22

Amsalem, E., Zoizner, A., Sheafer, T., Walgrave, S., & Loewen, P. J. (2018). The Effect of Politicians’ Personality on Their Media Visibility. Communication Research. https://doi.org/10.1177/0093650218758084