Stress im Journalismus
Gebrannt, verbrannt, ausgebrannt

Aus dem Traumjob ist ein Horrorjob geworden - Matthias Onken
Matthias Onken liebt und lebt den Job als Reporter. Er hängt sich rein, arbeitet hart und wird mit einem schnellen Aufstieg in die Chefredaktion belohnt. Doch dieser Job hat auf einmal gar nichts mehr mit seiner eigentlichen Leidenschaft zu tun: Reporter sein. Onken macht trotzdem weiter, will sich und anderen beweisen, dass er Chef sein kann. Als er 2011 seinen Job als Redaktionsleiter bei Bild Hamburg schmeißt, ist er ausgebrannt, körperlich und psychisch an seinen Grenzen. Doch er schafft den Ausstieg kurz bevor es zu spät ist, macht sich selbstständig und nutzt seine Erfahrungen inzwischen als Medienberater für diverse Unternehmen und Persönlichkeiten.

Von Anissa Brinkhoff, Maria Schütte und Rike Uhlenkamp

Über seinen Absprung aus dem Journalismus hat Matthias Onken 2012 ein Buch geschrieben: „Bis nichts mehr ging. Protokoll eines Ausstiegs“. Er erzählt darin von dem anfänglichen Rausch, Artikel zu veröffentlichen, über die ganz Hamburg spricht. Zugleich beschreibt er die tiefschwarze Kehrseite dieser Kicks, wenn der berufliche Stress nur noch mit Überstunden oder Drogen zu kompensieren war. Er berichtet von den Konsequenzen seines damaligen Lebensstils: Die Ehe wird geschieden, er schafft es nicht mehr, seinem Sohn ein guter Vater zu sein. Freundschaften zerbrechen, der eigene Körper rebelliert.

Onkens Buch ist ein Erlebnisbericht. Medien besprechen es, er wird als Gast in Talkshows eingeladen. An seinem Fall werden viele Fragen diskutiert: Ist der Journalisten-Beruf wirklich so stressig? Oder ist das hauptsächlich ein Problem der Chefetage?

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Onken erzählt, weshalb er das Buch geschrieben hat.

Matthias Onken wird 1972 in Hamburg geboren. 1981 zieht seine Familie nach München. Als Schüler zeigt Onken keinen großen Ehrgeiz, erzählt er in seinem Buch. Er geht irgendwann nur noch zur Schule, um Freunde zu sehen. Für das Abitur wechselt er vom Gymnasium auf eine Fachoberschule.

Nach dem Abitur zieht es ihn zurück in seine Heimatstadt Hamburg. Er schreibt unzählige Praktikumsbewerbungen an große Hamburger Zeitungen. Vergebens. Zwei Tage vor dem eigentlichen Beginn seines Studiums bekommt er doch noch eine Zusage vom Pinneberger Tageblatt. Und entscheidet sich für Praktikum statt Studium. Ab diesem Moment lebt Onken für seinen Beruf zu: Schon im Praktikum arbeitet er zwölf Stunden am Tag, sogar am Wochenende. Belohnt wird er mit einem Volontariat beim Pinneberger Tageblatt. Weitere Karrierestationen: Bei der Hamburger Morgenpost steigt er vom Redakteur zum Ressortleiter und anschließend zum Chefredakteur auf. 2008 wechselt er zur Bild Hamburg und wird Redaktionsleiter.

Dass es ihm während dieser Zeit kontinuierlich schlechter geht, er körperlich und psychisch am Ende ist, verdrängt Onken. Wirklich bewusst wird ihm das erst zum Zeitpunkt seines Ausstiegs. „Tiefschwarz“ ist ein Wort, das er häufig benutzt, wenn er seinen damaligen Zustand beschreibt. Er erzählt von der Panik, seinen Aufgaben nicht gerecht zu werden, von anhaltenden Schlafstörungen und einer Sucht nach Anerkennung.

Gearbeitet habe er schon immer viel, so Matthias Onken: „Als Reporter waren das häufig zehn bis zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Aber das habe ich als positiven Stress wahrgenommen. Ich war unglaublich produktiv. Erst als ich in leitende Positionen kam, baute sich ein Druckgefühl auf, das mich nie wieder verlassen hat. Mein Job hatte einfach nichts mehr mit meinem Traumberuf vom Anfang zu tun. Der Stress wucherte in mir wie ein bösartiges Geschwür.“

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Onken erzählt von seinen Tiefpunkten und von dem Moment, als es ihm klar wurde, dass er aussteigen will.

Durch Onkens Geschichte wird deutlich, was Stress mit Menschen anrichten kann: körperliche Schmerzen, Schlaflosigkeit, psychische Erschöpfung, Missbrauch von Medikamenten und Drogen, der Verlust des sozialen Umfeldes. Seit Jahren diskutieren Mediziner und Psychologen, wie zwischen temporärem Stress, dauerhafter Belastung und einem Burnout zu unterscheiden ist. „Stress empfinden wir alle mal“, sagt Christine Busch, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Arbeits- und Organisationspsychologie mit dem Schwerpunktthema Ressourcen- und Stressmanagement an der Universität Hamburg. „Gefährlich wird es, wenn Stresssituationen lang anhalten. Dann kann es zur emotionalen Erschöpfung und anderen Folgen kommen.“

Eine dieser Folgen wird als Burnout bezeichnet, die jedoch medizinisch nicht als Krankheit anerkannt ist. Die Psychologin Busch schildert: „Es gibt verschiedene Symptome, die unter dem Oberbegriff Burnout zusammengefasst werden. Jemand, der Burnout hat, ist sehr erschöpft und ausgelaugt. Er bezeichnet sich selbst als nicht mehr leistungsfähig und hat das Gefühl, seine sozialen Kontakte nicht mehr aufrechterhalten und seinen Job erfüllen zu können.“ Matthias Onken sagt von sich, er habe kein Burnout gehabt.

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Einschätzungen einer Psychologin zu Stress und Burnout

Für etwas brennen, leistungsorientiert sein – das wird von der Gesellschaft positiv gewertet. Und deshalb habe der Begriff Burnout auch eine positive Konnotation. „Bei Burnout geht es immer darum, dass jemand mal gebrannt haben muss. Wenn ich ein Burnout habe, war ich mal sehr leistungsfähig“, sagt Psychologin Busch. Als besonders gefährdet sieht sie Führungskräfte: „Personen werden meistens deshalb zu Führungskräften, weil sie besonders viel Leistung zeigen. Sie machen Karriere aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz, ihres Engagements und ihrer Leistungsbereitschaft. Sie ,brennen‘ für ihren Job.“
Diese Einschätzung teilt auch Matthias Onken. Seiner Meinung nach gibt es zu wenig Coachings für Führungskräfte, in denen sie lernen, mit Stress umzugehen und auch darüber zu reden. Oder solche Coachings würden einfach zu selten wahrgenommen. Ein Männerproblem? „Im Journalismus sind nun mal die allermeisten Führungspositionen mit Jungs besetzt. Sie aufzufordern, sich mit eigenen Gefühlen zu beschäftigen und ehrlich zu sich selbst zu sein, ist schwierig. Das machen diese Jungs in der Regel nicht so gerne“, erklärt Onken.

Er selbst sei immer stolz gewesen, wenn Mitarbeiter mit Problemen hilfesuchend zu ihm gekommen sind. Von eigenen Chefs sei er jedoch nie gefragt worden, wie es ihm geht. „Selbst wenn ich gefragt worden wäre – wahrscheinlich hätte ich gelogen und gesagt, es sei alles gut“, gibt er zu. Er sei eben auch einer dieser „Jungs“ gewesen. Ein Coaching-Angebot des Axel-Springer-Verlages nimmt er zu spät an. Es verdeutlicht ihm nur noch, dass er aus diesem Job möglichst schnell raus muss.

Bisher fehlen ausreichende wissenschaftliche Studien, die sich speziell mit dem Thema Burnout und Stress im Journalismus beschäftigen. Aus den vorhandenen Studien lassen sich dennoch einige Stressoren speziell für den Journalismus herauslesen: Zeitdruck, umfangreiche und ungeregelte Arbeitszeiten, Überforderung, Konkurrenzdruck, begrenzte Handlungsspielräume, generelle Arbeitsunzufriedenheit sowie soziale Stressoren aus dem Kontakt mit Kollegen oder Vorgesetzten. Diese einzelnen Komponenten sind in sich jedoch so komplex, dass sie nicht einfach zu definieren und untersuchen sind. Aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Untersuchungen gibt es bisher auch keine berufsspezifischen Strategien gegen Stress und Burnout. Grundlegend ist nur bewiesen, dass Reflexion über das eigene Empfinden und Handeln Stress reduziert, da so persönliche Stressoren identifiziert und verändert werden können. Doch wie Matthias Onken erkannt hat, ist Selbstreflexion noch nicht in vielen Chefetagen angekommen.

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Metaebene: Stress im Boulevardjournalismus

Aber ist die Geschichte von Matthias Onken nur typisch für den Boulevardjournalismus? Wäre es ihm in anderen Redaktionen ähnlich ergangen? Er glaubt, dass seine Erlebnisse typisch für den Boulevard sind: „Der Druck ist ein ganz anderer, die Geschwindigkeit ist eine andere, die Lautstärke ist eine ganz andere in jeglicher Hinsicht“, zählt er auf. Gleichzeitig lassen ihn die Reaktionen auf sein Buch von Chefredakteuren anderer Zeitungen vermuten, dass die Lage dort ähnlich ist.

Verallgemeinerungen sind trotzdem fehl am Platz: Die persönlichen Ressourcen eines jeden sind unterschiedlich. Und deshalb kann der normale Alltag des einen für den anderen unerträglichen Stress bedeuten. Christine Busch mutmaßt über Onken: „Durch seinen Wechsel in die Führungsetagen hat er Rollen zugeschrieben bekommen, die nicht zu seinem Selbstverständnis passten. Wahrscheinlich musste er im Job andere Werte als sonst im Leben vertreten. Dadurch entstanden Rollen- und Wertekonflikte, die klassische Stressoren sind und großes Unbehagen auslösen können.“

Anstatt sich Pausen zu gönnen, betäubt sich Onken mit weiterem Stress, Alkohol und Drogen. Aus psychologischer Sicht ist dies ein autoaggressives Verhalten. Und ein deutlicher Hilferuf, wenn sich ein Mensch als Bewältigungsstrategie für seine Probleme weiteren Schaden zufügt. Gelungene Artikel in seiner Zeitung konnten Onken für ein paar Tage beflügeln. Busch bezeichnet dieses Berauschen an den eigenen Erfolgen als ein narzisstisches Verhalten mit Risikofaktor, das zu einer Sucht werden kann.

Im Nachhinein wundert sich Onken, dass niemand seinen damaligen Zustand bemerkt hat. Sein ehemaliger Kollege Sascha Balasko sagt, er habe tatsächlich nie wahrgenommen, wie Onken sich damals fühlte. Beide haben sich während der gemeinsamen Zeit bei der Hamburger Morgenpost als Reporter kennen gelernt und sind heute noch befreundet.

Balasko ist einer der ersten, dem Onken von seiner Kündigung erzählt: „Er kam abends gegen halb elf aus Berlin von dem Kündigungsgespräch mit Kai Diekmann und rief mich an, dass wir uns treffen müssten“, erinnert sich Balasko. „Bei dem Treffen war er dann sehr euphorisiert und erleichtert.“ Er bekommt auch Onkens Manuskript schon vor der Veröffentlichung zu lesen. Balasko liest das Buch – und rät Onken von einer Veröffentlichung ab. „Ich fand, dass er sehr schonungslos gegenüber sich selbst berichtet. Ich habe ihm gesagt, dass er sich möglicherweise angreifbar macht, weil er viel Intimes von sich preisgibt.“ Doch Onken veröffentlicht das Buch trotzdem. Sein ehemaliger Kollege hat eine Erklärung dafür: „Matthias hat das Buch als eine Art Therapie für sich selbst geschrieben.“

Doch wie kann es sein, dass jemand mit dem Onken als Freund und Kollege fast täglich Kontakt hat, nicht merkt, wie es diesem wirklich geht? Balasko sagt: „Ich wusste nichts von diesen dunklen Seiten, die er in seinem Buch beschrieben hat. Wir haben darüber gesprochen und seine Erklärung war, dass er seinen Zustand verstecken wollte. Er ist gar nicht der Typ dafür, sich in solchen Situationen Hilfe zu suchen. Hätte er seine Ängste, die er im Buch beschreibt, nicht verdrängt, dann hätte er wahrscheinlich schon vorher die Reißleine gezogen.“

Mattias Onken hat eine schnelle Karriere hinter sich, erklärt Balasko: „Er hat früh Chancen bekommen und sie dann auch ergriffen. Mit Mitte 30 war er schon Chefredakteur der Hamburger Morgenpost.“ Er beschreibt Onken als Macher, mit dem Diskussionen auch mal lauter werden konnten. Hinter dieser Fassade habe niemand die dunklen Seiten vermutet. „Davon wusste ich nichts.“ Im Gegensatz zu Onken glaubt Balasko nicht, dass der Boulevard als Genre ausschlaggebend ist, ob jemand ein Burnout erleidet: „Jede Art von Journalismus kann einen an die Leistungsgrenze bringen. Es hat natürlich auch etwas mit den Strukturen zu tun, in denen man arbeitet. Das Genre kann ein Grund sein. Es ist aber nie der einzige.“

Matthias Onken macht sich kurz nach seiner Kündigung bei der Bild selbstständig und arbeitet nun als Medienberater für Politik, Wirtschaft und Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen. Zwischen dem beruflichen Ausstieg und dem Neustart lagen nur sechs Wochen. Dass er wahrscheinlich immer dazu neigen wird, sich zu viel Arbeit aufzuladen, weiß er: „Auch der jetzige Job ist kein Spaziergang und ich bleibe anfällig für Stress.“ Aber inzwischen kommen seine Lebensgefährtin und seine beiden Söhne an erster Stelle. Und obwohl er nicht mehr als Reporter oder Chefredakteur arbeiten möchte, versichert er: „Nach wie vor halte ich den Journalismus für einen Traumberuf.“

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Was macht Matthias Onken jetzt?


Text: Anissa Brinkhoff

Videos:
Kamera & Schnitt: Maria Schütte und Rike Uhlenkamp
Interviewführung: Anissa Brinkhoff
Redaktion/ Planung: Anissa Brinkhoff, Maria Schütte und Rike Uhlenkamp

Buchtipp: Matthias Onken: „Bis nichts mehr ging – Protokoll eines Ausstiegs“ (rowohlt, 8,99 Euro)

Wir danken dem 25h Hotel Hamburg für die Unterstützung der Dreharbeiten.

16. Juni 2014

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