Journalisten nahmen Journalisten unter die Lupe

Die große Fachtagung über Medienjournalismus

Leidenschaftlich stritten Journalisten und Medienwissenschaftler aus Europa und den USA über Probleme und Perspektiven des Medienjournalismus: Wie viel Selbstkritik ist erlaubt? Wie groß sind die Tabuzonen? Message hatte anlässlich ihres zehnten Geburtstags Ende April 2010 führende Medienjournalisten nach Leipzig eingeladen.

In einem Punkt waren sich alle Diskutanten einig: der Medienjournalismus hat in der komplexer werdenden Medienwirklichkeit eine immer größere Bedeutung. Doch wie die Aufgabe der kritischen Medienbeobachtung konkret auszusehen hat, bereits an dieser Frage schieden sich die Geister.

Standards definieren und Orientierung geben

Mit dem Amerikaner Mike Hoyt war ein Kenner der amerikanischen Szene zu Gast. Seit 25 Jahren arbeitet er für die international renommierte Columbia Journalism Review, ist seit vielen Jahren deren Chefredakteur und hat alle einschneidenden Entwicklungen sowie deren Auswirkungen auf den Journalismus kritisch begleitet. Er sieht Medienjournalismus ein Organ der Hilfestellung: »Auch wir waren früher kritischer, haben zum Teil lediglich gescholten. In letzter Zeit haben wir gemerkt, dass Journalisten eher Hilfestellung brauchen und dafür auch dankbar sind.«

»Weniger Kritik – mehr Hilfe und Rat für die Kollegen«: Keynote-Speaker Mike Hoyt, Chefredakteur der »Columbia Journalism Review«

»Weniger Kritik – mehr Hilfe und Rat für die Kollegen«: Keynote-Speaker Mike Hoyt, Chefredakteur der »Columbia Journalism Review«

Hoyt stellte sich den Fragen der USA-Experten Stephan Ruß-Mohl und Hans Kleinsteuber. Sie gingen der in Deutschland beliebten Frage nach, inwieweit die Trends in den USA vorbildhaft für Europa seien. Das Fazit fiel differenziert aus: Eine ganze Riehe krisenverursachender Prozesse im US-amerikanischen Medienmarkt lassen sich auf Deutschland nicht übertragen – leider auch nicht die Fähigkeit US-amerikanischer Journalisten, ihre Arbeitsroutinen kritisch in Frage zu stellen.

»Die Zukunft des Journalismus entscheidet sich nicht auf den Medienseiten.«

In der Diskussion ging es auch das Problem der Finanzierung: Handwerkliche Professionalität, Relevanz und gute Recherche, nicht zuletzt die Sicherstellung der Unabhängigkeit sind die großen Themen des kritischen Medienjournalismus – und zugleich auch die Probleme, unter denen er selbst zu leiden hat: Nur noch wenige Zeitungen haben eine Medienseite, die den Namen verdient. Für die Schweiz, so sagte es der NZZ-Medienredakteur Rainer Stadler, sei er »der letzte Mohikaner«. Wie sehr Anspruch (»wichtiger denn je«) und Wirklichkeit (Medienseiten werden eingespart) auseinanderklaffen, machten viele Diskussionsbeiträge deutlich.

Die von Susanne Fengler (TU Dortmund) und Stephan Ruß-Mohl (Universität Lugano) vorgestellten Projekte für eine europäische Medienbeobachtung machten deutlich, wie schwer es ist, in Europa eine gemeinsame Plattform der Medienbeobachtung und Qualitätskontrolle zu installieren – die Einsicht in die Notwendigkeit jedenfalls wäre da.

Podiumsdiskussion – Foto: Andreas Lamm

Podiumsdiskussion – Foto: Andreas Lamm

Der blinde Fleck der Selbstbeobachtung

Wollen Medien über sich selbst kritisch berichten? Ausnahmsweise schon, wenn sie mal großen Mist gebaut haben: SZ-Chefredakteur und Message-Beirat Werner Kilz erinnerte an die pingelige Selbstaufklärung der SZ-Redaktion, als dank eines »Focus«-Berichts herauskam, dass im SZ-Magazin die erfundenen Interviews des Pseudo-Journalisten Tom Kummer ungeprüft abgedruckt wurden. Doch in der Regel bleibt das eigene Haus tabu, erklärte Kai-Hinrich Renner vom Hamburger Abendblatt mit unverblümter Offenheit.Kuno Haberbusch, bis Herbst vorigen Jahres streitbarer Chef der medienkritischen NDR-Sendung ZAPP, machte kein Bogen um die hausinternen Fettnäpfchen. »Freunde macht man sich damit keine«, meinte er – und sagte damit auch, dass man als kritischer Medienjournalist auch psychisch standfest sein müsse (siehe nebenstehend).

Letztlich, so zeigte die Diskussionsrunde mit Stefan NiggemeierKai-Hinrich Renner,Hans-Jürgen Jakobs (SZ) und Steffan Grimberg (taz), müssen die Medienbeobachter aus unabhängiger Sicht schreiben können: Als Arbeitnehmer haben sie gegenüber ihrem Haus »einen blinden Fleck«, sagte Michael Haller, nur ausnahmsweise können sie offen schreiben. Befangen sind sie oftmals auch, wenn es um die Konkurrenz geht – allerdings, darauf wies Jürgen Jakobs hin, lassen sich auch bei den Konkurrenten Vorgänge und Fehler aufdecken und sachlich beschreiben, auch wenn man selbst mitunter Blödsinn macht. Dies sind neue Töne im deutschen Medienjournalismus, der früher lieber nach der Maxime handelte: Eine Krähe hackt der andern kein Auge aus.

… lösten Zustimmung wie auch Widerspruch aus.

… lösten Zustimmung wie auch Widerspruch aus.

Was hat das Publikum davon?

Wenn Massenmedien über Medienmacher schreiben: Wen interessiert das? Stimmt es, dass sich Medienjournalisten doch nur an ihre Kollegen richten und ihr Lesepublikum quasi missbrauchen? Die Diskussionsteilnehmer waren da anderer Meinung: Guter Medienjournalismus ermögliche es dem Publikum, die Funktionsweise der Mediengesellschaft besser zu verstehen. Medienjournalisten seien die wichtigsten Aufklärer: Mit dieser Meinung stand Kuno Haberbusch keineswegs allein.

Übrigens stieß der französische Journalist Mathieu Magnaudeix mit seiner Online-Zeitung mediapart.fr. auf großes Interesse. Es handelt sich um ein innovatives, zudem erfolgreiches Projekt, das genau dort angreift, wo die französischen Mainstreammedien ihre Waffen strecken, weil sie selbst in den Polit-Klüngel verstrickt sind.

Recherche, egal wo, ist und bleibt die Kernkompetenz des Journalismus. »Die Zukunft des Journalismus entscheidet sich nicht auf den Medienseiten«, sagte SZ-Chefredakteur Hans-Werner Kilz. Vielleicht meinte er: nicht nur auf den Medienseiten.

Lina Hatscher, Piet Felber und Michael Haller

22. März 2013

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