Satire
Bergführer am Bullshit Mountain

Stewart am Fuße des Bullshit Mountain.  / Screenshot: Comedy Central

Stewart am Fuße des Bullshit Mountain. / Screenshot: Comedy Central

Die „Daily Show with Jon Stewart“ ist ab morgen Geschichte. Nach 16 Jahren tritt ihr Namensgeber freiwillig ab. In dieser Zeit machte Stewart aus der Satiresendung ein ernstzunehmendes Politikformat und schuf ganz nebenbei ein neues Genre.

von Malte Werner

Wenn am Donnerstagabend die Kameras im Studio an der Ecke 52. Straße und 11. Avenue im New Yorker Viertel Hell’s Kitchen ausgeschaltet werden, geht eine Ära amerikanischer Fernsehgeschichte zu Ende. Der schmucklose Flachbau mit der Hausnummer 733 und der markanten blauen Markise war bis dato die mediale Heimat von Jon Stewart und seiner „Daily Show“. Die als Nachrichtensatire konzipierte Sendung schaffte es in den vergangenen 16 Jahren, zu einer ernstzunehmenden Quelle politischer Information zu werden und ein ganzes Genre neu zu definieren.

Damit ist am Freitag Schluss. Während Stewarts Fans, die für Tickets zu seiner Show schon Stunden vor Beginn der Aufzeichnung vor dem Studio Schlange standen, den Abgang des 52 Jahre alten Moderators betrauern, dürften einige Blocks weiter östlich die Sektkorken knallen – im Hauptquartier von Fox News, Stewarts Antipode.

Denn während das links-liberale Establishment Stewart zu Füßen lag, entwickelte er sich parallel zum Hassobjekt der amerikanischen Konservativen. Deren Echokammer Fox News gehört wohl zum lautesten und schrillsten, was Medienmogul Rupert Murdoch unter dem Dach von News Corp. versammelt hat. Im Wahlkampf mutiert der Sender geradezu zum Sprachrohr der republikanischen Partei. Zu den quoten-(und meinungs-)stärksten Sendergesichtern gehören Bill O’Reilly und Sean Hannity, die gar nicht erst versuchen, dem Sendermotto „fair and balanced“ gerechtzuwerden. Ihre Berichterstattung ist mindestens tendenziös, oft schlicht und einfach falsch. Und sie ist der Grundstein für den Erfolg der „Daily Show“. In den vergangenen Jahren verging kaum eine Sendung, in der sich Stewart nicht an den fragwürdigen journalistischen Auswürfen von Fox News abarbeitete, sich aufrieb und den Sender nicht selten der Lächerlichkeit preisgab.

Irgendwann wurde es Stewart zu bunt und er taufte die effekthaschende, emotionalisierende und die Wahrheit bis aufs äußerste beugende Berichterstattung von Fox News einfach um in „Bullshit Mountain“.

Das Geheimnis der „Daily Show“, die Stewart 1999 übernahm, sind jedoch nicht die Fehler der Konkurrenz. Es gibt genug YouTube-Zusammenschnitte mit den größten „Fails“ aus dem Nachrichtenalltag. Die Sendung gibt sich nicht damit zufrieden, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Stewart und sein Team kämpfen einen Kampf gegen die Verdummung der Nachrichten und der Zuschauer. Ihre stärksten Waffen dabei: Humor und Fakten.

Das Zusammenspiel von Satire und realer Information ist die Erfolgsformel der „Daily Show“ und der Grund, dass sie in der amerikanischen Medienlandschaft lange Zeit einzigartig blieb. „Konkurrenz“ erhielt sie nur aus den eigenen Reihen. Stewarts einstiger Show-„Korrespondent“ Stephen Colbert trumpfte im Spin-Off „The Colbert Report“ in der Rolle eines selbstverliebten rechtspopulistischen Moderators auf und avancierte in wenigen Jahren zum Comedy-Superstar, der nun sogar Late-Night-Ikone David Letterman beerben wird. Hierzulande sucht man Vergleichbares vergeblich. Einfach nur Witze reißen, das kann jeder. Manchmal sogar das ZDF, dessen fader Abklatsch „heute show“ mit Moderator Oliver Welke bei Publikum und Kritikern zwar gut ankommt, dem Vergleich mit dem amerikanischen Vorbild aber keine Sendeminute lang standhalten kann.

Der Grund ist simpel und zugleich die journalistische Kür: Recherche.

In einem Essay über das schwindende Vertrauen in den Journalismus stellt Götz Hamann in der Zeit (25. Juni 2015) die steile These auf, Satiriker wie Oliver Welke seien Mitschuld am Medienverdruss der Massen. Das kann man richtig finden oder auch nicht. Interessanter ist, was Hamann fast beiläufig über die beiden Satire-Welten schreibt, in denen sich Oliver Welke und Jon Stewart bewegen.

„Welke benennt oft reale Probleme, seine Pointen aber sind stets destruktiv, ganz im Habitus der Satire, die sich nur vornimmt, was sie verdammenswert findet. Bei der heute-show geht niemand auf Recherche, wie es einige der Vorbilder in den USA tun. […] Welke hingegen bedient nur die Lust am Skandal und befriedigt den simplen Wunsch seines Publikums nach einer moralisch klar geordneten Welt.“

Seine Schlussfolgerung lautet: „Satire schlägt Recherche“, was für die „heute show“ stimmen mag. Bei der „Daily Show“ ist es umgekehrt. Die Wahrheit ist oft absurder als jede satirische Überhöhung.

Das Team hinter Stewart besteht nicht nur aus Gag-Schreibern, sondern genauso aus Spürnasen. Als die „Daily Show“ 50 von Fox News verbreitete Lügen in einem  sechssekündigen Vine-Video zusammenschnitt, sah sich die renommierte Fact-Checking-Plattform Politifact die Vorwürfe einmal genauer an. Das Ergebnis ist ein Ritterschlag für die Satire-Redaktion.

Dass seine Fake-News mehr bewirkt haben als ein bloßes Training des Zwerchfells, zeigte sich Anfang des Jahres, als das unfaire System für die medizinische Versorgung von Veteranen nach einem „Daily Show“-Beitrag überarbeitet wurde. Die Macht der Satire, Stewart weiß sie geschickt einzusetzen. Als der ehemalige Fox News-Moderator Glenn Beck 2010 zur patriotisch-verbrämten „Restoring Honor Rally“ nach Washington D.C. einlud, konterten Stewart und Colbert mit ihrer „Rally to Restore Sanity“. Ihrem Aufruf zur Wiederherstellung der Vernunft folgten rund eine Viertelmillion Menschen.

Nur einmal unterschätze er seinen eigenen Erfolg. Als „Daily Show“-„Reporter“ Jason Jones 2009 seine zotigen Berichte über die bevorstehende Präsidentschaftswahl im Iran statt wie üblich vor dem Greenscreen im Studio tatsächlich in Teheran filmte, wurde einer seiner Interviewpartner, der Dokumentarfilmer Maziar Bahari, wenig später verhaftet. Das harmlose Gespräch geriet zur Spionage-Posse. Die iranischen Sicherheitsbehörden hielten die Satire-Sendung für echt.

„Die Parodien der Nachrichten fangen an, die Nachrichten zu ersetzen“, schreibt Constantin Seibt im Tagesanzeiger. Daran scheint etwas dran zu sein, auch wenn Stewart selbst sich dagegen wehrt, ernsthaften Journalismus zu betreiben. Aus seiner ideologischen Nähe zu den Demokraten macht er keinen Hehl. Es ging ihm nie um Objektivität im Sinne von Ausgewogenheit. Es ging ihm um Korrektheit.

Wann immer Stewart ein Thema in seiner Sendung aufgriff, pflückte er ein Stück weit den amerikanischen Journalismus auseinander. Dabei ging es nicht nur Fox News an den Kragen. Die Dauererregtheit und Technikverliebtheit bei CNN nahm er ebenso aufs Korn wie MSNBC, den linksliberalen Gegenpart zu Fox News. Das war in erster Linie einfach nur komisch. Auf den zweiten Blick war die Sendung gelebte Medienkritik und damit ein notwendiges Korrektiv in einer von Lautsprechern geprägten Medienlandschaft, in der Lagerdenken wichtiger ist als neutrale Berichterstattung und der tägliche Irrsinn von Fox News unwidersprochen über den Äther geht. Ein vergleichbares Glanzstück gelang hierzulande Jan Böhmermann (der sich seine Rubrik „Eier aus Stahl“ übrigens von Colberts „The Word“ abgeschaut hat) mit seinem „Varoufake“.

Wenn der Bergführer am Bullshit Mouintain am Donnerstagabend seine letzten Tour beendet hat, bleibt dem Publikum immerhin die Gewissheit, dass die Sendung mit dem in den Staaten noch relativ unbekannten Trevor Noah als neuem Gastgeber fortgesetzt wird. Außerdem schlägt Stewarts Kronprinz, der britische Komiker John Oliver, der den angestammten Moderator im vergangenen Jahr als „Daily Show“-Host so gut vertreten hatte, dass ihm gleich eine eigene Sendung angeboten wurde, seit einiger Zeit hohe Wellen. In „Last Week Tonight With John Oliver“ widmet sich der „Daily Show“-Sprössling mit der unverkennbaren Handschrift seines ehemaligen Arbeitgebers Themen wie Netzneutralität oder der Fifa. Oliver ist mehr als nur ein guter Ersatz für die lustigen Momente der „Daily Show“.

Doch nach dem Abgang von Jon Stewart werden nicht nur seine Witze fehlen, sondern auch die klugen, nachdenklichen Ansprachen, mit denen er uns in Momenten, in denen uns nicht zum Lachen zu Mute ist, ins Gewissen geredet hat – wie beim Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo oder dem rassistisch motivierten Massaker in einer Kirche von Charleston im US-Bundesstaat South Carolina.

Sie waren leidenschaftliche Plädoyers für Freiheit und Toleranz und eine Abrechnung mit fundamentalistischen Weltbildern, die ihre Nahrung auch in der undifferenzierten Berichterstattung vieler Medien finden. Wenn solch leise Stimmen verstummen, so ist zu befürchten, übernehmen die Agitprop-Lautsprecher wieder das Kommando.

6. August 2015