Ringvorlesung "Lügenpresse"
Medienrecht-Experte: „Die Medien sind rechtlich der Wahrheit verpflichtet – nicht der Lüge“

Der Medienrechtler Tobias Gostomzyk hat in einem Vortrag an der Universität Hamburg dargelegt, wie aus juristischer Perspektive mit Lügenpressevorwürfen und Falschmeldungen umgegangen werden kann. Es war der dreizehnte Vortrag innerhalb der Ringvorlesung „Lügenpresse – Medienkritik als politischer Breitensport“, die das Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg ausrichtet.

Von Luisa Drees und Carolin Kampschulte

„Fake News“ – das Schlagwort der Stunde: Falschmeldungen geistern massenhaft durch das Internet, verbreiten sich automatisiert und ungehindert. Nach Auffassung von Prof. Tobias Gostomzyk vom Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund handelt es sich dabei um einen Begriff, der zum jetzigen Zeitpunkt in der öffentlichen Diskussion noch nicht eindeutig definiert ist. Er erklärte am 16. Januar 2017 im Rahmen der Ringvorlesung Lügenpresse – Medienkritik als politischer Breitensport an der Universität Hamburg, wie aus juristischer Perspektive mit Falschmeldungen und Lügenpressevorwürfen umgegangen werden sollte.

Dürfen die Medien rechtlich gesehen lügen? „Die Medien sind rechtlich der Wahrheit verpflichtet – nicht der Lüge“, betonte Gostomzyk. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die öffentliche Aufgabe der Medien, als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen der Bevölkerung und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung Informationen zu verbreiten, zur Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger beizutragen, Entscheidungen politischer Institutionen zu kontrollieren und Missstände zu kritisieren. Diese Anforderungen an die Medien ergeben sich ihm zufolge aus dem „Spiegel“-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1966 und haben in alle Landespressegesetzen Einzug gehalten. „Den Medien kommt die Aufgabe eines Public Watchdog zu – ein Wachhund im Dienst der Öffentlichkeit“, verdeutlichte Gostomzyk. Aufgrund dessen müssten die Medien in ihrer Berichterstattung besonders sorgfältig vorgehen und alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung auf Wahrheit, Inhalt und Herkunft prüfen. Doch: „Die Medien können nicht immer die Wahrheit sagen, weil das niemand von uns kann. Aber sie können darauf festgelegt werden, sorgfältig in ihrer Arbeit vorzugehen. Das ist das, was das Gesetz letztlich erfordert“, fasste Gostomzyk zusammen.

Dürfen die Medien als Lügenpresse bezeichnet werden? „Hier muss die Antwort – wie so oft in der Juristerei – vage ausfallen“, stellte Gostomzyk klar. Er unterstrich, dass sich Journalisten und Medienunternehmen grundsätzlich einer scharfen Auseinandersetzung stellen müssen und der Kontext entscheidend ist, in dem der Begriff Lügenpresse verwendet wird. Könne der Vorwurf inhaltlich begründet werden, sei er durchaus zulässig – anderenfalls eher nicht. Weitere Faktoren wie die Bekanntheit eines Journalisten, die Intensität der Persönlichkeitsverletzung, das öffentliche Informationsinteresse und die Art der Darstellung müssten ebenfalls einbezogen werden.

Gostomzyk: „Die Stunde der Medien schlägt.“ / Bild: Florian Hohmann

Für die rechtliche Einordnung des Begriffs Lügenpresse ist es laut Gostomzyk wichtig zu unterscheiden, dass es eine zivilrechtliche und eine strafrechtliche Betrachtungsweise gibt und die Bezeichnung Lügenpresse entweder als Meinungsäußerung, Tatsachenbehauptung oder Beleidigung aufgefasst werden kann. Während Meinungsäußerungen weitgehend geschützte und damit zulässige Wertungen seien, seien Tatsachenbehauptungen überprüfbar und müssten erweislich wahr sein, um zulässig zu sein. Bei einer Beleidigung müsste eine Person hingegen individuell in ihrer Ehre verletzt werden, um dies zu einem strafwürdigen Tatbestand zu machen sein. Gostomzyk zufolge wird der Begriff Lügenpresse „in aller Regel als Vorwurf gegenüber Medien, mit denen man unzufrieden ist“, verwendet.

Lassen sich Lügen im Internet rechtlich eindämmen? Gostomzyk führte vier Modelle zur Eindämmung von Falschmeldungen an, die derzeit öffentlich diskutiert werden. So würden neue Strafnormen gefordert. Dies sei kritisch zu sehen. Denn: „Es ist nicht die Aufgabe und Funktion des Strafrechts, alles, was uns in der Gesellschaft nicht gefällt, unter Strafe zu stellen. Und deswegen wird es schwierig, überhaupt einen Strafbestand formulieren zu können.“ Ein weiterer Ansatzpunkt bestehe darin, Bußgelder bei Plattformen zu verhängen, wenn diese Falschmeldungen innerhalb eines Tages nicht löschen. Verstreicht die Zeitspanne ohne Reaktion, fallen für Facebook, Twitter und Co Bußgelder von 500.000 Euro an. Doch: „Wann handelt es sich überhaupt um eine Falschmeldung? Ist das in 24 Stunden festzustellen? Journalisten recherchieren manchmal Tage, Wochen, Monate, Jahre, um einen bestimmten Tatbestand zu ermitteln“, wandte Gostomzyk ein. Vorgeschlagen werde außerdem eine Abwehrstelle von Falschmeldungen seitens der Regierung. Das Bundespresseamt solle Falschmeldungen ermitteln und diese kenntlich machen. Schließlich werde eine Selbstregulierung von Facebook verlangt. Falschmeldungen sollten gekennzeichnet werden, die dann von dem Recherchebüro Correctiv als externer Dienstleister geprüft werden könnte, so ein weiteres Modell, dessen Erprobungsphase demnächst starten soll.

Ausgehend von diesen Entwicklungen im Internet legte Gostomzyk eine neue Funktion der Medien dar, er prophezeite: „Die Stunde der Medien schlägt. Einige haben sich zu Wort gemeldet als Anti-Lügenpresse, als Anti-Fake-News-Presse. Dort gibt es einen Zusammenschluss, bei dem zum Beispiel die Deutsche Presse-Agentur mitmacht: In einem Netzwerk, das sich auf die Fahnen schreibt, falsche Informationen zu enttarnen und diese präsent zu machen.“ Zusätzlich zu ihrer bereits beschriebenen öffentlichen Aufgabe könnten sie also künftig dafür zuständig sein, Öffentlichkeiten und Kommunikationsräume intakt zu halten – ohne bisherige, ursprüngliche Aufgaben zu vernachlässigen, schloss Gostomzyk seinen Vortrag.

1. August 2017