Henri-Nannen-Preis
Post vom Spiegel

In der letzten Ausgabe der Message druckten wir ein Interview mit den Henri-Nannen-Preisträgern Udo Ludwig und Matthias Geyer. Nun melden sie sich erneut zu Wort. Hier ihre Replik.

von Matthias Geyer und Udo Ludwig

Journalismus, der aufdeckt, ist angreifbar. Er erzählt Neuigkeiten, bestenfalls brisante Neuigkeiten, die nicht allen gefallen können, am wenigsten denen, die Gegenstand der Enthüllung sind. Sie dementieren, drohen, klagen. Journalismus, der aufdeckt, schafft sich Gegner, er muss sich deshalb seiner Sache sicher sein. Journalismus, der aufdeckt, braucht exklusives Material, schriftliches oder mündliches. Er bedient sich des Informanten, des Kronzeugen. Er prüft das, was der Informant ihm offenbart, er verifiziert dessen Aussagen.

Journalist und Informant stehen in einer symbiotischen Beziehung zueinander. Wenn der Journalist die Informationen, die ihm der Informant überlassen hat, veröffentlicht, muss er, zum einen, von dessen Glaubwürdigkeit überzeugt sein. Und er muss, zum anderen, die Anonymität des Informanten in der Öffentlichkeit schützen, sofern das gewünscht wird.

Im Juni 1999 veröffentlichte der Spiegel einen Beitrag mit der Überschrift »Die Werte spielen verrückt «. Darin deckte er die Doping-Praktiken im deutschen Profi-Radrennstall »Team Telekom« auf. Weil die Beschuldigten den Wahrheitsgehalt dieses Textes neun Jahre später bis ins Detail bestätigten, wurde der Spiegel für seine Arbeit 2008 mit dem Henri-Nannen- Preis für investigativen Journalismus ausgezeichnet.

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Der Text beruhte auf den Aussagen mehrerer Informanten. Dieter Quarz war einer davon.

Was für alle Gesprächspartner dieses Beitrags galt und gilt, das galt auch für Dieter Quarz: Er wollte als Quelle anonym bleiben. An diese Absprache hat sich der Spiegel bis zum heutigen Tag gehalten.

In Message vom 3. Quartal 2008 war ein Artikel mit der Überschrift »Aus ‚Unbekannt’ mach ‚Telekom’« zu lesen, aus dem hervorgeht, dass Quarz diesen Schutz nicht mehr in Anspruch nehmen möchte. Quarz schildert darin, welche Rolle er als Informant des Spiegel-Textes gespielt haben will und unter welchen Umständen dessen Veröffentlichung zustande gekommen sein soll. Quarz erweckt den Eindruck, als sei er die zentrale Quelle gewesen, derer sich der Spiegel bedient hat, die Schlüsselfigur, der »deep throat« der Doping-Geschichte, wenn man so will.

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Hierzu ist zweierlei festzustellen. Zum einen überschätzt Dieter Quarz seine Bedeutung für diesen Spiegel-Text, er überschätzt sie sogar erheblich. Zum anderen täuscht ihn seine Erinnerung. Nicht in Nuancen, nicht in Fußnoten, die für den Spiegel unerheblich wären. Er stellt Behauptungen auf, die falsch sind. Und diese bedürfen der Richtigstellung.

Wir wollen hier nicht jede Behauptung, die Quarz in Message aufgestellt hat, besprechen. Wir wollen einer Behauptung keine Gegenbehauptung entgegensetzen. Was wir richtig stellen, ist durch Tonbandabschriften und Dokumente aus der damaligen Zeit belegbar.

Dieter Quarz behauptet: »Ich wollte Systemkritik betreiben und hielt es nicht für hilfreich, einzelne Personen anzuklagen – weil es dann am System nichts ändern würde…«

Im Gespräch mit dem Spiegel belastete Quarz Personen namentlich, und zwar aus eigenem Antrieb, ohne dass wir ihn im Besonderen danach gefragt hätten. Seine Einlassungen betrafen unter anderem die Telekom-Ärzte Andreas Schmidt, Lothar Heinrich, den Telekom-Betreuer Aldis Cerulis sowie den Telekom- Fahrer Dirk Müller.

Dieter Quarz behauptet: »Manche Statements aus meinem Vortrag waren gewaltsam in Richtung Team Telekom gebogen.«

Quarz hatte für das Gespräch mit dem Spiegel Folien vorbereitet, die er uns im Anschluss zur Verwendung überließ. Auf diesen Folien hatte er Dopingzyklika und Medikationen notiert, ohne diese konkreten Mannschaften oder Fahrern zuzuordnen. In der schriftlichen Form hatte Quarz die Informationen anonymisiert. Im Verlauf des Gesprächs jedoch hat er die Grafiken Personen zugeordnet, die auch beim Team Telekom beschäftigt waren.

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Message schreibt: »Als am Montag darauf der Spiegel erschien, sah er (also Quarz, Anmerkung der Autoren), dass seine Korrekturen nicht eingearbeitet worden waren.«

Der Spiegel hat Dieter Quarz gebeten, den fertigen Text vor Veröffentlichung noch einmal zu lesen und auf seine Richtigkeit zu überprüfen, sofern Fakten betroffen waren, die auf seinen Informationen beruhten. Alle Korrekturen, die Quarz daraufhin vorgenommen hat, sind vom Spiegel berücksichtigt worden.

Message schreibt: »Besonders ärgerten ihn die zwei veröffentlichten Dokumente, die die Story mit ihrer vermeintlichen Authentizität stützten. Sie stammten aus seinem Fundus. Er hatte sie anonymisiert, doch im Spiegel waren sie per Bildunterschrift nun jeweils einem Telekom-Fahrer zugeschrieben worden.«

Quarz selbst hat die veröffentlichten Dokumente im Gespräch mit dem Spiegel dem Telekom-Fahrer Dirk Müller zugeordnet.

Message schreibt: »Quarz sollte darin (in einer eidesstattlichen Versicherung, Anmerkung der Autoren) das Team Telekom belasten und unter anderem erklären, in einer spanischen Apotheke Doping-Mittel gekauft zu haben: ‚Ich sollte mich darin bezichtigen, gegen das Arzneimittelgesetz und das Heilpraktikergesetz verstoßen zu haben’, erinnert sich Quarz, ‚mir war offensichtlich die Rolle des Bauernopfers für den Spiegel zugedacht.’«

Nach Veröffentlichung des Spiegel-Artikels hatte eine Tageszeitung Mutmaßungen über die Rolle von Dieter Quarz angestellt, die nicht der Wahrheit entsprachen. Quarz erklärte sich daraufhin zu einem aufklärenden Interview im Spiegel sowie zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung bereit. Die Eidesstattliche Versicherung war von der Rechtsabteilung des Spiegel aufgesetzt worden, als Grundlage hierfür diente die Tonbandabschrift jenes Gesprächs, das Quarz mit dem Spiegel geführt hatte. Darin hatte Quarz unter anderem berichtet, er habe in einer spanischen Apotheke Doping-Mittel für Radprofis gekauft. Quarz nahm an der ersten Fassung der ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherung leichte Redigaturen vor, ohne die Substanz seiner Aussagen in Frage zu stellen. Mit der überarbeiteten Fassung erklärte er sich einverstanden. Erst Tage später, nach einem Gespräch mit seinem Rechtsanwalt, zog Quarz sein Einverständnis mit der Eidesstattlichen Versicherung zurück.

Message schreibt: »Dabei sei zum Beispiel ans Licht gekommen, dass die im Spiegel veröffentlichte Doping-Frühjahrskur eines Telekom-Fahrers aus dem Jahr 1997 stammte – von einem Fahrer, der erst 1998 zum Team Telekom stieß.«

Quarz selber hat in dem Gespräch mit dem Spiegel angegeben, diese Kur stamme von einem Telekom- Fahrer. Selbst, wenn es zutreffen sollte, dass Quarz in diesem Gespräch zwei Jahreszahlen verwechselt hat, so wäre dies nicht von Belang. In einem Urteil vom 19.08.1999 schreibt das Landgericht Frankfurt: »Daraus folgt, dass Ermittlungen gegen Herrn Quarz zugleich Ermittlungen im Bereich einer Versorgung von Telekom-Fahrern bedeuten.«

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Wir können nicht beurteilen, warum Dieter Quarz heute solche Behauptungen aufstellt, wir wollen darüber auch keine Deutungen in der Öffentlichkeit anstellen. Wir waren bis zu dem Tag, an dem Message ihre Äußerungen verbreitet hat, der Meinung, dass die inneren Angelegenheiten zwischen Journalist und Informant ungeeignet sind, um auf dem Markte ausgetragen zu werden. Deshalb haben wir in dem Interview, das Message mit uns geführt hat, auf die Frage nach Dieter Quarz geantwortet: »Ob Herr Quarz ein Kronzeuge dieser Geschichte war, welche Rolle Herr Quarz oder Herr xy dabei gespielt hat, dazu werden wir uns nicht äußern.«

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Es ist aus unserer Sicht journalistisch fragwürdig, im Kontext dieses Interviews ein weiteres Interview mit dem Journalisten Ralf Meutgens zu veröffentlichen, der darin dem Spiegel vorwirft, gegen journalistische Grundsätze verstoßen zu haben. Meutgens gesteht in diesem Interview ein, im Februar 2000 in der Frankfurter Allgemeinen einen Artikel mit nicht unerheblichen Vorwürfen gegen den Spiegel veröffentlicht zu haben, ohne zuvor uns, die Betroffenen, damit konfrontiert und die Möglichkeit zur Einlassung gegeben zu haben. Das verstößt in der Tat gegen journalistische Grundsätze. Wenn Message nun Behauptungen von Meutgens verbreitet, ohne zuvor die Betroffenen, also uns, damit konfrontiert zu haben, dann verstößt es erneut gegen diese journalistischen Grundsätze.

Hätte Message, zum Beispiel, eine Einlassung des Spiegel eingeholt zu dem Meutgens-Satz: »Als ich Kenntnis davon erlangte, dass der Spiegel entgegen meinen gegenüber Udo Ludwig geäußerten Bedenken die Geschichte über das Team Telekom doch veröffentlichen würde, habe ich die Zusammenarbeit beendet «, so hätten wir Ihnen geschildert, wie das unserer Erinnerung nach war. Dass nämlich Herr Meutgens nach Veröffentlichung des Artikels beim Spiegel angerufen, Glückwünsche ausgesprochen und seine weitere Mitarbeit angeboten hat. Die wurde Wochen später aufgekündigt, nachdem Meutgens eine Honorarforderung für seine Mitarbeit an anderen Texten (notabene) geschickt hatte, die uns unangemessen erschien.

Was bleibt? Es bleibt, dass der Spiegel einen Artikel veröffentlicht hat, der aufdeckte, dass im Team Telekom systematisch gedopt wird, der erzählte, dass Jan Ullrich nur mit unerlaubten Substanzen zum ersten deutschen Sieger der Tour de France wurde, der offen legte, wer ihm dabei behilflich war, Betreuer, Teammanager und Ärzte einer deutschen Universitätsklinik. Wäre Dieter Quarz nicht einer von mehreren Informanten dieses Artikels gewesen, dann hätten dem Beitrag zwei Grafiken sowie der eine oder andere Absatz gefehlt. Geblieben wäre ein Text, der auch mit einem Informanten weniger nicht an Kraft verloren hätte.

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