Editorial

Liebe Leserinnen, Liebe Leser
Michael HallerLutz Mükke

vielleicht finden Sie den Gedanken abwegig, die netten Stadtteil-Leserreporter und die harten Schlagzeilen über die EHEC-Infektionswelle in denselben Topf zu werfen. Trotzdem tun wir’s, denn der Topf trägt die Aufschrift »Kolportage« und das Schild darüber, auf dem »Recherche« steht, ist durchgestrichen.

Es gibt inzwischen genügend Regionalzeitungen, die das (aus England importierte) Konzept der Saarbrücker Zeitung nachgemacht haben und ihre Lokalberichte mit Beiträgen von Amateuren flankieren: Fotos und Texte, die zeigen, was man so sieht, wenn man an der neuen Kneipe oder am alten Müllcontainer in der YX-Straße vorbeikommt. Oberflächliches, recherchefreies Blabla, das keine Antworten gibt, sondern irgendwas mit Leuten erzählt.

Die EHEC-Skandalstory scheint ganz anders, hat aber dasselbe Problem: Die Medien erzählten, was sie erzählt bekamen, flankiert mit wichtigtuerischen Ratgeberboxen und Röchelberichten aus der Notfallstation. Kritische Rückfragen an die Verkünder der Wahrheiten, die Politiker, Behörden und Institute? Fehlanzeige. Man wollte für wahr halten, was sich zum Skandal (möglichst im Ausland) hochjazzen lässt. Wie dieser fatale Hang zum Katastrophismus aus der Nachricht von der EHEC-Infektion ein vielwöchiges Drama machte – und weshalb allein Recherche für Aufklärung hätte sorgen können, rekonstruieren die Beiträge unseres aktuellen Schwerpunktthemas.

Wie schwer es umgekehrt die um Aufklärung bemühten Frontreporter haben, wenn sie authentisch berichten wollen, erleben Korrespondenten in Libyen und Kairo, in Ramallah und Kunduz. Das liegt an der Pressepolitik der Kriegsparteien, gewiss, aber auch an der zunehmenden Inkompetenz vieler Heimatredaktionen, die das nötige Fachwissen abgebaut haben. Über den Alltag und die Folgen dieses Trends berichten unsere Autoren, die als Reporter in den Krisengebieten unterwegs waren.

Unser dritter Brennpunkt handelt davon, wie die Medien der (nahen) Zukunft funktionieren werden und was die Journalisten können sollten: »Journalism reloaded«heißt das Schlüsselwort, zu dem die Leipzig School of Media Anfang Juli eine Fachtagung abhielt. Unsere Autorinnen, auch Referentinnen jener Tagung, beschreiben die künftigen Kernkompetenzen, Stichwort: Crossmedia. Worauf es ankommt und was man getrost vergessen kann auf dem Weg von Gestern nach Übermorgen, diskutierten Journalisten und Medienproduzenten in einem packenden Streitgespräch, das Sie auf unserem »Podium« nachlesen können.

Dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch die anderen Beiträge, zumal die zwei Rechercheprotokolle, mit Gewinn lesen, dies wünschen sich Ihre Message-Herausgeber

Michael Haller

In eigener Sache: Wir verabschieden Peter-Matthias Geade, der während elf Jahren im Internationalen Beirat von Message mitwirkte, und danken ihm für seine konstruktive Mitarbeit. An seine Stelle tritt Mark Lee Hunter, gebürtiger US-Amerikaner, renommierter Rechercheur, trendkritischer Medienjournalist und Hochschullehrer in Paris (Message-Leser kennen ihn als Autor): Herzlich willkommen!

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