Recherchen
Die Macht und ihre Arroganz

Im vergangenen Jahr deckte Christine Kröger im Bremer Weser-Kurier eine Justizaffäre über Richter, Rocker und Rotlicht auf. Ihr Protokoll zeigt, dass vor allem Hartnäckigkeit zum Erfolg führt.

von Christine Kröger

Durch jahrelange Recherchen über Rechtsextremisten, Hooligans, Rocker und andere organisierte Kriminelle habe ich zahlreiche informelle Kontakte ins Rocker- und Rotlichtmilieu – ebenso wie zu Polizeibeamten, Staatsanwälten und Strafverteidigern. Und immer wieder hörte ich hinter vorgehaltener Hand ein Gerücht: Mal jovial schmunzelnd, mal aufrecht empört und mal resigniert nüchtern berichteten mir Informanten von Hannoveraner Polizisten und Staatsanwälten, die über Jahre offensichtlich und massiv ins Rotlichtmilieu verstrickt waren. »Vorsicht«, dachte ich mir im Stillen, während ich den Informanten verständnisvoll zunickte. In diesen Milieus kursieren schließlich viele Gerüchte, und mancher macht sich hier nur allzu gerne wichtig. Welcher Bordellbetreiber, Zuhälter oder Rocker brüstet sich nicht gerne mit »inoffiziellen« Kontakten zu Polizei und Justiz? Ich blieb skeptisch – doch gab mir zu denken, dass immer wieder von denselben Namen die Rede war.

Dann wurde ein Informant – nicht aus dem Milieu, sondern aus dem Kreis der Ermittler – sehr konkret: Detailliert schilderte er die Affäre um Staatsanwalt Görlich. Von da an recherchierte ich insgesamt rund ein Jahr lang Verstrickungen der Justiz mit dem Rotlichtmilieu. Von den letzten drei Wochen vor der Veröffentlichung abgesehen, geschah das neben meiner sonstigen Arbeit für die Redaktion. Die Rechercheergebnisse, von denen die Vorkommnisse um Staatsanwalt Görlich nur ein Teil sind, erschienen in drei Dossiers im Weser-Kurier.

Eine solche Justizaffäre schien mir erstens kaum zu glauben und zweitens – wenn sie doch stimmen sollte – als Paradebeispiel dafür, wie geschickt organisierte Kriminelle sich Beamte in Justiz und Polizei gefügig machen: Die betroffenen Beamten haben vielfach gar kein Unrechtsbewusstsein, weil sie jede kritische Distanz zu den Akteuren und zu sich selbst verloren haben. Die Kriminellen brauchen sie im engeren Sinn gar nicht zu bestechen oder sogar erpressen. Die schmutzigen Deals laufen subtiler. Man kennt sich seit Jahren, begegnet sich auf Augenhöhe, »vertraut« sich – und trifft Absprachen.

»Frau Kröger, Sie nerven«

Ich kannte den Informanten als sachlich, zuverlässig und unprätentiös. Ich ließ nicht mehr locker, sprach ihn immer wieder auf die Justizaffäre an. Oft bekam ich »Frau Kröger, Sie nerven« oder Ähnliches zu hören. Etwas scherzhaft habe ich dann immer auf meinen Berufsstand verwiesen, in dem Neugier und Penetranz Informationsbedürfnis und Hartnäckigkeit heißen und als Tugenden gelten.

Dann sagte der Informant mir eines Tages vollkommen überraschend und fast nebenbei, dass er mir die gesamten Ermittlungsakten gegen Görlich und seine mutmaßlichen Komplizen zugänglich machen könne, wenn ich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sei. An einem späten Samstagabend bekam ich einen ganzen Umzugskarton voller Ordner, den ich bereits am folgenden Mittag zurückgeben musste. Eine qualifizierte Auswahl der Dokumente war in so kurzer Zeit nicht möglich, also habe ich die Dokumente die ganze Nacht über kopiert. In den Folgemonaten hat mich die Lektüre der rund 3.000 Seiten ungezählte Stunden gekostet – und viel über die Arbeitsweise von Polizei und Justiz gelehrt.

Den gesamten Papierwust mit Hilfe eines Anwalts durchzuarbeiten, verboten Zeit- und Kostengründe. Daher arbeitete ich das Material allein auf. Die Lektüre war für eine Nicht-Juristin wie mich schwierig. Beamte drücken sich oft umständlich bis unverständlich aus, nicht umsonst ist »Behördendeutsch« laut Duden »oft abwertend« gemeint. In diesem Fall kam erschwerend hinzu, dass die Ermittler vielfach absichtlich verquast formulierten, um Sachverhalte zu verschleiern oder zumindest zu verniedlichen.

So heißt es an einer Stelle: »Die Angaben von Staatsanwalt Görlich sind ebenfalls nicht durchgehend glaubwürdig. Bei einer Analyse seiner Aussage fällt auf, dass er (…) zeitnahe Vermerke von Polizei- und Vollzugsbeamten als vorsätzlich oder fahrlässig falsch bezeichnet. (…) Dazu kommen eine Reihe von angeblichen Missverständnissen, (…) Diese Vielzahl von Missverständnissen oder Lügen zum Nachteil von Staatsanwalt Görlich ist nicht glaubhaft, zumal die Gegenversion in sich schlüssig ist.«

Gemeint ist wohl ganz einfach: Görlich hat in seinen Vernehmungen gelogen – und seinerseits auch noch zahlreiche Polizei- und Vollzugsbeamte der Lüge bezichtigt, um die eigenen Lügen aufrechterhalten zu können. Ich las und exzerpierte, bis ich glaubte, alles übersetzt zu haben – und trotz aller Nebelkerzen durchzublicken.

Ein entscheidender Informant

Bereits wenige Wochen vor jener denkwürdigen Nacht am Kopierer hatte mich ein Rechtsanwalt angesprochen, der Rocker und andere organisierte Kriminelle vertritt. Ich halte ihn für einen jener Strafverteidiger, die zumindest noch vor sich selbst Recht von Unrecht unterscheiden. Wohl deshalb gab er mir manchmal Tipps, obwohl er wie jeder Verteidiger sein Geld auch damit verdient, manch schuldigen Mandanten herauszupauken. Er kenne jemanden, der viel über Rocker, ihre Geschäfte und ihre Gewährsleute wisse, sagte er und stellte den Kontakt zu Bernd Kirchner her. Was dieser mir berichtete, erschien mir wiederum kaum zu glauben – hinsichtlich dessen, was er über die Kontakte der Rocker in die Gesellschaft erzählte, aber auch, wie er sein eigenes Schicksal darstellte. Kirchner war Ende 50 und ein Mann, dem man ansah, dass er die Nacht schon oft zum Tage gemacht hatte. »Den Zuhälter würde man ihm heute noch abkaufen«, beschrieb ich ihn im zweiten Dossier.

Zweifel am Informanten ausgeräumt

Nach meinem Eindruck war der Mann längst an seinem Schicksal verzweifelt. Er konnte auch nach mehreren Jahren …

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