Plagiate Im Journalismus
»Das fliegt uns sofort um die Ohren«

Viel Stoff, kaum Kontrolle: Auf Internetseiten lassen sich Plagiatenicht verhindern. Allerdings führt die Transparenz der Online-Weltdazu, dass Journalisten zu ihren Verstößen stehenmüssen.

von Rafael Barth

Am 13. November 2008 berichtete Spiegel Online über ein Kuriosum inden USA. Besorgte Kunden hätten sich gemeldet, weil ihre Kinder anden Griffen der Einkaufswagen lutschten. Nun habe der»Supermarkt-Gigant« Chevy Chase reagiert und Waschanlagenin zwanzig Filialen installiert, schrieb das Nachrichtenportal.

Das Problem an der Geschichte: Chevy Chase hat keine Filialen, es istnicht einmal ein Supermarkt – sondern ein Ort im US-BundesstaatMaryland. Auf medienrauschen.de spöttelte man über diemangelnden Übersetzungskünste des Autors: Der hatte dieGeschichte nämlich von ABC News  übernommen. Immerhinhatte er die Quelle genannt. Anders war das am 24. Februar 2005, alsSpiegel Online über den Völkermord in Ruanda berichtete:Große Teile des Textes waren Wort für Wort von Wikipediaabgeschrieben, und zwar ohne den Urheber zu nennen.

Schuld ist der Praktikant

Die Liste der Beispiele für Copy & Paste  imOnline-Journalismus ließe sich fortsetzen. Allein: VieleRedakteure wehren sich gegen die Vermutung, die neuen Medien seienbesonders anfällig für Abschreiberei. »Plagiate sindkein Phänomen des Online-Journalismus«, sagtHans-Jürgen Jakobs, Chefredakteur von sueddeutsche.de.Zeitungsschreiber seien auch ständig im Web unterwegs. Undaußerdem: Abgeschrieben wurde schon immer.

Dabei gelten Plagiate auch in den Newsrooms der Netzmedien als Tabu.Wer diese für zulässig halte, sei kein Journalist, sagtHolger Dambeck, Wissenschaftsredakteur bei Spiegel Online. So wird dieUnsitte Copy & Paste gern denen angelastet, die noch am Anfangihres Berufslebens stehen, im Zweifelsfall Praktikanten. Dambeck:»Bei Leuten, die neu im Geschäft sind, ist das Bewusstseindafür vielleicht nicht so groß.«

Fragmente von der Konkurrenz

Andererseits bewegen sich Journalisten auch im Internet in einerGrauzone: Was heißt »abgeschrieben«? Was gehörtzum Allgemeinwissen, was sind einfach Fakten? Und diesen einen Absatzda: Hat man den nicht schon mal so oder ganz ähnlich irgendwogelesen? Im Wettlauf um die schnelle Nachricht, im Bestreben danach,der Konkurrenz keinen großen Vorsprung zu lassen, kommt es vor,dass Ideen oder Fragmente von Kollegen auf der eigenen Webseite einzweites Mal auftauchen. »Das passiert uns gelegentlichauch«, gesteht Rüdiger Ditz, Chefredakteur von SpiegelOnline.

Außerdem sei die Frage nach recycelten Versatzstücken nureine von vielen, ergänzt sein Kollege Dambeck. Wenn er Texteredigiert, achtet er auf Belege, die Argumentation, den Stil –das Abschreiben hingegen sei bei Autoren, die man schon längerkenne, »kaum ein Problem«. Verhindern lässt es sichohnehin nicht. Eine systematische Überprüfung findet garnicht erst statt. »Dazu veröffentlichen wir viel zuviel«, sagt Ditz.

Stattdessen verpflichten er und andere Online-Chefs die Mitarbeiter aufjene Regeln, die für alle Journalisten gelten: Belege, nie nureine Agentur, mindestens zwei Quellen, Vier-Augen-Prinzip. Und aufFragen wie: Was weiß man schon zu dem Thema, was ist neu an derGeschichte? »Recherche schadet ja nie, auch nicht beimRedigieren«, sagt Ditz. Außerdem sollte man die Menschenkennen, die für einen arbeiten. Hans-Jürgen Jakobs vonsueddeutsche.de: »Letztlich ist es auch Vertrauenssache.«

Für überraschende Ereignisse: Wikipedia

Mancher Redaktionsleiter sah das Vertrauen schon missbraucht, etwa wennherauskam, dass ein Artikel größtenteils von Wikipediaabgeschrieben wurde. Das Mitmach-Lexikon wird gern von Journalistendurchforstet – vor allem, »wenn irgendetwas nicht Planbarespassiert und man ganz schnell Text braucht«, sagt MathiasSchindler, Projektmanager bei Wikimedia Deutschland e.V.: zum Beispielwenn überraschend ein Politiker zurücktritt oder beiAmokläufen.

Ob Journalisten mittlerweile häufiger abschreiben als früheroder nicht, kann Schindler nicht beurteilen. Er vermutet, dass die ganzdreisten Fälle nicht mehr so oft vorkommen. In der Vergangenheitsei er in Redaktionen oft auf taube Ohren gestoßen, wenn ergeklaute Textstellen monierte: Diebstähle wurden bagatellisiertoder geleugnet.

Am Pranger der Netzgemeinde

Das sei heute kaum noch glaubhaft möglich: Die Netzgemeindeprangert solche Verstöße öffentlich an – einpeinliches Erlebnis für jede Redaktion. Die Patzer etablierterMedien werden von Seiten wie bildblog.de oder blogbar.de ausgegrabenund können durch Links und Twitter-Nachrichten sekundenschnellverbreitet werden.

Kein Online-Journalist kann sich nunmehr damit begnügen, dieSeiten einfach per Copy & Paste vollzustopfen – mankönnte ihn überführen. Die beste Formulierung nütztnichts, wenn sie geklaut ist – das könnte ja auffliegen. Soerlebt das Urheberrecht ein Comeback gerade im Internet, das doch gernals rechtsfreier Raum bezeichnet wird. »Die Blogs haben das Themanach vorne getragen«, sagt der frühere Handelsblatt-ReporterThomas Knüwer,  der  den Blog Indiskretion Ehrensachebetreibt.

Laut Knüwer haben Journalisten an Medienkompetenz gewonnen. Siekönnten nicht mehr so tun, als hätten sie »ausVersehen« geklaut, so wie noch vor einigen Jahren. Stattdessenverwiesen sie auf Quellen und verlinkten zu ihnen, wenn auch»immer noch viel, viel zu selten«, sagt Knüwer.

Der Druck von außen hat somit die Berufsethik gestärkt unddas Problembewusstsein bei Redakteuren erhöht. Plagiate gelten alsGefahr für das Image. »Wir können uns das nichterlauben«, sagt Spiegel-Online-Chef Rüdiger Ditz, »dasfliegt uns sofort um die Ohren.« Deshalb bekäme einüberführter Abschreiber »richtig Ärger«. Inseiner Redaktion dürften sich Journalisten nur einmal solch einenVerstoß wie das Ruanda-Plagiat leisten.

Das Internet vergisst nichts

Wenn ein Text als Plagiat entlarvt wird, nützt es nichts, dieSache vertuschen zu wollen – so, wie es im Januar mz-web.de, derOnline-Auftritt der Mitteldeutschen Zeitung aus Halle, tat. EinJournalist hatte bei beliebte-vornamen.de für seinen Textüber »Marie«, »Sophie«,»Elias« und »Leon« abgeschrieben. Späternahm die Redaktion den Beitrag von der Seite, doch sowohl der Urheberals auch indiskretion-ehrensache.de berichten darüber – bisheute.

Statt durch kommentarloses Löschen ist Schadensbegrenzung besserdurch Offenheit zu erreichen. Bei Spiegel Online erscheint nun anstelledes von Wikipedia abgekupferten Textes über den Völkermord inRuanda eine Entschuldigung für diesen »bedauerlichenFehler«, bei dem es sich »selbstverständlich (…) umeinen klaren Verstoß gegen die redaktionellen Richtlinien«handele. Die Chefredaktion bedauere diesen Vorgang und»entschuldigt sich ausdrücklich bei den Machern und Autorenvon Wikipedia für die fehlende Zitation«.    

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