Lösungsorientiert
Abschied von den Bad News

Netzwerke und Nischenmagazine fördern gute Nachrichten. Mit positiven Berichten über gelingende Initiativen und zukunftsweisende Modelle wollen sie die Welt verbessern – und den Journalismus gleich dazu.

von Uwe Krüger und Nadine Gassner

Der 22. Juni 2013 war der erste weltweite »Impact Journalism Day«. Für die Leser von 20 Tageszeitungen in 19 Ländern der Welt hieß das, dass sie Sonderseiten mit ausschließlich guten Nachrichten, funktionierenden Projekten und vielversprechenden Lösungsansätzen für gesellschaftliche Probleme vorfanden. Renommierte Zeitungen nahmen teil: Le Monde in Frankreich, Le Soir in Belgien, Politiken in Dänemark, La Stampa in Italien, Gazeta Wyborcza in Polen, auch Zeitungen in China, Indien, Brasilien oder Mexiko.

In Deutschland war die taz mit von der Partie. »Überall Probleme? Das ist die Lösung!« versprach die Titelseite, und auf einem Dutzend Seiten wurden »15 Ideen für eine bessere Welt« beschrieben: Ein Afghane entwickelt einen windgetriebenen, preiswerten und biologisch abbaubaren Minendetektor, der über ehemalige Schlachtfelder rollt und Minen zur Explosion bringt, bevor diese jemanden töten können. Eine Therapeutin inszeniert Theaterstücke mit Gefangenen in Beirut und gibt ihnen damit ein Stück Würde und Menschlichkeit zurück. In Afrika erleichtern rollbare Plastikfässer den Frauen und Mädchen die Arbeit, Trinkwasser von öffentlichen Anschlüssen oder Flüssen nach Hause zu tragen.
Koordiniert hatte die Aktion, bei der die teilnehmenden Zeitungen jeweils eigene Beiträge in einen Pool gaben und sich dann daraus bedienen konnten, ein journalistisches Startup-Unternehmen in Paris. 2011 wurde es gegründet, heute beschäftigt es sechs Mitarbeiter, darunter frühere Journalisten von der New York Times und France24. Sein Name: Sparknews.

Der Funke, der überspringt

»Spark«, ein Funke, der überspringt – das sollen die positiven News über gelingende Projekte sein, die die Leser zum Handeln anregen. Zumindest nach der Vorstellung des Sparknews-Gründers Christian de Boisredon, der von seinem Erweckungserlebnis erzählt: »Mein Bruder hat in den späten 1980er Jahren die erste Mikrokredit-Bank in Chile eröffnet, nachdem er einen Artikel über den Mikrokredite-Erfinder Muhammad Yunus gelesen hatte. Seitdem hat die Bank meines Bruders durch Kredite an Arme indirekt 100.000 Jobs geschaffen. Ich erkannte: Hätte nicht ein Journalist den Artikel über Mikrokredite geschrieben, hätte mein Bruder nicht das Leben von 100.000 Leuten verändert.«

2003 gründete er mit Gleichgesinnten die »Reporters d’Espoirs« (Reporter der Hoffnung) und warb im Hauptquartier der Unesco vor Medienmanagern und Journalisten für mehr lösungsorientierte Berichterstattung. Die Reaktionen waren nicht immer wohlwollend. »Sie werden mir nicht erzählen, wie ich meine Arbeit machen soll«, habe der erste Chefredakteur geantwortet, den er zu überzeugen versuchte.

»Das hat mich geärgert«, erzählt der 39-Jährige, »aber ich verstand, dass ich meine Vision anders erklären musste. Ich hörte auf, von ›positivem Journalismus‹ zu sprechen, denn Journalisten mögen das nicht. Mit Recht: Es ist nicht ihr Job, positive oder negative News auszuwählen. Sie müssen sich an den Fakten orientieren, egal ob sie schön oder nicht schön sind.« Das Problem sei aber, sagt de Boisredon, dass viele Journalisten die vorhandenen Lösungsansätze gar nicht kennen. »Also müssen wir diese Geschichten zu ihnen bringen. Und wenn es News sind, dann werden sie auch darüber berichten.« Er hatte Erfolg: 2012 überzeugte er die französische Tageszeitung Libération, eine Ausgabe zu zwei Dritteln mit Lösungsgeschichten zu füllen. »Der Titel ›Le Libé des solutions‹ war für sie die meistverkaufte Ausgabe des Jahres.«

Auf journalistischer Mission

Auf ähnlicher Mission wie der Franzose ist der Journalist David Bornstein aus New York. Er gründete 2012 das Solutions Journalism Network, das neben ihm sechs Mitarbeiter beschäftigt und auf einen 21-köpfigen Beirat zurückgreifen kann, in dem unter anderem Journalisten von Reuters, der New York Times, The Atlantic und ProPublica sitzen. Ziel des Netzwerks: »Lösungsjournalismus zu legitimieren und zu verbreiten«.

Hart recherchieren statt hochjubeln

Dafür vergibt Bornstein Recherchestipendien, hält Vorträge und erarbeitet Curricula für Hochschulen. »Wir vernetzen weltweit mehrere hundert Journalisten, auch wenn wir keine formale Mitgliedschaft haben. Wir arbeiten fest mit 25 News-Organisationen zusammen und haben unter anderem Workshops im Center for Investigative Reporting gegeben.« Denn Lösungsjournalismus, so Bornsteins Credo, habe nichts mit dem Hochjubeln und Promoten von Projekten, Ideen und Initiativen zu tun, sondern in ers-ter Linie mit harter Recherche über selbige. »Es geht um Recherche über Leute, die etwas tun, egal ob sie Erfolg haben oder scheitern. Es geht um die Gründe des Erfolgs oder Misserfolgs, damit die Gesellschaft etwas daraus lernen kann. Es geht um Evidenz, um Daten. Die Kunst dabei ist, das journalistische Handwerk auszuüben und nicht zum Anwalt einer Lösung zu werden.«

Während Christian de Boisredon und David Bornstein daran arbeiten, die Idee in die großen Medienhäuser zu tragen, sieht man in Deutschlands Leitmedien noch wenig vom neuen Lösungsjournalismus. Neben kurzen Artikelserien in der Zeit (»Green New Deal« von 2009) oder der seligen Financial Times Deutschland (»Green Minds« 2009-2010) fallen nur zwei einschlägige Rubriken auf, die seit 2011 laufen. Die Geo-Serie »Werkstatt Zukunft« porträtiert »nachahmenswerte Projekte und technische Lösungen«, etwa Stadtgärten auf Brachflächen in Berlin. Und die Rubrik »Das gute Beispiel« in der National Geographic stellt »engagierte Menschen vor, die ökologisch, ökonomisch oder sozial nachhaltig handeln«: den Initiator der erfolgreichen Regionalwährung »Chiemgauer« in Bayern oder die »Stromrebellin« Ursula Sladek, die mit den Elektrizitätswerken Schönau abseits der großen Konzerne atom- und kohlefreien Strom vertreibt.

Gute Nachrichten vom Kiosk

Die taz hatte vor der Beilage zum Impact Journalism Day bereits drei Schwerpunktausgaben mit Good News, die hauptsächlich von taz-Mitgründerin Ute Scheub koordiniert wurden. »Eine andere Welt wird sichtbar« zu Pfingsten 2009 war die bestverkaufte Ausgabe des Jahres. Dazu kamen die Titel »Wir steigern das Bruttosozialglück« im Dezember 2009 und »Power aus der Provinz« im November 2010. Reiner Metzger, Vize-Chefredakteur der taz, bestätigt den Erfolg: »Die Good-News-Ausgaben verkauften sich fast immer fünf bis zehn Prozent über dem Durchschnitt, wobei zehn Prozent das höchste ist, was wir am Kiosk überhaupt herausholen können. Und die Zuschriften sind überwiegend positiv.« Wohl deswegen hat die taz inzwischen den Lösungsjournalismus institutionalisiert: In jeder Wochenendausgabe, der sonntaz, gibt es seit April 2013 eine Doppelseite mit dem Titel »Fortschritt«.

Die meisten taz-Redakteure sind nicht begeistert. Metzger: »Ich darf mir jeden Montag anhören, dass es irgendwie komisch ist, Seiten dafür zu verschwenden, wo es doch auch eine schöne Katastrophe zu beschreiben gegeben hätte. Aber wir machen das weiter.« Hinter vorgehaltener Hand spotten taz-Redakteure über den »Ute-Scheub-Journalismus«.

Metzger kontert: »Die haben keine Ahnung. Mit den Auflagen geht es seit 20 Jahren bergab. Und das liegt nicht daran, dass die Leute kein Geld mehr haben, sondern dass sie es nicht mehr hören können, das übliche Streiten ohne Ergebnis, die Parlamentsberichterstattung und so weiter. Wir müssen eine neue Mischung finden, und das hier ist ein Teil davon.« Das Problem sei nur, dass es dafür journalistisch kaum eine Infrastruktur gebe. »Es gibt keine Gute-Beispiele-Nachrichtenagentur. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll Journalisten, die man dafür anrufen kann.« Die besten Journalisten, so bedauert Metzger, »verschwenden ihre Zeit in Parlamentsbüros und lassen sich einseifen.« Und das kritisiere niemand.

Boom abseits des Mainstreams

Die Abkehr vom Nachrichtenfaktor »Negativität« boomt einstweilen abseits des Mainstreams – und ohne die Budgets der großen Verlage. Das Hamburger Wirtschaftsmagazin Enorm, gegründet 2010 als »Kind der Krise« (wie Vize-Chefredakteur Marc Winkelmann sagt), legt seinen Schwerpunkt auf nachhaltiges Wirtschaften und betrachtet laut Homepage »Wirtschaftsmodelle, Unternehmen und Personen, die auf die wachsenden Herausforderungen in Gesellschaft und Umwelt reagieren«. Auch der erfolgreichere und ältere Konkurrent Brand eins geht stark in diese Richtung.

Mit Oya hat sich 2010 ein – laut Selbstbeschreibung – »kulturkreatives Magazin über anderes Denken und anderes Leben« gegründet, dessen Ressorts etwa »Gemeinschaftsprojekte«, »Gesellschaftsmodelle und Utopien« oder »Ökodörfer und Lebensgemeinschaften« heißen. Die Redaktion sitzt in einem vorpommerschen Alternativ-Dorf und wird von einer Genossenschaft getragen. Die Beteiligten an dem alle zwei Monate erscheinenden Heft sehen sich in der Aufbauphase: Von den 10.000 gedruckten Exemplaren werden zurzeit 3.600 im Abo und 1.500 über die Kioske vertrieben.

Weltverbesserungsort Internet

Auch entsprechende Nachrichten- und Erzählportale etablieren sich seit einigen Jahren: Utopia.de ist ein Webmagazin für nachhaltigen Konsum, um den »globalen Turnaround« zu schaffen – unterstützt von der ARD-Moderatorin Sandra Maischberger, die sich im Promo-Video als Weltverbesserin outet. Klimaretter.info, »das Magazin zur Klima- und Energiewende«, wird verantwortet von Toralf Staud, ehemaliger Redakteur der Zeit und bekannt für Recherchen über Neonazis und Klimathemen. Auf der Website futurzwei.org, die von dem streitbaren Sozialpsychologen und Klimawandel-Aktivisten Harald Welzer verantwortet wird, erzählen freie Journalisten »Geschichten des Gelingens«, abgelegt in der Rubrik »Zukunftsarchiv«. Es geht um Vorbilder und Pioniere in Sachen alternatives Wirtschaften und ressourcenschonenden Lebensstil.

Das Geld kommt von Superreichen

Da gute Nachrichten über Problemlösungen nicht vom Geld großer Verlage leben – wovon dann? Die Antwort könnte Besorgnis erregen: Die Finanzierung kommt häufig von Mäzenen, Stiftungen, Unternehmern und großen Konzernen. Futurzwei.org lebt vom Stiftergeld des Ehepaars Hanna und Dieter Paulmann, das früher ein Zeitarbeitsunternehmen besaß. Sparknews in Paris wird vom französischen Wasserkonzern Veolia Eau gefördert. Das Solutions Journalism Network in New York bekommt unter anderem Geld von der Rockefeller Foundation und der Bill & Melinda Gates Foundation.

Wenn so viel Geld von Superreichen und Globalisierungsgewinnern kommt – fallen dann auch die Geschichten über Lösungen business-freundlich und unkritisch gegenüber »Big Money« aus? David Bornstein wehrt ab: »Unsere Geldgeber haben keine Kontrolle darüber, welche Rechercheprojekte wir mit Stipendien fördern. Wenn sie versuchen würden, Einfluss zu nehmen, würden wir nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten.« Die Stiftungen würden bestimmte Kategorien fördern, um die Qualität von Journalismus in ihren Themenfeldern zu verbessern: »Die Gates Foundation unterstützt Rechercheprojekte über Bildung, die Rockefeller Foundation gibt Geld für Recherchen über Klimaschutz. Das ist sehr breit, da gibt es tausende Storys auf der ganzen Welt.« Im Übrigen habe man dieselbe Trennung zwischen Redaktion und Geldgebern, wie Zeitungen sie zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung praktizieren. »Journalismus nimmt schon seit langem Geld von der Wirtschaft, das ist nicht neu. Dort sind es Werbeeinnahmen, hier ist es Stiftungsgeld.«

Grenze zur PR in Sichtweite

Ein großes Problem von Lösungsgeschichten ist ihre journalistische Qualität. Viele sind zwar flott geschrieben, aber oft gibt es nur eine einzige Quelle: den Initiator des betreffenden Projekts oder den Erfinder einer Lösung. Da ist die Grenze zur PR schon in Sichtweite, zuweilen wird sie überschritten. Reiner Metzger sagt selbst über die Impact-Journalism-Beilage der taz: Es sei ein Problem, dass es zu vielen Initiativen oder Innovationen noch keine Kritiker oder Studien gebe. »Da fährt der Journalist nach Afghanistan zu dem Minenräumer, und alle finden das Projekt super. Es gibt keinen Test, wie viel Prozent aller Minen der räumt.«

Qualitätsprobleme noch ungelöst

Soll Lösungsjournalismus jedoch auch eine Teillösung für den Journalismus und dessen Reichweitenproblem werden – und die hohen Verkäufe der Zeitungsspecials zeigen das Potenzial dazu –, dann bräuchte es eine Qualitätsdebatte. Orientierung könnte beispielsweise eine Initiative der Technischen Universität Dortmund bieten, die seit 2013 unter Leitung von Journalistik-Professor Holger Wormer umweltjournalistische Texte evaluiert: der »Medien-Doktor Umwelt«, der die Qualität von Umwelt-Berichterstattung steigern will. In seinen Kriterien für guten Umweltjournalismus finden sich auch Anforderungen zum Thema »Lösungen«. Es solle bei Lösungsvorschlägen auf Quellenvielfalt und Vollständigkeit der Informationen geachtet werden; durch Recherche solle »Greenwashing«, also PR für ein ungerechtfertigt grünes Image eines Unternehmens, entlarvt werden: Journalistische Beiträge propagieren »keine Scheinlösungen, die nicht wirksam zur Beseitigung oder Vermeidung von Umweltproblemen beitragen«. In PR-Kampagnen präsentierte ›Ökologische Innovationen‹ sollen kritisch hinterfragt, zugeschriebene Attribute wie ›nachhaltig‹, ›öko‹, ›umweltfreundlich‹, ›nachwachsend‹ oder ›recycelbar‹ auf ihren tatsächlichen Gehalt überprüft werden, so die Wunschliste aus Dortmund.

Mit der guten Sache gemein gemacht

Und wie ist es mit der journalistischen Berufsrolle? Sind positive Lösungsstorys überhaupt vereinbar mit der Rolle als neutralem, unabhängigem, möglichst objektivem Beobachter, der sich »nicht gemein macht, auch nicht mit einer guten Sache«?

Ein Teil der Lösungsjournalisten hat sich in der Tat von diesen journalistischen Zielvorstellungen verabschiedet, vor allem von dem der Objektivität. Zu ihnen gehört taz-Autorin Ute Scheub. Die 58-Jährige, die ihre Leser »lieber aktivieren als deprimieren will«, hält generell alles journalistische Tun für subjektiv. In ihrer Mailsignatur bezeichnet sie sich selbst als »Geburtshelferin ökosozialer Innovationen«.
Andere Akteure halten positive Lösungsstorys für absolut vereinbar mit der klassischen Journalistenrolle – ja sogar für notwendig. So sieht es Torsten Schäfer, Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt. Er entwickelte mit Studierenden das Nachhaltigkeitsblog »Zukunft leben«, baute das Studienprogramm »Nachhaltigkeit und Journalismus« an der Leuphana-Universität Lüneburg mit auf und will mit der neuen Rechercheplattform »Grüner Journalismus« lösungsorientierte Ansätze in der Umweltberichterstattung fördern. Schäfer: »Der Journalist macht ja nicht selbst Lösungsvorschläge, sondern transportiert Vorschläge von Akteuren.« Natürlich sei es eine Gratwanderung, wie engagiert ein Journalist sein sollte. Aber lösungsorientierter Journalismus sei vor allem eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen: »Es ist unglaublich viel Aufbruch da, viel experimentelles und soziales Tun, von Carrotmobs über Transition Towns bis zu Regionalwährungen. Und wenn man das als Journalist abbildet, dann kommt man nur seiner Chronistenpflicht nach.«

Und David Bornstein vom Solutions Journalism Network in New York meint: »Wenn Journalisten über Probleme berichten, aber die Reaktionen darauf und die Lösungsversuche ignorieren, dann informieren sie die Gesellschaft nicht über die ganze Geschichte. Dann erzählen sie nur die halbe.«

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