Eu-Journalismus
Im Gleichschritt

Wie Journalisten in Brüssel auf Verantwortungsbewusstsein und gutes Europäertum eingeschworen werden. Ein polemischer Erfahrungsbericht eines langjährigen Korrespondenten.

von Hajo Friedrich

Endlich hat Europa einen Narrativ. Vorbei sind auch die von Medien in Brüssel und den EU-Hauptstädten erhobenen Klagen, dass es keine europäische Öffentlichkeit gibt. Keine die EU-Bürger verbindende und an der Chiffre »Brüssel« angebundene Erzählung. Weder scheinbar bürgernahe EU-Verordnungen, wie die zur Begrenzung der Gebühren beim Telefonieren im Ausland, noch tausende Hochglanz­broschüren vermochten bislang den Menschen eine europäische Identität zu verpassen.

Jetzt, in den sich immer mehr zu­spitzenden Finanz­markt- und Schuldenkrisen sowie drohender Insolvenz ganzer Volkswirtschaften kristallisiert sich eine europäische Öffentlichkeit heraus. Die fragwürdige Sehnsucht nach einem Neubeginn, einer »Stunde null« soll zur einenden Kraft werden. Dass dem ein Kladderadatsch namens massiver Geldentwertung vorangehen könnte, lässt jedoch Ungutes ahnen. Was für eine Wiedergeburt aus der Tragödie. Auch die Medien, nicht zuletzt das Heer der rund 1.000 EU-Korrespondenten, tragen für die desolate Lage Verantwortung. Entgegen landläufiger Meinung sind es nicht die ohnehin nur wenigen, auf Skandale und Enthüllungen ausgerichteten Medienvertreter, die Europas Ansehen geschadet haben. Mitverantwortlich sind die vielen, die – wie auch ich viele Jahre – ihrer Wächterfunktion nicht gerecht wurden. Die sich nicht als »vierte Gewalt« verstanden, sondern eher kreuzbrave Regierungsberichterstattung betrieben haben.

Gestern noch war ihnen die Welt der Finanz­produkte weitgehend unbekannt, heute schon räsonieren sie munter drauf los – etwa über die wundervollen Möglichkeiten der Geldvermehrung durch »Hebelung« staatlicher Milliardenkredite und einer damit verbundenen kaum schlagbaren »Feuerkraft« im Kampf gegen die »Märkte«. Wie soll das gutgehen?

Der Großteil davon ist pure Regierungsbericht­erstattung. Das Umschreiben von Presseerklärungen (»Re-writing«) oder die Umverpackung von Infos und Einschätzungen von Politikern, Diplomaten und Beamten in hintergründig tümelnde Rührstücke.

Grundlegende Fragen eines wachen und wachenden Journalismus werden kaum gestellt: Was genau bedeutet das? Woher eigentlich weiß ich das? Im Gegenteil. Immer mehr scheinen für staatstragende Medien ungeschriebene Not­standsgesetze zu gelten, denen sich auch die Korrespondenten auf dem Posten Brüssel nicht entziehen können. Sie sondern im Brüsseler Laufrad zwar täglich brav ihre Berichte ab und hauen gelegentlich auch mal auf den Putz. Doch eingebettet in der EU-Machtelite waren wir zu lange einäugig oder blind für die wirklichen Gefahren des Zusammenhalts; im naiven deutschen Streben, »gute Europäer« zu sein, haben wir beim Projekt Europa viele Warnsignale fahrlässig übersehen. In Brüssel wird zwar ein Großteil der Politik und Regelungen beraten und entschieden, die dann nur noch von den nationalen Parlamenten durchgewinkt und von den Behörden exekutiert werden müssen. Doch vieles wird in Brüssel teilweise ganz bewusst nicht angepackt.

Zum Beispiel: Jahrelang machten sich in Brüssel Politiker und Journalisten lächerlich, die Regelungen gegen den Wildwuchs auf den Finanzmärkten, etwa eine Börsenumsatzsteuer, forderten. Das sei doch unsinnig und schade dem Standort Europa, weil die »Globalisierung« nur mal international geregelt werden könnte. Da müsse man halt warten, bis sich alle Welthandelspartner verständigt hätten. Jetzt, so will uns die Politik in Berlin und Paris verkaufen, sollen es Regelwerke richten, auf die sich noch nicht einmal sämtliche EU-Partner einigen können. »Das will ich gar nicht wissen, was die Finanz­minister der Eurozone da genau beraten«. Dies antwortete mir unlängst ein langjähriger Brüsseler Kollege, als ich forderte, dass es doch unsere verdammte Pflicht sei, akribisch zu berichten und zu bewerten, was in der schwersten Krise der EU hinter verschlossenen Türen in Brüssel und anderswo passiert. Wie, angeblich alternativlos, auf Kosten der Allgemeinheit ein Milliarden­paket nach dem anderen zur Rettung »system­relevanter« Banken und bankrotter Staaten beschlossen wird. Doch wer es, wie die Kredit­wirtschaft schafft, sich von Politik und Gesellschaft als »Too big to fail« attestieren zu lassen, immunisiert sich offenbar auch gegen Kritik und Kontrolle der Medien.

Totschlagargument »die Märkte«

Warum willst Du das nicht wissen und berichten, wollte ich von dem ansonsten bei Hintergrundgesprächen engagiert nachhakenden Kollegen wissen? Weil es unkalkulierbare Auswirkungen haben könnte …

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