Sport
»Keiner nennt es Kirmesboxen«

ARD-Sportreporter Hajo Seppelt über seine Absetzung als Schwimmkommentator, die Folgen von Kommerz und Quotendruck im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sowie seine preisgekrönten Dopingrecherchen im Fall Jan Ullrich und Floyd Landis.

von Lutz Mükke

Sie haben Ihren Job als ARD-Schwimmreporter verloren, obwohl Ihre Berichterstattung seit Anfang der neunziger Jahre hoch gelobt wird. Wie ist der Stand der Dinge?

Hajo Seppelt: Unverändert. Seit Sommer bin ich kein Live-Schwimmreporter mehr. Ob ich es jemals wieder werde, kann ich nicht sagen.

Einige Kollegen führen Ihre Absetzung auf einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Ihnen und dem ARD-Sportkoordinator Hagen Boßdorf zurück. Ist da was dran?

Hajo Seppelt: Es wurden mehrere Begründungen für meine Abberufung genannt. Unter anderem hieß es, man wolle meiner immer wieder geübten Kritik nachgeben und nun verstärkt mein Thema – Doping – ins Programm bringen. Darauf solle ich mich jetzt konzentrieren.

Und die inoffizielle Version?

Hajo Seppelt: Eine intern geübte Kritik war ohne mein Zutun über Dritte öffentlich geworden. Ich nehme an, dass dies auch eine Rolle spielte.

Gab es nun diesen Grabenkampf Boßdorf-Seppelt oder haben Medienjournalisten das nur zu einem Zweikampf hochgejazzt?

Hajo Seppelt: Sicher war das für Journalisten ein interessantes Medienthema. Und dass Boßdorfdorf andere Prioritäten setzte als ich, ist kein Geheimnis.

Wo, meinen Sie, liegen denn grundsätzliche journalistische Differenzen zwischen Boßdorf und Ihnen?

Hajo Seppelt: Sie werden verstehen, dass ich Boßdorfs journalistische Haltung hier nicht kommentiere. Aus meiner Sicht ist es notwendig, dass Sportjournalismus im Fernsehen mehr ist als auf den Unterhaltungsfaktor ausgerichtete Live-Berichterstattung. Neben der Unterhaltungsfunktion braucht der Sport Vertiefung, substantielle, kritische und distanzierte Stimmen in der Berichterstattung, auch bei LIve-Übertragungen. Das ist für die Glaubwürdigkeit unseres Programms enorm wichtig.

Und mit diesen Allgemeinplätzen sind Sie angeeckt?

Hajo Seppelt: Ich glaube, dass meine Position in dieser Frage in der ARD weitgehend anerkannt wird. Eine kritische Live-Berichterstattung macht die Übertragungen meiner Meinung nach auch spannender. Es ist klar: Kumpanei mit Funktionären und Verbänden darf es nicht geben. Sport könnte viel öfter in größeren Recherche- und Filmprojekten stattfinden. Das ist ein sehr spannendes gesellschaftliches Feld.

Aber Herr Seppelt, auch das sind doch Allgemeinplätze, oder?

Hajo Seppelt: Wenn solche Fragen in programmlichen Zusammenhängen diskutiert werden, ist das alles andere als ein Allgemeinplatz, sondern sehr konkret.

Können Sie noch konkreter werden. Was stört Sie?

Hajo Seppelt: Ich habe den Eindruck, dass wir als Sportjournalisten fachlich in einigen Belangen nicht immer den Anforderungen genügen. Als Sportjournalist muss ich neben Regelkunde, Praxis und Trainingslehre auch medizinisches, ökonomisches und juristisches Grundwissen haben. Die Anforderungen im Sportjournalismus sind in den letzten Jahren stetig gewachsen. Es reicht aus meiner Sicht nicht, ein angenehmer Unterhalter oder Conférencier zu sein.

Sie meinen, viele Sportjournalisten seien »Promoter«, »Unterhalter« oder »Conférencier«?

Hajo Seppelt: Auf uns Sportjournalisten lastet ein erheblicher Quotendruck. Deshalb will jeder, dass seine Sendungen gut und locker rüberkommen. Dafür nutzen wir Sportjournalisten alle Instrumentarien, von denen wir annehmen, sie seien erwünscht und Maßstab unseres Berufes. Viele von uns glauben, unsere Aufgabe sei es, Sport mit dem Ziel der guten Quote an den Mann zu bringen.

Was für »Instrumentarien« meinen Sie?

Hajo Seppelt: Sportjournalisten im TV verwenden viel Zeit darauf, darüber nachzudenken, wie eine Szene spektakulär ins Bild gesetzt werden kann, wie und wann im Umfeld Trailer geschaltet werden und wie man am besten die Helden des Sports in Szene setzt. Damit die Leute auch ja dranbleiben, arbeitet man Cliffhanger ein. Jede Minute ist durchgeplant. Die Quote wird ja im Minutentakt abgerechnet. Da besteht die Gefahr, dass journalistische Aspekte verloren gehen.

Von der Deutschen Tourenwagenmeisterschaft bis hin zu Boxkämpfen veranstaltet die ARD ja auch selbst Sportevents. Wirkt sich das auf den Journalismus aus?

Hajo Seppelt: Wir veranstalten die Events keineswegs. Aber ich kann verstehen, dass dieser Eindruck entstehen kann. Nehmen Sie Boxkämpfe. Die öffentlich- rechtlichen Sender besitzen Übertragungsrechte und bewerben Kämpfe im Vorfeld kräftig. Über den Veranstaltungen thronen sprichwörtlich die Senderlogos. Zur Sendung gehören Feuerwerke, Musik, eine spezielle Dramaturgie, man berichtet über jedes Detail. Wenn man solche Events so bewirbt, kann der Eindruck entstehen, es sei schwierig, kritische journalistische Distanz zu wahren. Denn so werden solche Ereignisse zu Produkten, für die ich als Journalist plötzlich Mitverantwortung trage. Da verschwimmen die Grenzen zwischen Promoter, Veranstalter und Journalist. Häufig lässt sich dieser Widerspruch gar nicht auflösen.

Was heißt »nicht auflösen«?

Hajo Seppelt: Wenn Veranstaltungen im Vorfeld bereits so geprägt sind wie so mancher Boxkampf, will das keiner mehr Kirmesboxen nennen. Selbst wenn es definitiv kein gutes Sportereignis ist.

Stimmen wenigstens die Quoten, wenn sich Boxer mit doppeltem Kieferbruch und blutüberströmt über die Runden quälen?

Hajo Seppelt: Ich denke zwar nicht, dass solche dramatischen Vorfälle, die ja eher Einzel fälle sind, die Ein schaltquoten wesentlich beein flussen. Aber richtig ist: Die Ein schalt quoten bei ProfiboxÜbertragungen sind generell recht hoch. Es gibt ein offenkundiges Interesse beim Publikum. Aber die Quoten stimmen ja auch bei der Tagesschau, ohne dass Ereignisse so dramatisiert, verzerrt und überzeichnet werden.

Bekommen die Zuschauer so etwas mit oder sitzt da eine unkritische Masse vor den Mattscheiben?

Hajo Seppelt: Die Kritik an den Übertragungen von Boxkämpfen in ARD und ZDF wächst und kommt nicht nur vom Fachpublikum.

Sie sind zwar von Ihrer prominenten Live- Berichterstatter-Position im Schwimmen befreit worden, sorgen aber trotzdem weiter für Ungemach …

Hajo Seppelt: Nein, ich sorge nicht für Ungemach. Wenn die Berichterstattung über Doping vielleicht nicht jedem Sportfreund willkommen ist, dann muss ich das hinnehmen.

Immerhin bekam ich Unterstützung. Als mein Heimatsender RBB bei den Verantwortlichen intervenierte, wurde entschieden, ich solle zum Fall Jan Ullrich recherchieren.

Wie liefen die Recherchen?

Hajo Seppelt: Ich habe im Sommer über die Tour de France und die Deutschlandtour berichtet und dabei über Wochen intensiv mit allen möglichen Radsportprofis und deren Umfeld zu tun gehabt. Kurz nach der Tour stand fest, dass Floyd Landis gedopt war, aber Konkreteres wusste keiner von uns Journalisten. Ich bekam bei einem Gespräch mit einer Person aus dem Beraterumfeld von Landis, bei dem es eigentlich um ein ganz anderes Thema ging, einen Tipp. Das ist Reporterglück.

Wie überprüfen Sie so eine Aussage?

Hajo Seppelt: In dem Fall hat mir eine zweite Quelle aus dem Landis-Umfeld die Angabe exakt bestätigt. Das war für die Tagesschau dann sehr interessant. Kurioserweise stritt Landis fast zur gleichen Zeit auf seiner Pressekonferenz in Madrid alles ab.

Für die FAZ war Ihre dann folgende Recherche die erste investigative im deutschen Radsportjournalismus überhaupt. Woher kam der Hinweis auf den deutschen Arzt, der Dopingmittel für Landis und Ullrich beschafft haben soll?

Hajo Seppelt: Ich habe direkt in Madrid recherchiert. So entstanden viele Kontakte zu Kollegen, zu Informanten, in die Radsportszene. Dort erfuhr ich auch den Namen des Arztes.

Das klingt aber einfach. Und dafür lobt sie die FAZ mit einem Superlativ?

Hajo Seppelt: Das müssen Sie die FAZ fragen. Ich war vier, fünf Mal in Spanien und habe mit einer spanischen Mitarbeiterin recherchiert. Nach der Tour de France bin ich noch mal nach Spanien geflogen, um Dokumente zu sichern, Betroffene zu sprechen, Kollegen von El Pais zu treffen – eben um Hintergrundrecherchen zu machen. Bei der Tour de France liegen die Ermittlerakten ja nicht einfach so aus. Es ist auch vom Wesen des Mediums her schwierig, solche Geschichten zu machen. Denn das Fernsehen muss zum einen adäquat bebildern und zum anderen ist es lange Zeit nicht auf der Tagesordnung gewesen, investigative Sportbeiträge zu machen. Ich bin froh darüber, für diese Recherchen jetzt so große zeitliche und finanzielle Freiräume bekommen zu haben. Wenn das Schule macht, gelingt es vielleicht, mit der Doping-Berichterstattung der überregionalen Printmedien gleichzuziehen.

Also kam der Hinweis auf den Arzt aus den Akten der Justiz oder der spanischen Polizei?

Hajo Seppelt: Es waren keine Akten. Ich denke, Sie verstehen, dass ich meine Quelle nicht weiter einkreisen will.

Man hatte vorab schon über eine «deutsche Spur» im spanischen Dopingskandal gemunkelt …

Hajo Seppelt: Ja, und unsere Recherchen führten uns zu dem Arzt in die niedersächsische Kleinstadt Bad Sachsa. Er war den bisherigen Ermittlungen zufolge der Mann, der vermutlich für Ignacio Labarta illegal Medikamente beschaffte. Labarta, Sportlicher Leiter beim spanischen Radprofi-Team Communidad Valenciana, wurde zwischenzeitlich verhaftet und gehört zum Dunstkreis des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes.

Wie lange haben sie recherchiert, bis Sie den Namen des Arztes und die Verstrickungen kannten?

Hajo Seppelt: Von Anfang Juli bis Ende September, mit Unterbrechungen.

Nun hatte die ARD Übertragungsrechte für die Tour de France, mit der sie gute Quoten und hohe Werbeeinnahmen erzielte. Und es gab einen Exklusivvertrag mit Herrn Ullrich über jährlich 195.000 Euro. Ihre Arbeit hat das Image der Tour de France und von Ullrich schwer beschädigt. Kommt es da nicht zu Interessenkonflikten?

Hajo Seppelt: Ich war doch nicht der Einzige, der an dieser Geschichte dran war. Viele fleißige Printkollegen haben da recherchiert und geschrieben. Dass Jan Ullrich mit der ARD einen Exklusivvertrag hatte, war mir nicht bekannt. Solche Verträge halte ich im Übrigen für höchst zweifelhaft. Sie bergen die Gefahr, journalistische Distanz zu verlieren. Wer Leute auf der Payroll hat, kann von denen nicht erwarten, dass sie Verständnis dafür haben, kritisch befragt zu werden. Im Gegenteil: Man wird als Geschäftspartner angesehen.

Die ARD hat den Vertrag mit Ullrich erst sehr spät öffentlich gemacht …

Hajo Seppelt: Ja, dieser Eindruck lässt sich wohl nicht leugnen. Selbst als die Dopingvorwürfe gegen Ullrich immer lauter wurden, drang davon nichts an die Öffentlichkeit. Mit dem Vertrag hätte die ARD eigentlich fordern können: »Herr Ullrich, bitte vor die Kamera.« Ich habe einmal bei Ullrich-Manager Wolfgang Stroband einen Interview-Wunsch vorgetragen. Die Anfrage wurde negativ beschieden.

Wie hat die Öffentlichkeit vom Ullrich-ARD-Vertrag überhaupt Wind bekommen?

Hajo Seppelt: Im August brachte der Spiegel eine Meldung, dass die ARD ihren Vertrag mit Ullrich nicht mehr verlängere. Da war es raus.

Woher wussten die Spiegel-Kollegen das? Kenntnis davon konnte doch nur ein sehr kleiner Personenkreis haben.

Hajo Seppelt: Rufen Sie bitte in Hamburg an.

Boßdorf war für diese Verträge mitverantwortlich?

Hajo Seppelt: Ob er bereits 1999 bei der Unter zeichnung des ersten Vertrags mit Ullrich dabei war, ist mir nicht bekannt. Bei der Verlängerung war er, wie die ARD ja öffentlich erklärte, feder führend beteiligt.

Boßdorf war privat für die Telekom Conférencier und hat mit Jan Ullrich zusammen ein Buch geschrieben. Dafür stand er in der Kritik. Gestolpert ist er nun über die Becel-Affäre. Laut Welt gehe es auf seine Kappe, dass die Margarinefirma für 250.000 Euro sogenannte Sponsorentrailer in der ARD bekam. Die rahmten im September den ‚Becel Deutschland Walk‘ ein, der als »journalistische« Sportberichterstattung lief.

Hajo Seppelt: Was soll ich dazu sagen?

Ist Boßdorf nicht nur eine heiße Kartoffel? Er scheint doch lediglich eine Politik durchgezogen zu haben: Quote, Ökonomisierung, Management statt Journalismus.

Hajo Seppelt: In der ARD wird intensiv über solche Punkte geredet. Dass eine breite Diskussion stattfindet, ist positiv. Bei uns gibt es viele Redakteure und Reporter, die guten Journalismus wollen und auch praktizieren. Und es werden immer mehr.

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