Radio sichtbar machen

Feature-Produzenten müssen ihre Arbeit im Internet stärker sichtbar machen. Alan Hall von Falling Tree weiß, wie man in der digitalen Welt die Augen fesselt, während die Ohren gebannt dem Inhalt folgen.

von Alan Hall

Mit unserer Produktionsfirma Falling Tree machen wir Radio, erstellen Features, Dokumentationen und legen großen Wert auf die Beziehung zwischen Hörer und Radiostück. Diese Beziehung ist für uns zentral. Wenn wir also über einen Artikel den Titel »Radio sichtbar machen« schreiben, dann machen wir uns Gedanken darüber, wie Visualisierungen genutzt werden können, um dem Hörbaren zu dienen.

Wir produzieren regelmäßig halbstündige Dokumentationen für Radio 4, den Wortsender der BBC. BBC Radio sendet dreißig oder vierzig solcher Stücke pro Woche. Normalerweise erfahren Hörer durch Ankündigungen im Radio oder aus der Zeitung von diesen Sendungen. Mit etwas Glück stellt das Team der BBC-Öffentlichkeitsarbeit von Zeit zu Zeit eine unserer Produktionen interessierten Journalisten vor. Sie schreiben dann einen Artikel darüber oder präsentieren die Dokumentation als »Highlight des Tages«. Manche Sendungen werden in den Radiokritiken besprochen, die die britische Qualitätspresse immer noch wöchentlich veröffentlicht. Auf diese Weise haben wir seit vielen Jahren unsere Produkte an die Hörer gebracht – und der Erfolg ließ sich an den Zeilen berechnen, die darüber in der Zeitung geschrieben wurden.

Aber die Welt hat sich verändert. Und die Rundfunkindustrie reagiert darauf zu langsam und zu defensiv. Im Digitalen wird Radio zu Audio. Wir Radiomacher konkurrieren mit den Inhalten auf neuen Plattformen und Geräten wie iPod oder Smartphone. Wir müssen uns überlegen: Wie soll das altmodische Radio im Zeitalter von kostenlosen Downloads, allgegenwärtigen Youtube-Videos und der visuellen Dominanz des Internets überleben?

Paradoxerweise scheinen wir schon im goldenen Zeitalter des genauen Zuhörens angekommen zu sein – davon zeugt die wachsende Anzahl liebevoll gemachter Podcasts aus den USA. Aber gleichzeitig sehen wir, wie das Radio seine Existenzberechtigung verliert: seine Audio-Zentriertheit.

Bei Falling Tree haben wir erkannt, dass Feature-Produzenten mit ihrem feinen Sinn für alles Hörbare auch visuelles Marketing betreiben müssen, damit ihre Programme gesehen und gehört werden können. Wir müssen das Hör-Erlebnis erweitern und selbst die Beziehung zu unseren Hörern gestalten. Wir sprechen bewusst davon, »Radio sichtbar zu machen«, nicht »Radio zu visualisieren«.

Manchmal reicht es schon, eine alte Methode auf einer neuen Plattform anzuwenden. Ein Beispiel dafür ist eine Geschichte aus unserer Serie Short Cuts, für die ein amerikanischer Journalist sich selbst verwanzt und heimlich private Gespräche aufgenommen hat. Das BBC News Magazine sprang auf das Thema an und brachte einen Artikel mit Links zur Sendung. Gleich am ersten Tag bekam sie eine halbe Million Klicks.

Manche unserer Sendungen bebildern wir aufwendig. Das Internet ist schließlich ein visuelles Medium, und starke Bilder können helfen, die Aufmerksamkeit auf dem PC- oder Smartphone-Bildschirm zu gewinnen. Für »Sky Boy«, eine Sendung der Reihe Between The Ears auf BBC R3, haben wir einen kurzen Film und Werbeclips produziert (http://bbc.in/1r8l32c).

Die Absicht ist simpel: Wir wollen die Augen mit Anschauungsmaterial fesseln, während die Ohren mit dem eigentlichen Inhalt beschäftigt sind. Für die Geschichte »The Tale of the Sickly Whale« aus unserer Short-Cuts-Serie haben wir eine Animation von einem Studenten erstellen lassen. Der Film wurde über den Youtube-Account der BBC veröffentlicht, er unterstreicht Ton und Inhalt des Audios, ohne einfach nur seine Aussage zu wiederholen.

Wir gewinnen aber nur wenige Hörer dazu, wenn die BBC Sendungen auf ihren eigenen Websites mit Grafiken, Clips, Bilder-Galerien und Animationen bewirbt. Das Werbematerial gehört dahin, wo die potenziellen Hörer sind – für die Sendung mit dem verwanzten Amerikaner war das das BBC News Magazine; für eine Musik-Dokumentation, die wir vor Kurzem produziert haben, sind es Musik-Blogs oder das Pult eines uns wohlgesinnten DJs.

Die halbstündige Dokumentation »The Grace of Jeff Buckley« lief an einem Samstagvormittag im Juli 2014 auf dem Wortsender Radio 4. Wir präsentierten darin selten gespielte Aufnahmen, Interviews und Performances des Musikers Jeff Buckley, der 1997 ums Leben kam. Wir wussten, dass die Sendung Buckleys Fangemeinde ansprechen würde, obwohl seine Fans normalerweise eher nicht Radio 4 einschalten. Gleichzeitig durften wir auch die typischen Hörer von Radio 4 nicht abschrecken, die im Durchschnitt etwas älter sind und sich mehr für das gesprochene Wort als für Musik interessieren.

Vor der Ausstrahlung stellten wir einigen Musik-Blogs und Fan-Seiten ein Stück aus einem vorher nie veröffentlichten Interview mit Jeff Buckley zur Verfügung. Außerdem überredeten wir einen DJ des BBC-Tochtersenders 6 Music, die Dokumentation anzukündigen. Unsere Strategie scheint aufgegangen zu sein – zumindest nach Twitter-Maßstäben: Bei dem Kurznachrichtendienst wurde die Sendung während und nach der Ausstrahlung zum vielbesprochenen Trending Topic. Auch heute noch ist »The Grace of Jeff Buckley« online verfügbar und kann jeden Tag neue Hörer erreichen.

Genau das ist der Schlüssel dazu, Radio in digitalen Zeiten sichtbar zu machen: Es muss verfügbar sein. Bei der BBC kann man Sendungen nach der Ausstrahlung sieben Tage lang online nachhören. Für die Short Cuts haben wir schon früh entschieden, die Sendungen nicht nur online als Stream zur Verfügung zu stellen, sondern auch als Download. Seitdem erreichen wir 15-mal so viele Hörer wie vorher.

Wenn wir Radio sichtbar machen, versuchen wir dabei immer auch, das Hör-Erlebnis zu bereichern – ohne aber vom eigentlichen Inhalt abzulenken, ihn zu ersetzen oder zu verwässern. Wir wollen unseren Produktionen auch jenseits der planmäßigen Sendezeit Raum geben. Wir wollen sie »aus der Verankerung des BBC-Networks lösen« (wie es einer unserer Auftraggeber beim Sender formulierte), sodass sie von mehr Menschen gesehen und gehört werden können. Handgemachte Audiostücke haben einen eigenen Platz im Internet verdient. Visualisierungen sind dafür nicht nur eine zaghafte Beigabe, sondern Nutzwert für großartiges Radio.

Übersetzung: Rebecca Pohle

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