Zurück zu den journalistischen Wurzeln

Sind Lokalblogs immer subjektiv und unjournalistisch? Viele werden von ausgebildeten Redakteuren betrieben. Sie leisten eine eigenständig recherchierte, professionell aufbereitete und engagierte Berichterstattung, die der traditionellen Lokalpresse mancherorts fehlt.

von Nelli Oberlender

Den lokalen Bezug und das digitale Format haben sie gemeinsam. Doch davon abgesehen ist die deutsche Lokalblogger-Szene so bunt gemischt wie die Kölner Innenstadt am Rosenmontag – und ebenso beliebt: Die Bandbreite reicht von privaten Herzensprojekten wie Hallobock, in dem das Ehepaar Helmuth und Bärbel Bock »Nachrichten und Veranstaltungshinweise« aus Saarbrücken anbietet, bis zu Blogs wie Veganes Paderborn oder Weltnest, die sich meinungsbetont Lifestyle-Themen widmen. Beachtliche Leserzahlen weisen einige professionelle lokaljournalistische Plattformen auf: Regensburg Digital etwa erreicht mit seiner Berichterstattung zu (hyper-)lokalen Themen bis zu 180.000 Besucher monatlich.

Das Definitionsproblem

Die Gründe für den Erfolg lokaljournalistischer Blogs zu finden, ist fast leichter als die genaue Anzahl dieser digitalen Lokalmedien zu erfassen: Wie viele deutsche Blogs können als journalistisch gelten? Nach welchen Kriterien erfolgt die Kategorisierung? Werden sie von Journalisten betrieben? Welche Rolle spielt Leserbeteiligung?
Auf der Suche nach Antworten auf solche Fragen führt das »Pew Research Center‘s Project for Excellence in Journalism« Studien zum Stand des amerikanischen Journalismus durch. In diesem Rahmen zeigte Michael R. Fancher, der ehemalige Chefredakteur der Seattle Times, am Beispiel seiner Heimatstadt, dass Lokalblogs oft an Orten entstehen, die nicht mehr vollständig von der Zeitungsberichterstattung abgedeckt werden. In Deutschland finden sich die meisten lokalen Webangebote dagegen in Ballungsräumen, die in Anbetracht der Fläche und Bevölkerungsdichte noch ein vergleichsweise großes Angebot an gedruckten Zeitungen aufweisen.

Schwer zu zählen

Weder Wissenschaftlern noch Webregistern wie Lokalblogger.de oder Kiezblogs.de ist bisher eine einheitliche Systematisierung oder verlässliche Zählung gelungen. Während auf Lokalblogger.de insgesamt 68 Blogs mit dem »Anspruch, gute journalistische (!) Arbeit zu leisten«, durch eigene Recherchen und Eigenmeldung der Betreiber zusammengetragen worden sind, verzeichnet Kiezblogs.de sogar 474 Lokal- und Regionalblogs in Deutschland. Die Selbstanmeldung wird dort redaktionell geprüft, zu den Ausschlusskriterien zählen unter anderem rassistische oder primär werbliche Inhalte. Bei näherer Auseinandersetzung mit den aufgelisteten Blogs werden zumindest qualitative Unterschiede schnell deutlich. Strukturell und inhaltlich ähneln Seiten wie die Prenzlauer Berg Nachrichten, die Umstädter Spätlese oder Regensburg Digital traditionellen Tageszeitungen. Sie liefern vor Ort recherchierte und von professionellen Journalisten verfasste Artikel rund um das hyperlokale Geschehen. Ungewöhnlicher tritt etwa das bayerische Onlinemagazin Da Hog’n auf, das neben journalistischer Berichterstattung auch PR-Dienstleistungen für lokale Unternehmer anbietet. Die Plattform Wir in Rheinhessen wiederum setzt auf Bürgerjournalismus. Dort scheint die Trennung von Redaktion und Werbung, an die Lokalzeitungen sich halten sollten, allerdings weniger ernstgenommen zu werden. Jeder volljährige Leser kann sich registrieren und seine eigenen Artikel publizieren, solange er bestimmte Regeln einhält – an sich eine zeitgemäße Idee mit viel Potenzial. Doch dieses Angebot wird nicht nur von Bürgern angenommen: Einige der veröffentlichten Beiträge stammen von Autoren aus Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und sind dementsprechend interessengesteuert und wenig ausgewogen.

Per App zum Geschehen

Es ist erstaunlich, dass gerade jene Merkmale, die den Erfolg journalistischer Lokalblogs antreiben und sie von traditionellen Medien abheben, eigentlich zu den journalistischen Grundsätzen gehören: umfassende, persönliche Recherche vor Ort, eine faktenbasierte und unabhängige Berichterstattung sowie Mut zur Meinung. Werte, die sich im Print-Journalismus immer seltener umsetzen lassen; das Geschäft mit der Zeitung rentiert sich wegen rückläufiger Anzeigeneinnahmen und der schnelleren Online-Konkurrenz immer weniger, die Journalisten sind infolgedessen an Schreibtisch, Telefon und dpa-Meldungen gefesselt, statt draußen Geschichten zu recherchieren. Da wirkt ein Konzept wie »Call a Journalist« des Onlinemagazins Hamburg Mittendrin innovativ und praktisch zugleich: Hier können Leser mittels Smartphone-App einen Mittendrin-Journalisten dorthin rufen, wo sich gerade etwas Wichtiges abspielt.

Das Besondere im Kleinen

Während die Lokalpresse Kosten sparen und inhaltlich immer größere Gebiete abdecken muss, beziehen sich sublokale Onlinemagazine auf immer kleinere Regionen und Stadtteile, die in der Lokalzeitung kaum Beachtung finden. Hierin liegt zugleich die Chance für die Journalisten sowie der Anreiz für die Leser: Von einem Blog wie Weiterstadtnetz wird nicht erwartet, dass er von Demonstrationen im nahe gelegenen Frankfurt am Main, geschweige denn von Themen mit nationaler Reichweite berichtet. Julian Heck, 23-jähriger Nachwuchsjournalist und Gründer des Weiterstadtnetzes, kann es sich erlauben, ausschließlich über seine Heimat Weiterstadt zu berichten. Er kennt seine Zielgruppe genau und liefert das passende Angebot. Die Partizipationsmöglichkeiten bleiben zwar, wie bei vielen professionellen journalistischen Blogs, auf das Kommentieren von Beiträgen beschränkt. Die Hürden zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs und zur Kontaktaufnahme mit den Journalisten sind aber ungleich niedriger als bei den herkömmlichen Medien.

Manch digitales Lokalmedium schafft es sogar, im größeren lokaljournalistischen System zur Qualitätssteigerung beizutragen: Der kritische Blog Regensburg Digital, auf dem der Gründer Stefan Aigner offensiv »Andere Nachrichten aus Regensburg« verspricht, hängte mit seinen Recherchen die konkurrierende Mittelbayerische Zeitung ab und schaffte es mit seinen Artikeln sogar, die Aufmerksamkeit überregionaler Medien zu gewinnen. Zwischen Regensburg Digital und dem Rüstungskonzern Diehl kam es im Jahr 2009 zum Rechtsstreit um die korrekte Bezeichnung einer Bombe: Aigner sprach auf seinem Blog von einer Streubombe, die seit 2008 per internationalem Abkommen verboten ist. Laut Diehl handelte es sich aber um eine Punktzielbombe. Schließlich gab es einen Vergleich – und über den Streit zwischen »David und Goliath« berichteten unter anderem der Spiegel und Taz Online.

Teure Leidenschaft

Lokalblogs können die journalistische Kultur erweitern, indem sie alternative Meinungen bieten und versuchen, Versäumnisse der Lokalmedien auszugleichen. Sie mögen die deutsche Medienlandschaft zwar vielfältiger machen, bezahlt macht sich die aufwändige Leidenschaft Lokalblog jedoch nur für die allerwenigsten. Bei Regensburg Digital läuft die Finanzierung bisher dreigeteilt: über individuelle Spenden, über Werbung und über einen Förderverein, der die Fixkosten sichert. Stefan Aigner muss jeden Monat Mitarbeiter bezahlen. Ihm selbst bleibt am Ende laut eigenen Angaben nur wenig mehr Geld als einem Zeitungsvolontär.

Welche Form der Finanzierung ist also die richtige? Zahlreiche Lokalblogs setzen auf Werbeeinnahmen, was bei 16vor – Nachrichten aus Trier aufgrund der deutlichen Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt gut funktioniert. Im Fall von Da Hog’n könnte dies hingegen zu Interessenskonflikten führen, da der Lokalblog den Anspruch hat, die objektive Berichterstattung mit den Dienstleistungen einer PR-Agentur für lokale Unternehmen zu verbinden. Der Berliner Blog Neuköllner versucht, sich ausschließlich mit Hilfe von Leserspenden und lokalen Partnerschaften über Wasser zu halten. Das gewährleistet zwar theoretisch eine unabhängige Berichterstattung, erschwert jedoch eine langfristige Planung, weil immer wieder neue Spenden eingeworben werden müssen.

Leidenschaft hin oder her: Was zu viel Zeit in Anspruch nimmt, sich am Ende aber nicht rentiert, kann nicht weiter betrieben werden. Die deutsche Lokalbloggerszene ist somit ein neuer Faktor der Meinungsbildung, der gerade infolge der allgemeinen journalistischen Krise an Bedeutung gewinnt. Qualitätsjournalismus hat eben seinen Preis – im Großen wie im Kleinen.

Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.

Kommentare

  1. […] ist die Lokalblog-Bewegung ein ganzes Stück weiter. Wer die Vielfalt und Lebendigkeit der Szene kennenlernen will, sollte die Vernetzungsportale […]