Israel und Palästina
»Unruhe, Angst und Unsicherheit«

Zwischen den verhärteten Fronten des Nahost-Konflikts kämpft das Palestinian Center for Development and Media Freedoms (MADA) für Pressefreiheit und gegen Übergriffe auf palästinensische Journalisten.

Lutz Mükke

Seitdem das Bündnis zwischen der radikal-islamischen Hamas und der gemäßigten Fatah zerbrochen ist, haben palästinensische Journalisten – neben dem israelischen Militär und der Zensur – noch ein Problem. Auch im Machtkampf der Palästinenser-Gruppen werden sie immer wieder zur Zielscheibe. Der palästinensische Journalist und Direktor des MADA, Mousa Rimawi, prangert Gewalt und Einschüchterung an und fordert einen besseren Schutz für seine Kollegen. Doch damit stößt seine Organisation auf taube Ohren – dies- und jenseits der »Grünen Linie«.

Herr Rimawi, die jährlichen Berichte Ihrer Organisation zu Übergriffen auf Journalisten klingen leicht pro-palästinensisch. Sie schreiben viel detaillierter über israelische Verstöße als über palästinensische. Warum?
Rimawi: Der Eindruck ist falsch. Wir sind gegen jegliche Angriffe auf Journalisten und Nachrichtenmedien, unabhängig davon, wer der Angreifer ist. Fakt ist jedoch, dass israelische Übergriffe sowohl die zahlreichsten als auch die gefährlichsten und lebensbedrohlichsten sind.

Können Sie das belegen?
Wenn Sie die MADA-Berichte in der Zeit von 2008 bis Juli 2013 lesen, werden Sie sehen, dass es 801 Verstöße durch Israelis und 480 durch Palästinenser gab. 22 Journalisten sind seit Anfang 2000 durch israelische Besatzungskräfte getötet worden, hunderte wurden verletzt. Einige Kollegen sind sogar wiederholt verwundet worden und trugen bleibende gesundheitliche Schäden davon. Al-Aqsa-Fotograf Imad Ghanem hat es im Juli 2007 so schwer erwischt, dass sein Bein amputiert werden musste. Al-Jazeera übertrug damals live, wie er ins Visier genommen und auf ihn geschossen wurde.

Und die palästinensischen Verstöße?
Wie aus unseren Berichten hervorgeht, waren die Verstöße durch Palästinenser 2011 am zahlreichsten. 106 palästinensischen Verstößen standen 100 israelische gegenüber. MADA hat diesen Umstand nicht verschwiegen, sondern ihn in vielen Berichten herausgestellt und die palästinensischen Behörden aufgefordert, die Angreifer zur Verantwortung zu ziehen. Außerdem starteten wir zwei Kampagnen, die darauf zielten, die palästinensischen Medien aus der Schusslinie der internen Palästinenser-Spaltung zu bekommen.

Müssen sich palästinensische Journalisten aufgrund der Spaltung zwischen Hamas und Fatah auf die eine oder andere Seite schlagen?
Leider haben wir keine wirklich unabhängigen Medien in Palästina. Selbst wenn sie finanziell unabhängig sind, stehen sie loyal zu einer Seite.

Warum?
Sie fürchten Repressalien und Angriffe, auch ein mögliches Verbot und Schließung. Hinzu kommt, dass die scharfen Restriktionen Israels die palästinensische Wirtschaft schwächen. Auch dadurch haben wir hier einen sehr engen Anzeigenmarkt und eine große Abhängigkeit.

Welche Rolle spielt Zensur für palästinensische Journalisten?
Zensur behindert die Entwicklung der palästinensischen Medien seit dem späten 19. Jahrhundert: im Osmanischen Reich, während der britischen Besatzung, dann kam die jordanische Kontrolle über die Westbank und die ägyptische über Gaza. Diese Blockade setzt sich unter der israelischen Besetzung der Palästinenser-Gebiete seit 1967 fort. Obwohl eine Zensur der Medien nach palästinensischem Recht seit Inkrafttreten des Gesetzes zum Druck- und Verlagswesen 1955 illegal ist, gibt es zahlreiche Formen von indirekter Zensur.

Welche?
Dieser äußere gesellschaftliche Rahmen bremste ständig die Entwicklung palästinensischer Medien. Das hat vor allem Auswirkungen auf das professionelle Niveau. Nach der politischen Spaltung der Palästinenser verstärkte sich dieser Trend noch. Wir sprechen auch von einer virulenten Selbstzensur. Die hat sicher auch damit zu tun, dass das israelische Militär alle Berichte über »sicherheitsrelevante Themen« vor der Veröffentlichung genehmigen muss.

Was tun die Medien dagegen?
2010 veröffentlichte MADA eine Studie, die untersuchte, welche Auswirkungen Verstöße gegen die Pressefreiheit auf die Selbstzensur in den palästinensischen Medien hat. Die Studie empfahl den palästinensischen Journalisten mehr Unerschrockenheit und Mut und mahnte an, das öffentliche Interesse zur einzigen Richtschnur ihrer Arbeit zu machen.

Auch palästinensische Behörden zensieren. Wie ist das zum Beispiel im Gazastreifen? Kontrolliert die Hamas da nicht das Internet?
Internetzensur gibt es in der Westbank und im Gazastreifen. In Gaza werden Nachrichtenseiten, die der Fatah nahestehen, überwacht, genauso wie das, was Aktivisten auf Facebook und Twitter schreiben. Internetzensur macht uns Sorgen, weil sie die freie Meinungsäußerung einschränkt und Selbstzensur fördert.

Haben die Behörden Angst vor einem Aufbegehren der Bevölkerung – einem »palästinensischen Frühling« sozusagen?
Ich glaube, dass die Kontrolle über das Internet seit den erfolgreichen Aufständen in einigen arabischen Staaten stark zugenommen hat. Vor allem wegen der Rolle, die junge Leute dabei spielten, indem sie über soziale Netzwerke Bürger zusammentrommelten und sie dazu anstifteten, an der Revolution und den Demonstrationen auf der Straße teilzunehmen. In diesem und im vergangenen Jahr wurden viele Journalisten und Blogger in der Westbank und im Gazastreifen verfolgt, weil sie ihre Überzeugungen auf Facebook kundgetan hatten. Eine Studie von uns aus 2011 zeigte, dass Facebook zwar für mehr freie Meinungsäußerung in der palästinensischen Gesellschaft sorgte. Das führte allerdings nicht zu einer höheren Akzeptanz von Meinungsvielfalt.

Wie reagiert Hamas auf Beschwerden und Kritik von MADA?
Das hängt vom jeweiligen Fall ab. Als der italienische Journalist Vittorio Arrigoni am 15. April 2011 getötet wurde, sind die Täter verfolgt und festgenommen worden. Auch als MADA eine Untersuchung eines Überfalls auf Kameramann Ammar al-Tallawy im Januar 2010 forderte, wurde der Angreifer, ein Sicherheitsbeamter, zur Verantwortung gezogen und bestraft. Al-Tallawy erhielt keine weiteren Drohungen.

Das waren positive Reaktionen. Und die negativen …
Manchmal leugnet die Hamas schlicht Verstöße. Auch wurden wir mehr als einmal beschuldigt, nicht objektiv zu sein und auf Anweisung der Sicherheitsbehörden der Westbank zu handeln.

Wie schwierig ist es für MADA wirklich, Hamas und Fatah zu kritisieren?
Wir fürchten uns nicht davor, jemanden zu kritisieren. Es spielt keine Rolle, ob es sich dabei um Personen des öffentlichen Lebens, Parteimitglieder oder Sicherheitsbeamte handelt. Unsere Arbeit ist professionell und objektiv. Wir haben noch nie einen Bericht unterschlagen. In Streitfragen können wir Journalisten vor palästinensischen Gerichten auch verteidigen. Wir haben zwei Anwälte, einen in der Westbank, einen in Gaza. Sie bieten kostenlose Beratung für Journalisten an und organisieren Workshops, um Journalisten klar zu machen, welche Rechte sie eigentlich haben.

Was ist mit den Arbeitsverboten?
Angriffe auf Journalisten sind Teil der Auseinandersetzung zwischen Hamas und Fatah. Nach der Spaltung wurde beispielsweise der Hamas-nahe Radio- und TV-Sender Al-Aqsa daran gehindert, in der von der Fatah kontrollierten Westbank zu arbeiten. Im Gegenzug verbot die Hamas Palestine Public TV, The Voice of Palestine-Radio und die Palestinian News Agency in Gaza. Darüber wurde verhandelt und man kam 2011 überein, das aufzuheben.

Sie fordern Hamas und Fatah immer wieder dazu auf, stärker gegen diejenigen vorzugehen, die die Medienfreiheit verletzen. Sie nannten oben ein paar positive Beispiele. Aber im Gesamtfazit: Hat ihre Arbeit in diesem Punkt Erfolg?
Leider wurden bislang nur wenige Verstöße geahndet und Verantwortliche kaum zur Rechenschaft gezogen. Nehmen Sie zum Beispiel die Festnahme eines Redakteurs der Website Al Shoa’lah durch Sicherheitsleute der Hamas im Februar 2012. Sie stürmten sein Haus, konfiszierten seinen Computer, seine Kamera sowie einige Unterlagen und hielten ihn drei Tage lang zur Befragung fest. Uns gegenüber gab er danach an, er sei mit Schlägen gefoltert worden, weil man ihm Kollaboration mit den Behörden im Westjordanland vorwarf. Am Ende mussten sie den Kollegen aus Mangel an Beweisen freilassen – nicht ohne ihn zu warnen, diesen Vorfall ja nicht öffentlich zu machen.

Was wissen Sie über die psychologischen Folgen all der Schikanen gegen Journalisten in den palästinensischen Gebieten?
Die ständigen Übergriffe haben schreckliche Auswirkungen auf die Psyche von Journalisten. Unruhe, Angst und Unsicherheit begleiten ihre Berichterstattung. Zuletzt wurden Journalisten sogar von palästinensischen Sicherheitsleuten angegriffen, als sie über friedliche Protestmärsche in Hebron und Ramallah berichteten. Müssen Journalisten jetzt also schon eine schusssichere Weste tragen, wenn sie nur über friedliche Protestmärsche berichten?

Ein Beispiel?
Fadi Alaruri, ein Fotograf, wurde 2007 von einem israelischen Soldaten durch einen Bauchschuss so schwer verletzt, dass er zehn Monate im Krankenhaus behandelt wurde. Es dauerte weitere acht Monate, bis er wieder zur Arbeit gehen konnte. Diese Zeit war psychisch und physisch sehr hart für ihn. Heute überlegt der tausendmal, bevor er über etwas berichtet – vor allem aus Rücksicht auf seine Familie.

Können palästinensische Journalisten in Israel ungehindert arbeiten?
Nein, sie können überhaupt nicht in Israel arbeiten, mit Ausnahme derer, die einen Jerusalemer oder israelischen Ausweis besitzen. Die fehlende Reisefreiheit ist eines der großen Probleme für palästinensische Journalisten. Die Mehrheit kann nicht nach Israel einreisen, nicht einmal nach Ost-Jerusalem. Auch dürfen Kollegen aus der Westbank nicht nach Gaza und andersrum, und weder Journalisten aus Gaza noch aus der Westbank dürfen nach Israel. Nur ganz wenigen Journalisten stellen die israelischen Behörden eine Arbeitserlaubnis für Israel aus.

Und können israelische Journalisten ungehindert im Gazastreifen oder in der Westbank arbeiten?
Israelische Journalisten hatten schon immer das Privileg, ungehindert in allen Palästinenser-Gebieten zu arbeiten, vor allem in der Westbank. Nichts hält sie auf, nichts behindert sie. Nur in Gaza verweigert die israelische Regierung israelischen Journalisten den Zutritt mitunter.

Israelische Journalisten sehen sich keinen Schwierigkeiten seitens der palästinensischen Behörden gegenüber, wenn sie in Gaza oder der Westbank arbeiten wollen?
Sie sind in Palästina immer willkommen.

Und die israelische Seite? Wie reagiert die auf ihre Arbeit und ihre Beschwerden?
Israel äußert sich nicht zu unseren Berichten. Wir haben keinen direkten Kontakt. Israelische Antworten auf Anfragen israelischer oder internationaler Institutionen sind nie sehr überzeugend. Aber das ist nicht verwunderlich, denn Israel agiert, als sei es ein Staat, der über internationalem Recht steht.

Israelische Behörden haben nicht einmal eingewilligt, die Morde an palästinensischen Journalisten
untersuchen zu lassen? Wie werden diese Dinge denn in Israel diskutiert?

Israel hat immer eine Rechtfertigung für die Tötung von Journalisten oder Angriffe gegen sie bei der Hand – so hätten Soldaten nur Anweisungen ausgeführt, und dementsprechend könne kein Soldat für das Töten eines Journalisten zur Verantwortung gezogen werden. Das Fehlen von internationalem Druck ermutigt Israel, seine Verstöße fortzusetzen.

Wie verhalten sich israelische Kollegen oder Journalistenorganisationen?
Sie berichten nur selten über Angriffe auf Journalisten; ich habe noch nie gehört, dass das Israeli Journalists Syndicate gegen Angriffe auf palästinensische Kollegen protestiert hätte – Es ist so, als geschähe dies auf einem anderen Planeten.

Zwei der drei Journalisten, die letztes Jahr von der israelischen Armee getötet wurden, arbeiteten für Al-Aqsa TV, ein Sender, den die Hamas betreibt. Für Israel ist die Hamas eine Terror-Organisation und ein legitimer Kriegsgegner. Ist es schwer zu unterscheiden, wer Journalist und wer aktiv ins Kriegsgeschehen involviert ist?
Die israelische Besatzungsmacht tötete im November 2012 kaltblütig die Al-Aqsa-Fotografen Hossam Salama und Mahmoud Al Komi, trotz der deutlich sichtbaren Presseplakette an ihrem Auto. Der Umstand, dass sie für Al-Aqsa Television arbeiteten, ist kein Grund, sie zu töten. Das ist die Meinung von MADA und von vielen anderen internationalen Institutionen, die sich um die Pressefreiheit sorgen. Israel hat hochentwickelte Geräte, mit denen es den Gazastreifen Tag und Nacht überwacht. Sie können unterscheiden, ob es sich um einen Journalisten oder um einen Kämpfer der Hamas handelt. Dennoch wurden Journalisten wiederholt ins Visier genommen.

Gibt es einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation?
MADA hat immer wieder betont, dass es ohne ein Ende der israelischen Besatzung und ohne eine Aussöhnung der palästinensischen Parteien keine signifikante Verbesserung der Situation geben wird. Darüber hinaus braucht es ein solides rechtliches Umfeld, das die Meinungs- und Redefreiheit in Palästina sicherstellt – und zwar mit Gesetzen, die internationalen Standards entsprechen.

Die Fragen stellte Message-Mitherausgeber Lutz Mükke.
Übersetzung: Rebecca Pohle

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