Forschung
Altruismus oder PR?

Immer mehr Konzerne, Stiftungen und Vereine finanzieren journalistische Arbeit mit Recherchestipendien. Eine Studie zeigt, welchen Nutzen die Organisationen davon haben.

von Kathleen Bendick

»Man muss sich schon dessen bewusst sein, dass man mit dem Teufel paktiert«, sagt die freie Journalistin Greta Taubert, wenn sie an die Strukturen hinter ihrem Kontext-Recherchestipendium zurückdenkt. Denn der Verein »Kontext – Gesellschaft zur Förderung junger Journalisten« wurde vom Energieriesen Eon Ruhrgas gegründet, und die Förderung der jungen Journalisten wird an dessen Stammsitz in Essen besiegelt. »Während die einen ihre Verträge unterschrieben, wurde der Rest durch die Energieausstellung von Eon geführt.« Aber Taubert, die damals 25 Jahre alt war, sagt auch: »Wenn für Recherchen immer weniger Geld da ist, muss man Kompromisse machen.« Die Verlage sparen, für gründliche Nachforschungen und hochwertige Berichterstattung bleibt immer weniger Spielraum. In diese Lücke stoßen immer mehr Konzerne, Stiftungen, Verbände und Vereine mit sogenannten Stipendien, um nach eigenen Angaben die Qualität des unabhängigen Journalismus zu bewahren. Dieses bislang unerforschte Feld war Thema einer Abschlussarbeit am Lehrstuhl für Journalistik der Universität Leipzig, die untersuchte, welche Akteure innerhalb welcher Strukturen und mit welcher Intention Stipendien an Journalisten vergeben.

Rasantes Wachstum

Als das älteste seiner Art kann das Michael-Leisler-Kiep-Stipendium angesehen werden. Seit 1976 schreibt es die Kiep-Stiftung aus, damit Journalisten, die jünger als 32 Jahre alt sind, mindestens sechs Wochen in den USA verbringen können und nach Möglichkeit auch bei einer US-Zeitung oder einem Sender hospitieren. Seit 1994 schreibt der Verein Internationale Journalisten Programme Stipendien für Auslandsaufenthalte aus. Seit einigen Jahren ist die Szene kontinuierlich gewachsen: Mittlerweile werden im deutschsprachigen Raum 48 verschiedene Stipendien für Journalisten vergeben; allein im vergangenen Jahr fünf davon zum ersten Mal.

Diese finanziellen Beihilfen sind von ihren Bedingungen her sehr unterschiedlich und können grob in drei Kategorien eingeteilt wer­­den: in Ausbildungs­stipendien (die jegliche Form der Aus- und Weiterbildung finanzieren), Reisestipendien (die den Aufent­­halt an einem bestimmten Ort finanzieren, unab­hängig davon, ob ein Beitrag entsteht) und Recherchestipendien (die für die Erarbeitung eines konkreten Beitrags vergeben werden).

In letztere Kategorie fielen zwölf Stipendien, die dann in der Studie auch näher untersucht wurden:

  • Recherchestipendium des Instituts für Menschenrechte
  • Recherchestipendium des Magazins Neon
  • Stipendium des Netzwerks Recherche
  • Recherchestipendium des Instituts für Verbraucherjournalismus
  • Recherchestipendium des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung
  • Grenzgänger-Programm der Robert-Bosch-Stiftung
  • Gabriel-Grüner-Stipendium der Agentur Zeitenspiegel
  • Ad-hoc-Stipendium der Initiative Wissenschafts­journalismus
  • Peter-Hans-Hofschneider-Preis der Stiftung experimentelle Biomedizin (Schweiz)
  • Recherchestipendium des Klubs für Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten (Österreich)
  • Recherchestipendium des Verbands der konfessionellen Presse im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger
  • Kontext-Recherchestipendium (Eon Ruhrgas AG)

Insgesamt konnten 285 Beiträge ermittelt werden, die durch diese Stipendien im Zeitraum 1997-2010 gefördert worden sind: Die meisten davon waren Printartikel (161), gefolgt von Video- (53) und Audiobeiträgen (35) sowie Büchern (31). Die meisten Beiträge wurden durch das Kontext-Stipendium gefördert (s. Diagramm auf S. 77).

Quellen des Geldes

Woher jeweils das Geld für die Stipendien kommt, ist höchst unterschiedlich. Bei Kontext kommt es etwa aus dem Kommunikationsbudget von Eon und wird vom Konzernvorstand bewilligt. Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten finanziert sein Stipendium aus den Mitgliedsbeiträgen, während der Verband der Konfessionellen Presse dafür gesondert Spenden bei seinen Mitgliedern einwirbt. Für das Gabriel-Grüner-Stipendium wirbt die Agentur Zeitenspiegel Spenden von Firmen, Journalisten und Magazinen ein. Bei den anderen Stipendien spielen Stiftungen die Hauptrolle; über Stiftungsgelder werden auch die Stipendien des Netzwerks Recherche (Otto-Brenner-Stiftung) und des Netzwerks für Osteuropa-Berichterstattung (Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft) finanziert. Das Neon-Recherchestipendium, das nur einmal ausgeschrieben wurde, ist aus dem Redaktionsetat herausgebrochen worden.

Wem nützt es?

Handelt es sich bei diesen Stipendien nun um ernsthafte Versuche, Qualitätsjournalismus im öffentlichen Interesse zu fördern, oder sind sie eher als Instrument der Organisations-PR bzw. der Unternehmenskommunikation gedacht – ähnlich wie viele Journalistenpreise (vgl. Message 1/2008)? Um dies zu beantworten, bieten sich mehrere Kriterien an: Werden gezielt Themen vorgegeben, um diesen einen Platz in der Öffentlichkeit zu verschaffen? Versuchen die Organisationen, die Stipendiaten eng an sich zu binden, um auch über den Förderzeitraum hinaus gute Kontakte zu Journalisten zu haben? Gibt es neben finanzieller auch ideelle Förderung etwa durch Mentoren, die den Stipendiaten unterstützen, ohne ihn inhaltlich zu beeinflussen? Um die nötigen Informationen zu bekommen, wurden Interviews mit Stipendienverantwortlichen und Stipendiaten geführt. Die größte Schwierigkeit bestand darin, die Stipendiengeber für ein Interview zu gewinnen. Dies dauerte in Einzelfällen bis zu vier Monate und erforderte stetes Nachfragen via Telefon und E-Mail. Am Ende gaben alle 25 ausgewählten Personen ein Interview.

Instrument der Öffentlichkeitsarbeit

Bei sechs der zwölf untersuchten Stipendien drängt sich der Eindruck auf, dass sie vorrangig Organisations­zielen dienen sollen. Das Institut für Menschenrech­te fördert nur Beiträge zum Thema Menschenrech­te und hat das Stipendium in der Unternehmenskommunikation angesiedelt. »Das Recherchestipendium verfolgt auch das Ziel, nicht nur die Stipendiaten an das Institut zu binden und mit den Themen des Instituts vertraut zu machen, sondern darüber hinaus auch die Journalisten in der Jury anzuregen, sich in Zukunft mit diesen Themen zu beschäftigen«, so Bettina Hildebrand, Leiterin der Unternehmenskommunikation und Stipendienverantwortliche. Auch das Stipendium des Verbands der konfessionellen Presse ist eher als PR-Instrument einzuordnen, zielt es doch auch darauf ab, konfessionelle Themen (»Christlicher Glaube und Spiritualität«) sowie die Verbandsperiodika stärker in die Öffentlichkeit zu rücken. »Kaum jemand kennt das Libourius Magazin oder die ganzen Kirchenzeitungen, die nur regional erscheinen. Und um dafür ein bisschen Aufmerksamkeit zu erzeugen, sollte dieser Preis ausgeschrieben werden«, so Dirk Platte, Geschäftsführer des Fachverbands Konfessionelle Presse und Stipendiumsverantwortlicher. Zudem leide die konfessionelle Presse unter Auflagenrückgängen und könne immer weniger Geld für Recherchen ausgeben; auch dies solle das Stipendium auffangen.

»Auch über Erdgasthemen gesprochen«

Eon schränkt sein Kontext-Stipendium zwar inhaltlich nicht ein, geht aber – genau wie die Robert-Bosch-Stiftung mit dem Grenzgänger-Programm – klar einem Konzept der Corporate Social Responsibility nach. »Die Frage war: Was kann eine Unternehmenskommunikation nach außen tun?«, erklärt Jessica Keil von Eon. »Es gibt auch Stellen im Haus, die Kunst- und Kultursponsoring machen. Wir haben geguckt, was es schon gibt und festgestellt, dass es schon jede Menge Preise gibt. Die waren alle sehr fokussiert. Das wollten wir nicht. Deswegen vergeben wir Stipendien.« Ihr Kollege Helmut Rohloff räumt auch einen Nutzen über den Förderzeitraum hinaus ein: »Aus der langen Zeit und Zusammenarbeit ergibt sich auch, dass ich mit mehreren Stipendiaten, die mittlerweile in Wirtschaftsredaktionen sitzen, auch schon zu Erdgasthemen gesprochen habe. Das ist natürlich ein Effekt, den wir wünschen, manchmal auch brauchen, um intern zu begründen, warum es das Stipendium weiterhin geben sollte.« Undurchsichtig wirkt das Stipendium des Instituts für Verbraucherjournalismus, das nur einmal ausgeschrieben wurde – und zwar zur Eröffnung des Instituts 2005 zusammen mit einer holländischen Bank. Die Interviews mit dem Verantwortli­chen und dem Stipendiaten wurden nicht autorisiert; dies erweckt den Anschein, dass ein reiner PR-Hintergrund bestand. Auch beim Neon-Recherchestipendium scheint das Eigeninteresse im Vordergrund gestanden zu haben – nämlich der Wunsch, das eigene Heft voranzubringen. »Wir wollten natürlich, auch wenn es nicht direkt verknüpft war, die geförderten Projekte in Neon abdrucken. Wir haben das nicht in erster Linie als Förderprogramm gesehen.« Das hochdotierte Stipendium (fünfmal 10.000 Euro) ist nach der Ankündigung einer jährlichen Ausschreibung und großem Ansturm nach einer einmaligen Vergabe im Jahr 2008 kommentarlos verschwunden. In der Redaktion heißt es, das Stipendium sei eingestellt worden, weil überwiegend enttäuschende Bewerbungen eintrafen. »Wir waren mit der Qualität der eingereichten Exposés ziemlich unzufrieden. Das waren etwa 1.000 Einreichungen. Es war unglaublich viel Schrott dabei«, so Timm Klotzek, Magazingründer und Stipendiumsverantwortlicher. Zum Thema PR-Effekt meint er: »Ohne dass wir es wollten, haben wir PR-mäßig super profitiert. Dieses Branchenlob nehmen wir natürlich gern, aber eigentlich wären mir ein paar gute Geschichten mehr lieber gewesen.«

Ideelle Förderung

Es scheint bis hierhin so, dass Recherchestipendien grundsätzlich mit einem Eigeninteresse der ausschreibenden Organisation verbunden sind. Bei einigen Organisationen deckt sich jedoch das Eigeninteresse mit dem Grundsatz, Journalismus zu fördern, weil dies (auch) Organisationszweck ist: beim Netzwerk Recherche, beim Netzwerk für Osteuropa-Bericht­er­stattung, bei der Agentur Zeitenspiegel (Gabriel-Grüner-Stipendium), bei der Initiative Wissenschaftsjournalismus, beim Klub für Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten und bei der Stiftung Experimentelle Biomedizin (Peter-Hans-Hofschneider-Preis).

Bei Letzterer liegt das »an Peter Hans Hofschneider selbst, der nicht nur auf die Biomedizin geschaut hat, sondern daran interessiert war, den kritischen Wissenschaftsjournalismus zu fördern«, so die Stipendiatin Nikola Kuhrt. Bei der Agentur Zeitenspiegel erklärt Uli Reinhard: »Zum einen wollen wir das Genre Reportage stärken und zeigen, dass es beim Journalismus auch um gesellschaftliche Funktion geht. Zum anderen wollen wir auch die Namen Hansel Mieth und Gabriel Grüner erhalten. Gabriel Grüner war Vollblutjournalist und sah es als seine Aufgabe an, sich um den Nachwuchs zu kümmern.« Zwar gibt es auch von diesen Stipendiengebern oft thematische Einschränkungen. So vergab das Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung zwei spezielle Stipendien, die durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft finanziert worden sind, und zwar zu den Themen Rechtsextremismus in Osteuropa und Erinnerungskultur 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges. Aber die Auswahl der Stipendiaten und ihre Begleitung während des Rechercheprozesses basieren auf den theoretischen Grundlagen des Journalismus und des Recherchierens. Das Netzwerk Recherche und die Agentur Zeitenspiegel bieten beispielsweise zusätzlich die Betreuung durch einen Mentor bzw. einen begleitenden Redakteur. Den Befragungen der Stipendiaten war zu entnehmen, dass die Qualität der Betreuung unterschiedlich ausfällt und Mentoren nicht immer so präsent waren, wie die Stipendiaten sich das erhofft hatten; für generelle Aussagen dazu war die Anzahl der Interviewten allerdings zu gering. Jedoch zeigen diese Beispiele, dass Recherchestipendien durch die ideelle Förderung einen weiteren Nutzen für den Journalismus haben können.

Begriff schützen

Um diesem Nutzen gerecht zu werden und Organisationen kein weiteres PR-Instrument an die Hand zu geben, gilt es, den Begriff des Recherchestipendiums zu definieren und von einer übergeordneten Instanz schützen zu lassen. Stets sollte er sowohl die finanzielle als auch die ideelle Unterstützung implizieren. Haben doch die meisten Stipendiengeber bei den Interviews für diese Studie selbst nicht genau gewusst, wie ihr Stipendium zu definieren sei, und in vielen Fällen sogar von einem »Journalistenpreis« gesprochen. Auch die andere Seite muss wachsam sein und bleiben. Journalisten, die sich auf ein Stipendium bewerben, sollten prüfen, welche Strukturen hinter dem Stipendiengeber stehen und wie unabhängig sie bleiben können.

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