Editorial

Liebe Leserinnen, Liebe Leser
Michael Haller

lesen Sie gelegentlich oder auch häufig Blogs? Immer mal wieder andere, oder nach ein paar Surf-Ausflügen doch dieselben zwei, drei? Letzteres wäre den mir bekannten Studien zufolge ein typisches Verhalten. Man landet eben doch immer wieder dort, wo ein Ertrag zu erwarten ist, ein Gewinn an Sichtweisen, Argumenten und Urteilsbegründungen, gelegentlich auch an Wissen – sofern man sich überhaupt für die Sichtweisen fremder Leute interessiert, von denen man ja zunächst nichts weiß als nur ihr Aliud.

Vielleicht haben auch Sie die Erfahrung gemacht, dass sich nach einiger Zeit der Gewinn erhöht um eine Erfahrung, die nicht mit Vertrauen (das wäre naiv), mehr mit Vertrautheit zu tun hat. Nach und nach wiedererkennt man die Denkweise und den Argumentationsstil vieler Kommentarschreiber; jeder der reichweitestärkeren Blogs entwickelt seinen Stallgeruch, der von aufreizend bis stinkig reicht. Als geruchfrei, also sachlich-neutral, erlebe ich keinen der Blogs. Und nur in ganz wenigen, meist themenzentrierten Blogs weht das Parfüm des wirklich Neuen. Dabei handelt es sich nicht um Informationen; es ist dieses radikal andere Verständnis öffentlicher Kommunikation. Die breite Szene, so lerne ich, bemüht sich nicht um informierende Aufklärung, hat nichts am Hut mit Nachrichtenwerten; beides schmeckt ihr schon zu sehr nach Gatekeeping. Die meisten Blogs existieren davon, dass beliebige Menschen beliebig Privates öffentlich ausbreiten wie Nippes auf dem Warenteppich eines orientalischen Bazars. Dort macht das Aushandeln den wichtigen Teil der Unterhaltung aus, egal, was am Ende herauskommt.

Neu also ist nicht dieser Typ Kommunikation, sondern seine elektronisch vernetzt hergestellte Ubiquität.

Als Journalistik-Zeitschrift interessiert uns weniger der virtuelle Superbazar. Uns interessiert die Minderheit der (je Studie) rund 8 bis 15 Prozent der Blogger, die mit dem Anspruch daherkommen, die Arbeit der journalistischen (Mainstream-)Medien kritisch zu begleiten, sie zu konterkarieren oder auch zu ergänzen und verbessern – Schlagwort: Gegenöffentlichkeit.

Vor rund zehn Jahren begann die Ära des Blogging. Wir haben dieses Jubiläum zum Anlass genommen, das Kräftemessen der beiden Gruppen unter die Lupe der Forschung zu nehmen. Wir beschreiben nicht nur Attitüden und Motive, sondern auch Denk- und Verhaltensmuster, die sich als uralt erweisen, auch wenn sie im modischen Kleid des »neuen Subjektivismus« auf die Bühne treten.

Dass Sie unsere Berichte und Analysen mit Gewinn lesen, dies erhofft sich

Michael Haller

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