Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

schöne neue Medienwelt: Man klickt sich durch die App des Spiegel und bekommt zur Story über die nimmersatten Lufthansa-Piloten und deren opulente Gehälter ein animiertes Erklärstück im Comic-Stil – der Kapitän: eine Witzfigur mit Schnauzbart. Im Papierheft gibt es das so nicht, kann es nicht geben. Ist das ein begrüßenswertes multimediales Surplus oder nur eine bemühte Verständnishilfe für Begriffsstutzige?

Mal so, mal so. Der Trend aber ist generell: Die Bilderflut des Fernsehens, die Multimedialität des Web – beides zusammen setzt alle Journalismusformen, auch die textbasierten, unter Druck, sich etwas einfallen zu lassen. Attraktive Optik ist gefragt, Bewegtbild und Animation, und die möglichst interaktiv, damit der zum User mutierte Leser seine eigene Infoauswahl treffen und so ein kleines bisschen zum Mitregisseur der medialen Darbietung wird.

Klar ist: Journalismus wird zunehmend interaktiv, er zeigt sich spielerisch, manchmal auch gefährlich verspielt, er will immer unterhaltsamer sein – was nicht das Schlechteste ist, will man im Publikum zu nachhaltiger Information und Meinungsbildung beitragen.

Unser Titelschwerpunkt zum Visual Journalism zeigt neben den Chancen aber auch die Gefahren auf: ein Journalismus, der ins allzu Dichterische abschweift, der Augenzeugenschaft virtuell simuliert, der Schreckensberichte stilistisch aufhübscht, der Weltgeschehen ästhetisiert und im Extremfall Krieg und Krise zum Genussobjekt stilisiert – zu konsumieren aus sicherer Entfernung.
Wie entstehen gute journalistische Inhalte? Journalismus hing immer von Teamwork ab, selbst der feuilletonistische Solist brauchte den Drucker. Nun zeigen sich neue Facetten der Kooperation, der ein weiterer Schwerpunkt dieser Ausgabe gewidmet ist: Autoren suchen den Schulterschluss mit Programmierern, und große Enthüllungsleistungen der jüngsten Zeit wie der »Geheime Krieg« (Message 2/2014) entstanden aus produktiver Grenzüberschreitung zwischen privatwirtschaftlicher Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Die Medienpolitiker aus beiden Lagern mögen noch in ihren Schützengräben hocken – die journalistischen Profis scheren sich nicht drum, sondern machen kollegial ihre Arbeit. Zum Nutzen der Öffentlichkeit.
Wir in der Redaktion haben uns sehr über die positiven Reaktionen auf unseren Relaunch gefreut. Sie, unsere Leserinnen und Leser, goutieren offenbar, dass auch wir uns um eine moderne Optik bemühen und jünger werden wollen. Dazu passt, dass wir Ihnen in dieser Ausgabe ein mit dem World Press Photo Award ausgezeichnetes Foto von Andrea Bruce zeigen. Amelie Nerger interviewte die Amerikanerin in Amsterdam.

Mein Herausgeberkollege Lutz Mükke, der übrigens neuer Direktor des Leipziger Instituts für praktische Journalismusforschung ist – herzlichen Glückwunsch! –, und ich wünschen Ihnen eine bereichernde Lektüre.

Herzlich
Ihr Volker Lilienthal

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