Offshore Leaks
Der Domino-Effekt

»Offshore Leaks« löst weltweit Reaktionen aus. Das schwelende Thema Steuerflucht bricht plötzlich auf. Mächtige Politiker und internationale Organisationen machen Druck auf Steueroasen.

von Peter Hornung

Herbert Stepic war sich offenbar keiner Schuld bewusst: Er trete nur zurück, erklärte der österreichische Spitzenbanker Mitte Mai, weil sein Unternehmen, die Raiffeisen Bank International, sonst »in der erwartbaren emotionalen und populistisch geführten Diskussion nachhaltigen Schaden« nehme. Kurz zuvor hatten Recherchen des österreichischen Nachrichtenmagazins News und der Süddeutschen Zeitung (SZ) aufgedeckt, dass Stepic über zwei Briefkastenfirmen mit Sitz auf den British Virgin Islands (BVI) und in Hongkong Wohnungen in Singapur gekauft hatte. Diese Informationen stammten aus den Daten des vom Washingtoner International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) organisierten internationalen Rechercheprojekts »Offshore Leaks«, an dem in Deutschland neben der SZ auch der Norddeutsche Rundfunk beteiligt war.

Stichwortgeber der Politik

Stepic also schwante eine »emotionale und populistisch geführte Diskussion« – und er zog die Konsequenzen, ohne dass ihm nachgewiesen worden wäre, dass er etwas Unrechtmäßiges getan hatte. Der 66-Jährige reihte sich damit in eine längere Reihe von Geschäftsleuten und Politikern weltweit ein, die durch die Publikationen im Rahmen von »Offshore Leaks« massiv unter Druck gekommen sind. In Frankreich war das Jean-Jacques Augier, Ex-Schatzmeister der Wahlkampagne von François Hollande, der sich für seine Investments auf den Cayman Islands rechtfertigen musste. Der Fall kam für den bereits durch einen ähnlichen Skandal unter Druck stehenden französischen Staatspräsidenten zur Unzeit. In Russland stand Vizepremier Igor Schuwalow am Pranger, weil seine Frau auf den BVI wirtschaftlich Berechtigte eines sogenannten Trusts ist. Prompt versprach der Putin-Vertraute, das Geld zurück nach Russland zu holen. In Kolumbien musste Ex-Präsident Uribe die Offshore-Geschäfte seiner Söhne erklären, auf den Philippinen ermitteln die Behörden wegen eines geheimen Trusts auf den BVI gegen die älteste Tochter des früheren Machthabers Ferdinand Marcos. Das sind nur die prominenteren Fälle, doch schon diese zeigen: »Offshore Leaks« hat in vielen Ländern der Welt eine Debatte angestoßen – über Steueroasen und Offshore-Geschäfte, über Legalität und Legitimität, über Transparenz und Ethik und nicht zuletzt über Gerechtigkeit. Dem internationalen Rechercheprojekt liegt ein weltweit relevantes Thema zugrunde – was die (vor allem für die Rechercheure selbst) unglaubliche Resonanz zumindest zum Teil erklären mag.

Manchmal schien es uns, als rannten wir offene Türen ein. Die Opposition im Bundestag – SPD, Grüne und Linke – forderte eilig (und völlig erwartbar) ein härteres Vorgehen gegen Steuersünder, Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) begrüßte zunächst die Veröffentlichung, um dann – im Chor mit einigen Länderfinanzministern – die Herausgabe der Daten zu fordern, die Steuergewerkschaft verlangte nach mehr Steuerprüfern und die CDU nach einem »Steuer-FBI« – und selbst die sonst zu zurückhaltende Finanzaufsicht Bafin drohte Banken mit einem harten Vorgehen, sollten sie illegale Offshore-Geschäfte gefördert haben. Sahra Wagenknecht von der Linken sprach von einer »Maulheldendebatte«, womit sie möglicherweise gar nicht so unrecht hatte. So manche Presseerklärung schien lediglich aus der Schublade geholt und mit den aktuellen Begriffen und neuem Datum versehen worden zu sein: »Offshore Leaks« als Stichwortgeber für Politiker aller Couleur, nicht nur in Deutschland. Die international konzertierte Veröffentlichung am 4. April 2013 war nicht nur Startschuss einer globalen Empörung, die mit den Rechercheergebnissen alleine nicht zu erklären ist – vor allem nicht mit jenen, die zunächst bekannt waren. Sie beschleunigte auch einen politischen Prozess, der bei Drucklegung dieses Heftes sicher noch nicht abgeschlossen ist.

Das Bankgeheimnis bröckelt

Was sich in den Folgetagen auf politischer Ebene tat, war tatsächlich eindrucksvoll. Luxemburg er-klärte eilfertig, es werde künftig am automatischen EU-Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten teilnehmen. Daraufhin forderte die EU-Kommission Österreich auf, dies ebenfalls zu tun – was die als streitbar bekannte österreichische Finanzministerin Maria Fekter wiederum zu der Erklärung nötigte, sie werde »wie eine Löwin« für das Bankgeheimnis kämpfen. Das Bundesfinanzministerium hingegen sekundierte Brüssel, indem es erklärte, man begrüße »jeglichen Druck, der ausgeübt wird, damit das Thema offensiv angegangen wird.« Das Thema Steuerflucht und Bankgeheimnis fand sich jedenfalls alsbald auf der Agenda des Europäischen Rates. In einer Erklärung vom 14. Mai forderten die Wirtschafts- und Finanzminister der Europäischen Union Steuerhinterziehung und Steuervermeidung national, auf EU-Ebene und weltweit zu bekämpfen und vergaßen auch nicht, die Journalistenorganisation ICIJ aufzufordern, Namen und Daten aller EU-Bürger herauszugeben, die sich in dem Datenpaket befinden. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy nannte das Vorgehen nur eine Woche später »beispiellos« und einen »echten Durchbruch«. Es gebe nun einen »starken politischen Willen«, nicht nur unter den Europäern, sondern weltweit. Eine Einschätzung, die trotz aller Euphorie realistisch war: Hatten sich doch bereits Mitte April die Finanzminister und Notenbanker der G20-Industriestaaten in Washington ebenfalls auf ein schärferes Vorgehen gegen Steueroasen geeinigt. »Offshore Leaks« hatte die anfänglich vor allem auf europäischer Seite vorhandene Skepsis gegenüber einem automatisierten Austausch von Steuerdaten schwinden lassen. Nun ist man sich einig – und US-Präsident Obama kündigte zusammen mit dem britischen Premier Cameron an, »die Geißel der Steuervermeidung« zum Topthema beim G8-Gipfel im Juni zu machen.

Massiver Druck auf Steueroasen

Eine mächtige Allianz, die sich da zusammengefunden hat, so mächtig, dass die Steueroasen, vor allem diejenigen, die von den Veröffentlichungen am meisten betroffen sind, wie machtlose Zwerge wirken und offenbar reihenweise einknicken: die British Virgin Islands (BVI) und die Cayman Islands in der Karibik und die Cookinseln in der Südsee, deren teilweise schon vor Jahrzehnten entwickelten Geschäftsmodelle nun endgültig international als parasitär gebrandmarkt wurden. Den Regierungen der BVI, der Cayman Islands und all der anderen von Großbritannien abhängigen Gebieten schickte der britische Premier einen Brandbrief, in dem er forderte, sie sollten endlich für mehr Transparenz in ihren Handelsregistern sorgen. Cameron war zuvor im Londoner Oberhaus dezent darauf hingewiesen worden, dass seine Position beim G8-Gipfel recht schwach sein könnte, solange gerade britische Überseegebiete Inbegriff der Steuerhinterziehung seien. Auch Angela Merkel hatte ihren britischen Amtskollegen höflich gebeten, doch auch vor der eigenen Haustür – auf den Kanalinseln Jersey und Guernsey beispielsweise – zu kehren. Widerstand jedenfalls scheint zwecklos. Wenn der Premier der BVI erklärt, seine Polizei ermittle, weil das Datenpaket offenbar unrechtmäßig in die Hände von Journalisten gelangt sei, dann wirkt das kaum mehr als trotzig. Gleiches gilt für die Direktorin des Internationalen Finanzzentrums der BVI, die Kunden in Hongkong beruhigte, dass die »Offshore Leaks«-Daten ja nur einen Bruchteil der dort ansässigen Firmen umfassten und die Vertraulichkeit der Kundendaten deshalb weiterhin sichergestellt sei. Anfang Mai kündigte London schließlich an, dass die Überseegebiete, unter ihnen die BVI, einem umfassenden automatisierten Datenaustausch mit dem Mutterland zugestimmt hätten.

Der Zeitpunkt war perfekt

Insgesamt eine beeindruckende Bilanz. Zu verstehen ist sie allerdings nur, wenn man diesen Kampf gegen Steueroasen als jahrelangen Prozess betrachtet – und »Offshore-Leaks« als einen journalistischen Scoop, der genau zum richtigen Zeitpunkt kam, ohne dass die beteiligten Journalisten es so geplant hätten. Einblicke in das weltweite System der Steueroasen gab es in diesem Detailreichtum zuvor zwar nicht. Doch schon ein Blick auf die Namen ertappter Steuersünder, Steuervermeider oder nur Kapitalflüchtlinge zeigt: Die wirklich großen Namen sind nicht dabei, prominente Fälle sind vergleichsweise rar. Allein die Masse macht’s und die Tatsache, dass man der Steuerhinterziehungsindustrie nun quasi ins Hirn schauen kann. Der einzige A-Promi, dem die von »Offshore-Leaks« angeheizte Diskussion in Deutschland wirklich zusetzte, war übrigens Uli Hoeneß. Dass sein Fall bekannt wurde, hatte aber überhaupt nichts mit dem Rechercheprojekt zu tun, sondern ist wohl eher einer Indiskretion bei der bayerischen Steuerfahndung geschuldet.

Kooperation generiert Aufmerksamkeit

Bei der OECD, jener internationalen Wirtschaftsorganisation, die schon seit vielen Jahren gegen das Steueroasenunwesen kämpft, wird man sich jedenfalls gefreut haben. Transparenz und ein effektiver Informationsaustausch in Sachen Steuer sollen für alle 120 OECD-Mitglieder verbindlich werden. Bislang gab es aber eine Gruppe von Staaten und abhängigen Gebieten, die sich beharrlich dagegen wehrten. Langsam nur kämpfte sich die OECD und ihr »Globales Forum« voran – bis es in diesem April durch die Enthüllungen unerwartet Rückenwind bekam. »Offshore Leaks« wirkte wie ein Brandbeschleuniger. Widerstände gegen Transparenz und Datenaustausch waren plötzlich gebrochen. Die Berichte Dutzender Journalisten weltweit machten ein abstraktes Problem anschaulich. Sie spielten damit jenen in die Karten, die seit jeher gegen Steueroasen vorgehen. Die Steueroase wurde mit »Offshore Leaks« endgültig in die Schmuddelecke gestellt. Es geht in der öffentlichen Debatte in vielen Staaten nun weniger darum, ob es legal ist, sein Geld zu verstecken, sondern es geht darum, ob es legitim und überhaupt gewollt ist, dass man große Summen Geldes und umfangreiche Besitztümer unkontrolliert in irgendwelchen Winkeln dieser Welt unterbringen kann.

Am meisten beeindruckt von den Auswirkungen der Veröffentlichungen waren wohl die Reporter und Rechercheure selbst. Auch vor dem Hintergrund der OECD-Bemühungen und der politischen Großwetterlage in Sachen Steuerflucht hatte wohl niemand eine solche Welle erwartet – und jedes Land für sich genommen hätte sicherlich kleinere Brötchen gebacken, hätte es nicht den konzertierten Veröffentlichungstermin gegeben, verbunden mit dem Hinweis auf die globale Recherche. Überhaupt der Begriff »globale Recherche«: Er wurde und wird sicher zu Recht gebraucht, sieht man die lange Liste der renommierten Medien, die sich am Projekt beteiligten. Gleichzeitig macht er die Sache größer als die Summe der Recherchen in den einzelnen Ländern. Dieser Begriff – gepaart mit den eindrucksvollen Zahlen – gab »Offshore Leaks« vom ersten Tag an eine Dimension und damit Relevanz, die alles Bisherige zu dieser Thematik in den Schatten stellte. Das ICIJ hatte schon einige spannende Rechercheprojekte realisiert, so zum Handel mit Körperteilen, dem seltenen Metall Coltan oder mit Zigaretten. Keine aber hatte eine nur annähernde Resonanz gefunden.

So ist das »Erfolgsrezept« von »Offshore Leaks« die Addition mehrerer Faktoren: der Aktualität des Themas auf der politischen Agenda, des (zumeist) gleichgerichteten Interesses an der Bekämpfung der Steueroasen und an einer journalistischen Berichterstattung darüber, der hohen sozialen Relevanz (Stichwort Gerechtigkeitsdebatte) und schließlich der weltweiten Teamarbeit mutmaßlich erfahrener und hartnäckiger investigativer Journalisten.
Für den Journalismus bedeutet dies: Ein solches Projekt birgt die Chance für die beteiligten Reporter, eine weitaus größere Aufmerksamkeit für eigene Berichte zu bekommen als es der Fall wäre, wenn jeder nur in seinem eigenen Kämmerchen vor sich hin arbeiten würde. Natürlich gibt es auch Synergieeffekte daraus, dass man gegenseitig von seinen Erkenntnissen profitiert. Doch schon darauf zu verweisen, dass man international kooperiert, erhöht die Relevanz der eigenen Arbeit immens.

Andererseits steckt im Erfolg einer solchen Recherche immer auch eine Gefahr. Nämlich zunächst die, dass die »Fallhöhe« umso größer ist, je größere Wellen eine Geschichte schlägt. So können selbst kleinere Fehler und Ungenauigkeiten die ganze Berichterstattung diskreditieren. Auch für die Recherche eher irrelevante Aspekte können nach der Veröffentlichung in der öffentlichen Diskussion eine Brisanz gewinnen, die vorher nicht abzusehen war und die die Ergebnisse in anderem Licht erscheinen lassen. Im Fall »Offshore Leaks« wurde beispielsweise in Internetforen und Blogs diskutiert, ob nicht staatliche Stellen den Journalisten gezielt die Daten zugespielt hätten, damit diese quasi im Dienste einer politischen Agenda tätig würden. Was zunächst wie eine Verschwörungstheorie klang, erhielt Anfang Mai zumindest scheinbar eine gewisse Bestätigung, als bekannt wurde, dass Behörden in Großbritannien und den USA offenbar schon seit längerer Zeit im Besitz eines 400 Gigabyte-Datenpakets seien, das zum Teil aus den »Offshore Leaks«-Dateien bestehe.

Auch wenn es nie mehr als Mutmaßungen waren: Was hätte es für uns Reporter und Rechercheure bedeutet, wenn interessierte staatliche Stellen das Datenpaket lanciert hätten? Hätten wir so etwas gewusst, hätten wir es natürlich zum Thema gemacht. Hätten wir es nur geahnt, wären wir so vorgegangen, wie wir es getan haben: Wir hätten die Daten genauso auf Echtheit, Zuverlässigkeit und Aussagekraft geprüft. Dann hätten wir ebenfalls nach Geschichten gesucht, die sich mittels der Daten erzählen lassen und diese Geschichten auf ihre Relevanz für die Öffentlichkeit abgeklopft. Damit umzugehen, dass Tippgeber und Whistleblower eigene Interessen verfolgen, ist das tägliche Brot eines investigativen Reporters. Eine mögliche Instrumentalisierung aber ist nahezu bedeutungslos angesichts des Interesses der Öffentlichkeit, Kenntnis von bestimmten Dingen zu bekommen. Alles eine Frage der Abwägung also.

Umstrittene Veröffentlichung von Daten

Was auch für die jüngste Entwicklung in Sachen »Offshore Leaks« gilt: die Veröffentlichung eines Teils der Daten im Internet durch das ICIJ Mitte Juni. Hinter dieser Publikation stand eine Abwägung zwischen dem Datenschutz und dem Recht der Weltöffentlichkeit zu erfahren, was in Steueroasen geschieht und wer dort aktiv ist. Die Journalistenorganisation entschied sich für Transparenz: 100.000 Briefkastenfirmen und Trusts sind nun online. Jedermann kann nach Firmennamen, Adressen, Direktoren oder Anteilseignern suchen. Deren Beziehungen untereinander werden in Grafiken visualisiert. Ausdrücklich nicht veröffentlicht wurden die vielen tausend E-Mails, die Teil des Datenbestandes sind, sowie sensible Daten wie Kontonummern und Passkopien. Bei der Vorstellung der Datenbank auf dem Hamburger Journalistenkongress von »Netzwerk Recherche« erklärte ICIJ-Chef Gerard Ryle, die neu geschaffene Transparenz könne dazu dienen, Betrug, Geldwäsche und Steuerhinterziehung effektiver zu bekämpfen. Die weltweiten Rechercheteams von »Offshore Leaks« waren allerdings in die Entscheidung, die Daten zu publizieren, nicht eingebunden – was auch das Murren mancherorts erklärt. Gerade in Deutschland, bei der Süddeutschen Zeitung und beim NDR, war nicht jeder froh über diese Ausprägung der amerikanischen Transparenzkultur. Dennoch: Dem Gesamtprojekt hat das wohl kaum geschadet. Noch immer wird weiter recherchiert – und spätestens im Herbst soll es neue Veröffentlichungen geben.

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