Medienkritik
Das gutgläubige Leitmedium

Im »Fall Sarrazin« scheitert der Spiegel bis heute am eigenen Aufklärungsanspruch: Statt selbst zu recherchieren, verbreiten die Redakteure lediglich, was Prominente ihnen in den Block diktieren.

von Martin Niggeschmidt

War Hitler hochbegabt? Macht Schule dumm? Diese und andere Fragen zum Thema Intelligenz versuchte ein Spiegel-Redakteur kürzlich zu klären, indem er den Begabungsforscher Detlef Rost um Auskunft bat. (Spiegel Online, 6.5.2013) Neun solcher Mythen wurden locker abgearbeitet, bis es zum Ende hin plötzlich ernst wurde: Mythos Nummer zehn lautete nämlich: »Bei Fragen der Intelligenz gibt es keine Tabus.«

Detlef Rost schien sofort zu wissen, worauf das Stichwort »Tabu« abzielte. »Ob es Unterschiede zwischen Ethnien gibt, ist ein weithin erforschtes Feld«, so Rost. »Aber ich werde hier nicht einmal fremde Ergebnisse wiedergeben, geschweige denn meine Meinung sagen. Sonst müsste ich fürchten, dass ich in der Vorlesung mit Eiern beworfen werde.«

Detlef Rost ist eine der wichtigsten deutschen Quellen von Thilo Sarrazins Bestseller »Deutschland schafft sich ab«, und Rost sprang dem ehemaligen Berliner Finanzsenator in der öffentlichen Debatte des Jahres 2010 zur Seite. Die »Sarrazin-Methode«, sich als Opfer von Tugendterror und Zensur darzustellen, beherrscht offenbar auch er. Doch ist die Forschungslage tatsächlich so eindeutig, wie Rost suggeriert?

Idee von der »Erbdummheit«

Dass es Menschengruppen und Ethnien gibt, die bei IQ-Tests besser abschneiden als andere, bestreitet niemand. Ob es sich dabei wirklich um Intelligenzunterschiede handelt, ist allerdings durchaus umstritten. Selbst prominente Intelligenzforscher wie der Neuseeländer James Flynn vertreten die Ansicht, dass IQ-Tests nicht die Intelligenz messen, sondern eher schwach mit ihr korrelieren. Offenbar hat zudem jede Kultur, jedes Milieu und jede Generation ganz eigene Vorstellungen davon, was Intelligenz ist.

Die im Zuge der Sarrazin-Debatte populär gewordene Idee von der »Erbdummheit« bestimmter Bevölkerungsgruppen lässt sich mit den Mitteln der Intelligenzforschung schon gar nicht untermauern. Die den Erblichkeitsschätzungen der Intelligenzforschung zugrunde liegende Methode ist nämlich lediglich geeignet, Aussagen zur Erblichkeit individueller Unterschiede innerhalb einer Gruppe zu treffen. Über die Erblichkeit von Unterschieden zwischen Gruppen sagt der Erblichkeitskoeffizient nichts aus. (Siehe dazu beispielsweise Elsbeth Stern: »Warum Haut- und Haarfarbe nichts mit genetisch bedingten Intelligenzunterschieden zu tun haben« sowie Andreas Heinz: »Intelligenz versus Integration«. Beide Aufsätze in: Andreas Heinz / Ulrike Kluge: »Einwanderung – Bedrohung oder Zukunft?« Frankfurt 2012)

Nebulöse Andeutungen

Ein schlichter Hinweis auf die begrenzte Aussagekraft der Intelligenzforschung hätte einem Artikel, der den Anspruch erhebt, »Intelligenzmythen« zu enttarnen, gut angestanden. Doch statt aufzuklären, präsentierte der Spiegel-Redakteur seinen Lesern nebulöse Andeutungen über »Forschungsergebnisse«, die zu brisant sind, um darüber sprechen zu können …

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