Netzwerk Recherche
Von Predigern und Ketzern

Die Zeitungskrise stand im Mittelpunkt der Jahrestagung des Netzwerks Recherche. Aber auch die jüngsten Berichte über dubiose PR-Machenschaften bei Bahn und Co. boten Diskussionsstoff.

von Günter Bartsch

Vom »Kirchentag des Journalismus« war im Juni hier und da die Rede, als es um die Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche ging. Damit der Vergleich zutrifft, braucht es freilich nicht nur genügend Gläubige, sondern auch Bibelarbeit und eine Predigt.

Die Tagung bot alles: 600 Teilnehmer, Arbeit an Reportagen im Rahmen von Workshops des Reporter-Forums sowie die klaren Worte von Heribert Prantl. Der SZ-Innenpolitik-Chef bezeichnete Zeitungen in seiner Rede als »systemrelevant« – und die Pressefreiheit als »tägliches Brot für die Demokratie«. Für eine Staatsfinanzierung der gedruckten Presse wollte sich Prantl trotzdem nicht aussprechen: »Den Zeitungen fehlt es gerade noch, dass es bei ihnen zugeht wie beim ZDF.«

Pressefreiheit praktizieren

Den Verlagen las Prantl die Leviten, als er überzogene Gewinnerwartungen als Ausdruck von Kurzsichtigkeit und Dummheit brandmarkte. »Die Verlage nutzen die angebliche Not für überzogene Notwehr. Viele der sogenannten Restrukturierungsmaßnahmen und Kündigungswellen in deutschen Medienhäusern sind Putativnotwehrexzesse.«

Prantl forderte dazu auf, von Pressefreiheit nicht nur zu reden, sondern sie mehr zu praktizieren. Aufhören sollten Journalisten damit, Gegensätze zu konstruieren, die es nicht gibt: »Hier Zeitung und klassischer Journalismus, da Blog mit einem angeblich unklassischen Journalismus.« Die Grundlinien verliefen vielmehr quer: »Es gibt guten und schlechten Journalismus, in allen Medien. So einfach ist das.«

Gewinne in der Krise

Ungläubig verfolgten Gruner-und-Jahr-Vorstand Bernd Buchholz sowie Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo die Ausführungen des Schweizer Verlegers Urs Gossweiler. Die Diskussion »Angst um Jobs und Inhalte« nutzte der Verleger der Jungfrau Zeitung, um auf die seit Jahren steigenden Werbeeinnahmen zu verweisen, die er mit lokalem Online-Journalismus erzielt – selbst jetzt, in der Krise. Gossweiler verbucht nach eigenen Angaben ein Nettoplus von 5 Prozent.

An das tagesaktuelle Medium Zeitung glaubt Gossweiler nicht: Das Geld aus dem Verkauf von Zeitungen sei auch bisher nur in Papier, Druck und Vertrieb geflossen. Daher könnten online publizierte Inhalte ausschließlich mit Werbung finanziert werden, sagt Gossweiler. Nur durch die Konzentration auf die Inhalte könne man es mit Google und Konsorten aufnehmen. »Das Einzige, was wir als Medienhaus haben, sind unsere exklusiven Inhalte.«

Reklame als »Hausmitteilung«

Aber auch die Werbefinanzierung birgt Risiken: Als Fehler, der sich nicht wiederholen werde, bezeichnete Georg Mascolo eine Toyota-Anzeige im Stil der »Hausmitteilung« des Magazins. Publiziert wurde sie an üblicher Stelle.

Anders als der Schweizer Gossweiler glaubt Freitag-Verleger Jakob Augstein nicht, »dass Anzeigen auf die Dauer die wichtigste Einnahmequelle von Medien« sein werden. »Wir versuchen, Online und Print miteinander in Einklang zu bringen. Das Geld muss aus dem Verkauf der Print-Zeitung kommen.« Bernd Buchholz sprach von aktuellen Einbrüchen auf den Anzeigenmärkten von 30 bis 50 Prozent. Eine Finanzierung durch Gebühren oder Stifter lehnte der Gruner-und-Jahr-Chef ab, da dies die Medien »an den Tropf« bringe. »Was ist, wenn der erste Stifter Silvio Berlusconi heißt?«

Gängige PR-Rituale

Dass es auch dem »Kirchentag des Journalismus« ganz gut tut, sich an Ketzern zu reiben, zeigte die Diskussion um den PR-Skandal bei der Deutschen Bahn. Dort wunderte sich PR-Berater Klaus Kocks, ehemals Kommunikationsvorstand bei VW, über die überraschten Reaktionen. Es handle sich um einen Prozess, der »gängige industrielle Praxis« sei.

Auch wenn Kocks später betonte, den Ist- und nicht den Soll-Zustand beschrieben zu haben: Die Provokation saß. Sowohl bei den Journalisten als auch beim Präsidenten des Pressesprecher-Verbandes Lars Großkurth. Der sprach bei der Bahn von einem Einzelfall. Spiegel-Redakteur Markus Grill betonte, die Absender einer Botschaft müssten auch laut Kodizes der PR-Branche stets erkennbar sein. Es sei nicht allein den Journalisten anzulasten, wenn PR-Beiträge in die Medien gerieten.

»Trauen Sie niemandem«, empfahl Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, mit Blick auf halbseidene Studien, die selbst von angesehenen Instituten verbreitet würden. Von der Einrichtung einer Expertendatenbank für Journalisten rieten die Diskutanten ab: Dafür sei das Wissenschaftssystem zu sehr im Fluss, meinte Finanztest-Chefredakteur Hermann-Josef Tenhagen. »Niemand hätte vor zwei Jahren gedacht, dass der linke Sozialdemokrat Rürup als Chefökonom bei AWD anheuern würde.« Journalisten müssten im Einzelfall prüfen, wo der jeweilige Experte stehe – und dies dem Leser sichtbar machen.

Anlässlich des aktuellen Themas »Wirtschaftsjournalismus« warnte Börsenmakler Dirk Müller (»Mr. Dax«) vor immer raffinierteren Lobbystrategien. Außerdem plädierte er dafür, dass sich die Redaktionen mehr trauen müssten: So sei auch unter Journalisten lange bekannt gewesen, dass es bei der Commerzbank Probleme gebe: »Aber keiner wollte der Erste sein.«

Der ehemalige Chefredakteur des Manager-Magazins, Wolfgang Kaden, betonte die Gefahr »teurer Schadensersatzprozesse«. Es sei »absolut unzulässig«, nur auf Gerüchtebasis über eine Großbank Dinge zu verbreiten, die man nicht belegen könne. Ulrich Schäfer, Wirtschaftschef der Süddeutschen Zeitung, sprach von einer »Flut von Anwälten«, die in den vergangenen Jahren noch größer geworden sei. »Im Politik-Bereich kann man jedes Gerücht verbreiten. Wirtschaftsjournalisten müssen mit der Rechtsabteilung in permanentem Kontakt stehen.«

Buße tun

Die »Verschlossene Auster« ging in diesem Jahr an die Banken. Stellvertretend für 220 Mitglieder nahm der geschäftsführende Vorstand des Bankenverbandes, Manfred Weber, den Negativpreis für den »Informationsblockierer des Jahres« entgegen. Buße tun, nennt man das wohl auf dem Kirchentag.

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