Mafia-Berichterstattung
Im Würgegriff der Mafia

Dutzende Journalisten hat die Mafia bis heute bedroht, attackiert und ermordet. Die meisten italienischen Medien ignorieren das Geschehen oder machen mit der Mafia gar gemeinsame Sache.

von Eleonora Trotta

Er benötigt Polizeischutz, einzig und allein, weil er seine Arbeit getan hat. Lirio Abbate, Reporter bei der Nachrichtenagentur ANSA, war der einzige Zeuge der Verhaftung von Bernardo Provenzano. Abbate hatte über die Mafia recherchiert und mit Mut und Zivilcourage ihre Strukturen und Verbindungen enthüllt, um der Untätigkeit und Oberflächlichkeit der italienischen Medien etwas entgegenzusetzen. Auch Roberto Saviano lebt seit 2006 unter Polizeischutz. Das ist der Preis für die Enthüllungen und unbequemen Wahrheiten, die er in seinem Buch »Gomorra« offenbarte, das mehr als zwei Millionen Mal verkauft wurde. Der Sachbuch-Autor aus Neapel reißt darin die Grenzen zwischen Norden und Süden ein, indem er nicht nur über seine Heimatregion Kampanien schreibt, die seit jeher als Hochburg der »ehrenwerten Gesellschaft« gilt, sondern das gesamte kapitalistische System in seiner italienischen Ausprägung zu »Gomorra« erklärt.

Mehr als vierzig bedrohte Journalisten

Die Mafia gibt es also noch, und vereinzelt gibt es auch couragierte Journalisten. Weil die italienischen Medien ihr jedoch kaum Aufmerksamkeit widmen, ist es allein schon bemerkenswert, dass die Fachzeitschrift Problemi dell’informazione (Partner von Message) wiederholt eine gesamte Ausgabe (1-2/2009) dem Thema »Mafia und Journalisten« gewidmet hat.

Zwischen 2006 und 2008 wurden mehr als vierzig Berichterstatter bedroht, so Angelo Agostini, der Chefredakteur von Problemi dell’informazione. Zu ihnen zählen Feruccio de Bortoli, der Chefredakteur des Corriere della Sera, Ezio Mauro, sein Kollege von Repubblica sowie Pierluigi Cappon, Generaldirektor des staatlichen Senders RAI. Aber auch Rosaria Capocchione findet sich auf der Liste, Journalistin bei der Tageszeitung Il Mattino und Autorin des Buches »Oro della Camorra«, das der Macht des Casalesi-Clans auf nationaler Ebene nachspürt. Sie hatte im Spartacus-Prozess ausgesagt, einem Gerichtsverfahren, das sich gegen die Casalesi-Mitglieder gerichtet hatte und erhielt danach »Warnungen«. Seither steht auch sie unter Polizeischutz – ebenso wie Pino Maniaci, ein seit langem im Kampf gegen die Mafia engagierter Berichterstatter des sizilianischen Lokalsenders Telejato.

Nachweislich sind in den letzten vierzig Jahren zehn Journalisten von der Mafia ermordet worden, schreibt Roberto Morrione in seinem Beitrag. Zu ihnen zählen Giancarlo Siani, ein junger Reporter der Tageszeitung Il Mattino, der 1985 von der Camorra umgebracht wurde, und Ilaria Alpi, die in der Nachrichtenredaktion von RAI3 gearbeitet hatte und 1994 in Mogadischu während ihrer Recherche über den Handel mit Waffen und Giftmüll ums Leben kam. Sie hatten es allesamt gewagt, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und die Mafia-Eliten und ihre Killer öffentlich beim Namen zu nennen.

Mafia kein regionales Phänomen mehr

Wie die neueren Recherchen klar zeigen, ist die Mafia längst kein regionales Phänomen mehr, das sich auf den italienischen Süden begrenzt. Ihr Handlungsraum und Netzwerk haben sich auf das gesamte Land und weit darüber hinaus ausgedehnt. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass die Geschäfte der kriminellen Vereinigungen von den Politikern und auch von den Medien schweigend geduldet und geflissentlich zur Seite geschoben werden.

»Der Nachrichtenjournalismus steht schwer in der Schuld Italiens«, schreibt Roberto Morrione in seinem Editorial für das Sonderheft. Aber am schwerwiegendsten sei die »schändliche Einflussnahme«, mit der vor allem in Süditalien viele »falsche« Verleger, die zugleich Mitglieder einflussreicher, mehr oder weniger legaler »Geschäftszirkel« seien, ihre eigenen Redaktionen drangsalierten. Damit verhinderten sie jegliche Recherchen und Hintergrundberichterstattung.

Ohnmachtsgefühle der Bürger

Aber wo stößt der italienische Journalismus konkret an seine Grenzen, wenn es um die Mafia geht? Problemi dell’informazione zufolge basieren die meisten Beiträge der italienischen Presse auf offiziellen Quellen der Polizei und der Gerichte. Es fehlt die eigene Analyse, es fehlt an Hintergrundinformation und daran, Verbindungen zu suchen und offenzulegen. Im Dunkeln bleiben die Namen der einflussreichsten Mafia-Bosse und deren starker Einfluss auf die Politik. Aber auch die Ohnmachtsgefühle der Bürger und der Verlust an Freiheitsrechten, der mit dem Regime der ehrenwerten Gesellschaft einhergeht, werden nicht thematisiert.

Wie blind sind die italienischen Medien?

Als Beleg wird die Berichterstattung der vier wichtigsten überregionalen Tageszeitungen …

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