Türkei
Der verdammte Journalismus

Dutzende Journalisten sitzen in der Türkei im Gefängnis, meist ­verurteilt nach dem Antiterrorgesetz oder dem Paragrafen gegen die »Beleidigung des Türkentums«. Eine ernüchternde Bilanz.

von Filiz Erkal

Der Chef vom Ch. Links Verlag wird verhaftet, weil er die investigativen Arbeiten der Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke herausbrachte. Die freie Journalistin sitzt seit Tagen in U-Haft – ohne zu wissen, wessen sie beschuldigt wird. Dasselbe gilt für die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die seit einem halben Jahr inhaftiert ist. Eine Festnahme droht auch dem Journalisten und Herausgeber Jakob Augstein, dem Antisemitismus vorgeworfen wird. Bundeskanzlerin Merkel lässt die Titanic verbieten.

Sie wähnen sich im falschen Film? Damit liegen sie richtig, schließlich leben wir in Deutschland. Lebten wir jedoch in der Türkei, wären solche Meldungen etwas Alltägliches.

Mittlerweile kann die Regierung Erdogan nach Belieben direkt oder indirekt Druck auf Medienkonzerne ausüben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die alteingesessenen Medienunternehmer und Verlegerfamilien völlig von der Bildfläche verdrängt wurden. Vielmehr fürchteten sie, vom neuen Machtzentrum möglicherweise ausgeschlossen zu werden, und begannen damit, sich der Regierung anzudienen.

Maulkorb und Schere im Kopf

Die Konsequenzen dieser Machtverschiebungen und neuen Konstellationen drücken sich beispielsweise darin aus, dass vornehmlich jene Journalisten ihren Job verloren, die eine Schere im Kopf nicht akzeptieren – oder von der Regierung offen kritisiert wurden.

Vor zehn Jahren begann die Zeit der politisch motivierten Kündigungen. Und was vor zehn Jahren hinter den Kulissen stattfand, sind heute offen ausgetragene politische Medienschlachten.

Aus den Chefetagen der Medienbetriebe werden seitdem Kündigungen wie am Fließband ausgesprochen.

Jüngstes Beispiel ist Hasan Cemal. Der gestandene Journalist trennte sich Ende März dieses Jahres von der überregionalen Zeitung Milliyet. Der Grund: Sein Chefredakteur ließ seine Kolumne über den Friedensprozess mit der PKK nicht veröffentlichen. Ein Eklat. Dabei hatte Milliyet mit dem Bericht des Reporters Namık Durukan kurze Zeit zuvor exklusiv die Gesprächsprotokolle zwischen den kurdischen Abgeordneten der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) und dem PKK-Führer Öcalan veröffentlicht. Der Premierminister reagierte persönlich und – in gewohnter Manier – verärgert. Er ging sogar soweit, dass er von einem Sabotage-Akt gegen den Friedensprozess sprach und sich zu dem Ausspruch hinreißen ließ: »Verdammt soll so ein Journalismus sein«. Immerhin: Dieses Statement prangte als Aufmacher in vielen türkischen Zeitungen.

Das Strafgesetzbuch gegen das freie Wort

Es ist nicht schwer, in der Türkei ins Visier der Machthaber zu geraten. Bereits die Thematisierung der einschlägigen historischen Tabuthemen, wie die der Kurden-Frage und des armenischen Völkermordes, genügen für einen Eintrag in das Schwarzbuch der Regierenden. Anders formuliert: Bei einer kritischen Haltung gegenüber der Kurdenpolitik oder der Aufarbeitung der Vergangenheit ist der Vorwurf des »Terrorismus« schnell zur Hand.

Die rechtliche Grundlage schafft dafür das türkische Antiterrorgesetz – Kritiker sehen in ihm eine Steilvorlage für Machtmissbrauch. Der Türkeibericht von Human Rights Watch (HRW) kritisierte bereits 2011: Fast jeder könne mit der »absichtlich vage gehaltenen Antiterrorgesetzgebung« angeklagt werden. Dasselbe gilt für den »Gummiparagrafen« des türkischen Strafgesetzbuches: Artikel 301 »Beleidigung des Türkentums«, 2008 umbenannt in »Beleidigung der türkischen Nation«. Bisherige Reformansätze haben weder zu mehr Transparenz noch zur Stärkung der demokratischen Grundrechte beigetragen. Associated Press meldet aus der Türkei: Seit 9/11 wurden in keinem anderen Land so viele Menschen unter Terrorverdacht verurteilt wie in diesem Land – 12.000 von weltweit 35.000 (Stand: Juli 2011).

Allein in der zweiten Jahreshälfte von 2011 wurden 4.000 Personen verhaftet – darunter Akademiker, Intellektuelle, Journalisten, Menschenrechtler, Künstler, Anwälte und Politiker legaler Parteien. Necati Abay, Sprecher der inhaftierten Journalisten, spricht von Tausenden gefährdeter Journalisten, von denen einige seit Jahren ohne Anklage festgehalten werden…

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