Freie Journalisten
Nicht alleine frei

Der freie Journalist als rasender Reporter, alsEigenbrötler und eitle Edelfeder – dieses Bild istpassé. In Gemeinschaftsprojekten und vernetzten Gruppenentstehen neue Formen freier Tätigkeit.

von Mark Lee Hunter und Luk Van Wassenhove

Der erfolgreiche freie Journalist der 80er Jahreveröffentlichte vielbeachtete Geschichten in Hochglanzmagazinen.Und er wurde dafür stattlich entlohnt: zum Teil mit mehrerenDollar – beziehungsweise Mark oder Franc – pro Wort. Oderer schrieb für Zeitungen Reihen von Beiträgen, von denenmanche später zu Büchern wurden oder sogar zu Filmen. Sovielwir wissen – das ist die schlechte Nachricht – funktioniertdieses Modell nicht mehr. Das Herzstück dieser Art vonJournalismus, nämlich das Entdecken großer, unerzählterGeschichten, hat im letzten Jahrzehnt kontinuierlich anwirtschaftlichem Wert verloren. Es gibt immer weniger Medien, die gutzahlen, sie geben seltener längere Stücke in Auftrag undarbeiten mit weniger Autoren zusammen als zuvor. Es gibt Ausnahmen,aber nicht genug, als dass genügend Freie ihre Karrieren daraufaufbauen könnten.

Nun zur guten Nachricht: Ein Ausweg aus diesem Dilemma zeichnet sichimmer deutlicher ab. Um ihn zu erkennen, muss man aber mit einemKlischee aufräumen: mit dem Bild vom unabhängigen Reporterdes 20. Jahrhunderts. Man erinnere sich an Struppis Herrchen Tim, derdieses Bild idealtypisch verkörpert und immer mehr zumromantischen Trugbild der Popkultur wird. Was wirklich existiert, isteine industrialisierte, häufig kulturlose Nachrichtenproduktion,die Anlass zu Protest gibt.

Vereinzelte, erfolgreiche Eigenbrötler

Sicher, es gibt vor allem in der Krisen- undKriegs­bericht­erstattung noch vereinzelte Eigenbrötler,die sich selbst als »Unilaterale« beschreiben, denen es umAnerkennung und ansehnliche Honorare geht. Und sicher haben sie einelange und glanzvolle Geschichte, zu der Ernest HemingwaysRepor­tagen über den Spanischen Bürger­krieg ebensogehören wie Alexandra Tuttles Berichte vom Balkan-Krieg fürdas Wall Street Journal. Die extreme Gefahr von Krisen und Kriegeneröffnen einigen freien Jour­na­listen Karrierechancen– kosten allerdings auch etliche das Leben. Aber Krisenreporterwaren im Grunde schon immer herausragende Außenseiter, und auchsie werden für die Nachrichtenindustrie immer entbehrlicher. Daszeigen die jüngsten Ereignisse in Nordafrika. Selbst CNN, das inÄgypten massiv investierte, ist mittlerweile hochgradigabhängig von einheimischen Bloggern und User Generated Content.

Al Jazeera, dessen Berichte über die»Jasmin-Revolution« die Ereignisse in Tunesien angetriebenhatten, verließ sich bei Kontakten und Bildmaterial auf Facebook.Amateure mit Foto- und Video-Handys versorgen die Nachrichtenmedienimmer häufiger mit Material für ihre Übertragungen.Für Freie bleiben unterdessen immer weniger Möglichkeiten,ihr Material zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen.

Freie Arbeit als schmaler Weg in den Beruf

Die freie Tätigkeit kann mittlerweile oft nur noch alsKarriere­entscheidung begriffen werden, um in Ruhe anausgewählten Projekten arbeiten zu können, oder sich Zeitfüs Privatleben zu nehmen – abseits der medialenNachrichtenhatz. Meistens gehen Freie den schmalen Weg jedoch in derHoffnung, irgendwann im Journalismus Fuß zu fassen. DieRahmenbedingungen dafür sind allerdings schwierig: DieNachrichtenindustrie baute im vergangenen Jahrzehnt massivJournalistenstellen ab, kompensierte die fehlenden Kapazitätenjedoch nicht in gleichem Umfang mit Freien oder befristetBeschäftigten. Selbst etablierte Journalistinnen wie Marie Cousin,eine Vollzeit-Freie bei führenden französischenNachrichtenmagazinen, bezeichnet sich selbst als eine Art»Korrektiv« für Redaktionen, die nach derPensionierung älterer Redakteure die Stellen nicht neu besetzthaben. Nur ein oder zwei weitere Freie sieht sie um sich herum, dieregelmäßig beispielsweise für L’Expressschreiben, wo Cousin zuvor eine volle Stelle hatte. »Es ist einversteckter Markt, und du musst zum Kreis der Eingeweihtengehören, um Zugang dazu zu bekommen«, erklärt sie. Undes ist kein Kreis der finanziell Privilegierten. Von Luxus kann nichtdie Rede sein. Cousin, die nach Pariser Maßstäben als Freiein der Top-Liga spielt (mit Buch- und Film-Credits und einer Reihegroßer Titel­geschichten), verdient nach eigenen Angaben etwa2.000 Euro pro Monat, was in der französischen Hauptstadt ganzsicher kein Vermögen ist.

Wettbewerb mit Bürgerjournalisten

Die meisten Freien müssen Paralleljobs nachgehen, um sich ihrenLebens­unter­halt zu verdienen. Viele können sich durchArbeiten für die PR-Branche oder als Lehrer eine Tätigkeit imJournalismus überhaupt erst leisten. Und neueWett­bewerbs­formen und Material-Lieferanten machenzusätzlich Druck: »Citizen News«,Bürger­journalismus, und die Stake­holder-Medien.»Citizen News« ist das, was Otto Normalbürgerproduziert, wenn er über jedwede Ereignisse berichtet. Manchesdavon hat, gemessen an den Standards mancher Kleinstadt-Medien,durchaus ansprechende Qualität. Anderes ist freilich nur vergebeneLiebesmüh.

Stakeholder-Medien machen Journalismus im Interesse einerbestimmten Politik oder Ideologie, man denke an Greenpeace. UnterStakeholder-Medien rangieren auch Blogger, die sich mit bestimmtenBranchen und Themen befassen oder ein bestimmtes Anliegen vertreten.Für Bürgerjournalisten und Stakeholder-Medien gilt, dass siedie Produktionskosten der Nachrichtenindustrie, die ihre Inhaltenachfragen und verwerten, kaum erhöhen. Egal, ob sie nun simpleKurzkommentare oder sorgfältig recherchierteHintergrundbeiträge liefern.

Neue Märkte eröffnen sich

Stakeholder-Medien sind jedoch nicht nur Konkurrenz, sondern auch einneuer Markt für Freie. Erstens beschäftigen die großenNicht­regierungs­organisa­tionen (NGO) Journalisten alsAutoren oder Berater. Greenpeace beispielsweise zahlt – inAbhängigkeit der verlangten Fähigkeiten und Expertise –Beraterhonorare von 200 bis 600 Euro pro Tag. Zwar zögern einigeReporter noch, mit NGOs zusammenzuarbeiten – aus Angst, siewürden als befangen oder interessengeleitet abgestempelt. Das wirdsich eventuell jedoch schleichend ändern, wenn sich dieFinan­zierungsmöglichkeiten in der Nachrichtenindustrie nichtändern.

Anheuern bei Watchdogs

Außerdem erreichen viele Stakeholder-Medien mit ihrenBeiträgen die Qualität klassischer Medien. Diese könnenso einen Teil ihrer Arbeit und Produktionskosten zu den Stakeholdernoutsourcen. Das trifft besonders auf Non-Profit-Organisationen zu, dieals Watchdogs in öffentlichem Interesse agieren, wie das LondonerBureau of Investigative Journalism. Das arbeitet eng mit Channel Fourzusammen. Einige solcher Watchdog-Gruppen heuern auch freieJournalisten an.

Mediapart.fr, ein Online-Medium, das zu den interessantestenMedienneu­gründungen des letzten Jahrzehnts in Frankreichzählt, steckt nahezu sein gesamtes Budget in festangestellteReporter. Den Rest vergibt es an unabhängige Journalisten, die»mit Mediapart auf einer Welle liegen«, sagtRedaktions­leiter François Bonnet. Als Beispiel nennt er»die unabhängigen Kollegen, die den Courrier des Balkansherausgeben.« Deren Website liefert Vor-Ort-Berichterstattung vomBalkan und Zugang zu Material von dortigen Lokaljournalisten. Der»Kreis der Eingeweihten«, von dem Marie Cousin spricht, isthier ein Kreis vernetzter Gruppen.

Trend: strategisch ausgerichtete Gruppen

Das ist die Richtung, in die wir zu gehen scheinen: Der freieJournalismus des 21. Jahrhunderts stützt sich mehr auf strategischausgerichtete Gruppen Gleichgesinnter. Anstelle des reportierendenEinzelkämpfers liefern partnerschafltich agierende Gruppen,Projektteams oder kleine Firmen die Inhalte. Anstatt eines Beitrageswird das Produkt mehr und mehr zu einem beständigen und fürandere fruchtbaren Material-Output über ein bestimmtes Thema.Neben den klassischen Medien kommen spezialisierte Interessengruppenals Abnehmer hinzu, wenn sie zahlen oder Journalisten anderweitig etwasbieten können (zum Beispiel das Privileg, in der Modewelt zuverkehren).

Diese Veränderungen illustriert das Beispiel Argos, einPariser Non-Profit-Unternehmen von sieben freien Fotografen und vierReportern, das gerade seinen zehnten Geburtstag gefeiert hat. Der Fokusdes Kollektivs liegt auf Dokumentarf­otografie undReportage­jour­nalis­mus. Zu den Klienten gehört diefran­zösische Regierungs­agentur für Umwelt- undEnergie­­wirt­schaft. Sie sponsorte den Großteileines fünfjährigen Projekts über Flüchtlinge ausRegionen, die massiv vom Klima­wandel betroffen sind – dasProjekt beinhaltete große Ausstellungen, ein Buch undMagazinveröffentlichungen.

Gemeinsam lernen

Keines der Mitglieder der Gruppe kümmert sich groß umsMarketing. Man teilt sich Kontakte und Bezüge. Die wenigerprofitablen Projekte werden über jene querfinanziert, die sichbesser verkaufen lassen. Ähnliche Initiativen wie InvestigativeReporters Network Europe (Irene) – eine Gruppe belgischer,niederländischer und deutscher Journalisten – sind bereitsim Global Investigative Journalism Network entstanden.

Häufig sind Kollektive für Freie eine Möglichkeit, sichRäumlichkeiten oder Equipment zu teilen und nicht isoliertarbeiten zu müssen. Wenn das jedoch der einzige Antrieb ist, werdedas entsprechende Projekt scheitern, sagt Hélène Davidvon Argos.

Ein gewichtiger Beweggrund, sich zusammenzutun, ist auch …

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